Liebeserklärung an meine Hebamme

Sonya Kraus: "Ohne meine Hebamme hätte ich nicht den Mut für ein zweites Kind gehabt."
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Wer dem Ursprung der Wortes „Kreißsaal“ auf den Grund geht, findet heraus, dass die Bezeichnung vom Verb „kreischen“ inspiriert wurde, was logisch erscheint. Denn genau dort, an diesem Ort, muss das Runde durchs enge Eckige. Mutter Natur (die blöde Schlampe) ist mit uns Frauen mal wieder nicht zimperlich umgegangen, als sie sich diese Methode fürs Kinderkriegen ausdachte.

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Die Bezeichnung
"Kreißsaal"
kommt vom Verb
"kreischen".

Klar, es hatten schon ein paar Milliarden Frauen vor mir geschafft, Kinder in die Welt zu pressen. Was mich hinsichtlich einer natürlichen Geburt jedoch keinen Deut beruhigte. Die verdammte Familienplanung hätte ich doch besser bis kurz vor der Menopause aufschieben sollen– falls überhaupt!

Schlaue Überlegungen, leider etwas zu spät: Ich war im sechsten Monat schwanger und panisch beim Gedanken an den unkalkulierbaren Ausnahmezustand des Gebärens.

Selbstverständlich hätte ich dem in meiner Branche üblichen Trend zum geplanten Kaiserschnitt folgen können. Nur fand ich den Gedanken, den Bauch aufgeschnitten zu bekommen, noch beängstigender. Es half alles nix, der Touchdown des neuen Erdenbürgers musste geplant werden.

Ich machte mich also schlau: Im Krankenhaus sind es vor allem die Hebammen, die die Arbeit tun. Sie sind an unserer Seite, wenn wir winselnd das Kamasutra durchtanzen, während der Herr Doktor nur zur Aufsicht dazukommt, um den Unterbodenschaden zu flicken, oder wenn’s mal nicht so prima flutscht.

Die Hebammen, diese großartigen Frauen, sind fest angestellt und arbeiten im Schichtbetrieb: Acht anstrengende aufregende Stunden, dann löst die Kollegin ab. 

Doch irgendwie war der Gedanke, dass mir eine Wildfremde, sei sie noch so kompetent, im Uterus herum kramte, nicht unbedingt sympathisch. Als so genannte Erstgebärende standen mir im schlimmsten Fall über 20 Stunden Wehen (Ja, kommt von „weh tun“) bevor, also dann auch gleich drei verschiedene Hebammen. Wie verlockend!

Die Hebamme ist zu jeder Tages-
& Nachtzeit für einen da.

Möglicherweise ist so was einem in dieser Situation schnurz, ich war jedoch sehr dankbar, dass mich eine Bekannte über die freiberuflichen so genannten Beleghebammen aufklärte. Schon während der Schwangerschaft kann frau diese erfahrenen Geburtshelferinnen kennenlernen, ihnen Löcher in den Bauch fragen, Ängste gestehen und mit ihnen alle Möglichkeiten der Entbindung durchsprechen. Geduldig und einfühlsam wird dann das Bäuchlein abgetastet, vermessen und gehorcht, welche Töne das Alien im Bauch so von sich gibt.

Das Großartigste aber: Diese Beleghebamme ist zu jeder Tages- und Nachtzeit für einen da, wenn’s wirklich ernst wird. Sie begleitet die werdende Mutter ins Krankenhaus und hilft uns, das letzte große Abenteuer dieser technologisierten Zeit zu meistern: Wenn aus eins plötzlich zwei werden.

Außerdem versorgt sie den Säugling nicht nur in seinen ersten Lebensminuten, sondern leistet auch die Nachsorge, besucht Mutter und Kind bis zu zehn Mal zu Hause. Die Beleghebammen kennen die Historie „ihrer“ Babys von der ersten Sekunde und helfen den frischgebackenen Mamis, die neue Situation und all die Auas zu meistern.

400 Euro muss man drauflegen, wenn man eine Beleghebamme in Anspruch nimmt – für mich das am besten investierte Geld meines Lebens. Sie war da, als ich an einem heißen Sonntag im Jahr 2010 mein erstes Kind bekam. Als ich jammerte, flehte, mich wand wie ein Wurm und ausgerechnet während des Fußball-WM-Finales zu meinem persönlichen Finale ansetzte. Während Arzt und Kindsvater vorm TV klebten, gingen wir Mädels gemeinsam in die Verlängerung ...

Würden Männer Kinder kriegen, gäbe es hier keine Diskussionen! 

Ohne meine Hebamme hätte ich wohl nicht den Mut aufgebracht, ein zweites Kind zu bekommen, geschweige denn auf natürliche Art und Weise. Darum könnte ich heulen vor Wut, dass diese Frauen, die trotz eigener Familie oft Nächte durcharbeiten, die enthusiastisch ihren Beruf als Berufung verstehen und die uns Frauen so großartige Dienste leisten, nun vor dem beruflichen Aus stehen, da die nötige Haftpflichtversicherung für tausende freiberufliche Geburtshelferinnen unerschwinglich geworden ist. In Bälde wird es sogar gar keine Versicherung mehr geben, die selbstständige Hebammen abdeckt.

Wir Mütter müssen Schwangerschaftsstreifen, Dammriss, Krampfadern, Hämorrhoiden und all die anderen netten Begleiterscheinungen einer Schwangerschaft sowieso hinnehmen. Sollen wir jetzt auch noch auf diese weisen Frauen, die sich so hingebungsvoll um uns kümmern, verzichten?

Verdammt noch mal: Würden Männer Kinder kriegen, gäbe es hier keine Diskussionen! Aber wo ist die Lobby der Hebammen? Ich fürchte, wie ich, mit Windeln wechseln, Wäsche waschen plus Job restlos überfordert.

Mehr zum Kampf der Hebammen ums Überleben in der aktuellen EMMA.

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Hebammen vor dem Aus?

Hebammen-Protest 2013 für mehr Lohn. Jetzt kündigen auch noch die Versicherer. © campact/CC BY-NC 2.0
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Für die Hebammen ist es die endgültige Hiobsbotschaft: Ab dem 1. Juli 2015 will auch die Nürnberger Versicherung den Frauen keine Haftpflicht mehr gewähren. Eine von zwei Versicherungen, die den Hebammen überhaupt noch Verträge anbieten.

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Der Hebammenverband warnt nun vor einem „Zusammenbruch der Versorgung mit Geburtshilfe“. Denn: Unter diesen Umständen können die meist selbstständig arbeitenden Hebammen ihren Beruf schlicht nicht mehr ausüben. „Ohne Haftpflichtversicherung dürfen wir weder Geburten zu Hause, im Geburtshaus oder als Eins-zu-Eins-Beleghebamme in der Klinik betreuen, noch Schwangeren- und Wochenbettbetreuung annehmen“, klagt auch Ruth Pinno, Vorsitzende des „Bundes freiberuflicher Hebammen“.

Es geht also nicht nur um die Betreuung von Hausgeburten, die in Deutschland rund zwei Prozent ausmachen. Hebammen arbeiten als Geburtshelferinnen in Kliniken, auch das oft auf freiberuflicher Basis. Sie kümmern sich um die Vor- und Nachsorge, zum Beispiel die Stillberatung.

Für die 18.000 Hebammen, die in dem Verband organisiert sind, spitzt sich die Situation schon länger zu: Die Versicherungsbeiträge haben sich in den vergangenen Jahren verzehnfacht, warnten sie schon vergangenen Sommer. Zahlte eine Hebamme 2002 noch 453 Euro Prämie im Jahr, sind es mittlerweile 4.242 Euro. Im Sommer 2014 soll sie erneut ansteigen, auf über 5.000 Euro. Mittlerweile bieten nur noch 3.000 Freiberuflerinnen aktive Geburtenhilfe an. Sie verdienen im Schnitt 7,50 Euro die Stunde.

Dabei hatte sich selbst Kanzlerin Merkel 2012 schon für die Hebammen stark gemacht: „Ich glaube, dass es gemeinsames Ziel ist, Hebammen als Berufsgruppe zu erhalten“, erklärte sie damals. Das war kurz vor der heißen Wahlkampfphase. Es brauchte trotzdem erst Proteste und die Online-Petition einer Kölner Hebamme mit mittlerweile über 133.000 UnterzeichnerInnen, um die Anliegen der Hebammen endgültig im Koalitionsvertrag zu verankern. So steht es nun da: „Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe ist uns wichtig. Wir werden daher die Situation der Geburtshilfe und der Hebammen beobachten und für eine angemessene Vergütung sorgen“. Wie das wohl die Versicherungen sehen?

Petition: Lieber Herr Gröhe, retten Sie unsere Hebammen!

 

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