Spanien: Libres y combativas
Ana García ist noch immer euphorisch, ebenso wie alle ihre Kommilitoninnen von der studentischen Frauenbewegung „Libres y Combativas“ (Frei und kämpferisch). „Wir haben mit unserer beeindruckenden Demo und unserem Generalstreik am 8. März der ganzen Welt bewiesen, dass wir Frauen hierzulande stark und entschlossen sind, unsere mühsam erkämpften Rechte zu verteidigen“, sagt sie.
Tatsächlich täuscht das Bild des modernen Spaniens, einem Land, in dem Frauen elf von 17 Ministerposten bekleiden, in dem eine Frau der größten Bank des Landes vorsteht, und wo im Leben anscheinend stets Frauen die Hauptrolle spielen, wie es die Filme von Almodóvar suggerieren. „Wir Spanierinnen sind es, die hauptsächlich die Zeche für die schwere Wirtschaftskrise der letzten Jahre bezahlt haben“, sagt Ana, die für einen „revolutionären und antikapitalistischen Feminismus“ kämpft. Auch ihre Situation ist typisch für die junger Frauen in Spanien. Trotz eines abgeschlossenen Studiums in audiovisueller Kommunikation hat sie keine Anstellung gefunden und hält sich mit Gelegenheitsjobs wie Kellnern über Wasser. Jetzt sattelt Ana in Madrid noch ein Sprachstudium drauf. „Wir Frauen sind nicht nur die Opfer einer strukturellen Ungleichheit, die von jeher von der Kirche und von rechten Politikern fest zementiert wurden. Am schlimmsten ist, dass viele von uns tagtäglich gequält und seelisch misshandelt werden.“
In der Tat haben sich die Fälle machistischer Gewalt gegen Frauen im neuen Jahr weiter gehäuft. So wurden in den ersten drei Monaten laut feminicidio.net 20 Frauen in Spanien von ihrem eigenen Mann erschossen, erstochen oder zu Tode misshandelt. Seit 2003 verloren so 988 Frauen ihr Leben. Das sind mehr Opfer, als die Bombenattentate der inzwischen aufgelösten baskischen Untergrundorganisation Eta forderten.
„Alle acht Stunden wird eine Vergewaltigung angezeigt“, sagt Ana. Es sind immer öfter Gruppenvergewaltigungen, die Spaniens Frauen empören und auf die Straße gehen lassen. Etwa als die spanischen Richter im Sommer letzten Jahres ein laxes Urteil gegen die so genannte „Manada“-Bande verhängten. Es handelt sich um eine Horde von fünf Männern, die sich selbst Manada (Wolfbande) nannten und im Sommer 2016 eine 18-Jährige auf dem Stierfest in Pamplona über Stunden vergewaltigten und misshandelten und ihre Verbrechen sogar filmten. Die Richter fanden, dass das Opfer sich nicht „genügend gewehrt“ habe. Sie verurteilten alle fünf Männer zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren. Die Männer kamen nach Zahlung einer Kaution bis zur Berufungsverhandlung auf freien Fuß.
„Derartige Fehlurteile und die generelle Banalisierung der machistischen Gewalt zeigen, wie tief patriarchalische Denkmuster, Frauenverachtung und Chauvinismus hierzulande in den Köpfen verankert sind“, klagt Beatriz Simó Roig (66), Lehrerin im Ruhestand. Als bekennende Lesbe musste Simó 1972, also noch während der Franco-Diktatur, ins Exil nach Frankreich gehen und kam erst nach dem Tod des Diktators zurück. Seit fünf Jahren ist Simó mit einer Französin verheiratet. Spanien führte als eines der ersten Länder Europas 2005 die gleichgeschlechtliche Ehe ein, damals waren die Sozialisten an der Macht.
Jetzt hat Simó Angst vor der neuen ultrarechten Partei Vox, die im Dezember letzten Jahres ausgerechnet in Andalusien, einer Hochburg der Sozialisten, aus dem Stand zwölf von 109 Sitzen eroberte. „Vox würde am liebsten allen Homo- und Transsexuellen sämtliche Rechte entziehen“ klagt Simó, eine Stammwählerin der Sozialisten. Schon jetzt versucht der Vox-Vorsitzende Santiago Abascal Conde im Wahlkampf mit Sprüchen gegen Frauen und „militante Feministinnen“ zu punkten. Das vor rund 15 Jahren verabschiedete „Gesetz zum Schutz der Frauen“ (Ley de Violencia del Genero) kommt nach Abascals Ansicht einer Vorverurteilung der Männer gleich. Er fordert, dass das Gesetz wieder abgeschafft wird. Unterstützt wird Abascal von der erzkatholischen Gruppierung Hazte Oír, die kurz vor dem Frauentag einen Bus durch Madrid schickte, mit einem Bild von Hitler mit roten Lippen und Wimperntusche und mit dem Spruch #StopFeminazis darunter. Die Vox-Partei hat laut aktueller Umfragen wegen ihres radikalen Kurses gegen die katalanischen Separatisten immer mehr Zulauf und dürfte bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 28. April erstmals auch ins spanische Abgeordnetenhaus einziehen. Auch die übrigen konservativen Kräfte Spaniens wie die Volkspartei (PP) und die rechtsliberale Ciudadanos schlagen einen immer aggressiveren Ton an. Berührungsängste mit den Ultrarechten haben sie offenbar nicht. „Ich will in keinem Land leben, das meine Tochter gegen meinen Sohn aufhetzt“, sagte der neue PP-Spitzenkandidat Pablo Casado, dessen Partei sich bei der Frauenförderung auffallend zurückhält. Casado setzt darauf, dass ihm Vox, die spanische AfD, nach den Wahlen helfen wird, an die Macht zu kommen.
„Wir müssen wachsamer sein als je zuvor, denn wenn ein Triumvirat der Rechten die Geschicke unseres Landes lenken sollte, dann droht wirklich ein Rückschritt für uns“, sagt Marta Cardaba (60), eine Sozialarbeiterin im Rotkreuz-Krankenhaus in Madrid. Sie gehört zum „Forum feministischer Politik“, einem der ältesten der 139 Frauenverbände Spaniens. „Vox will mit seinem ranzigen Diskurs und seinen Attacken gegen Abtreibung den gesellschaftlichen Grundkonsens unterhöhlen.“
Frauen verdienen in Spanien für die gleiche Tätigkeit im Schnitt 23 Prozent weniger als Männer. „Es ist diese unglaubliche Wut, die uns so stark macht“, sagt Cardaba. In 500 Städten und Gemeinden gingen die Spanierinnen am Frauentag auf die Straße, allein in Madrid waren es 375.000, doppelt so viele wie im Vorjahr, in Barcelona und Valencia weit über je 200.000. Auch die Landfrauenverbände marschierten mit. „Wir haben wirklich 1.000 Gründe“, sagt Cardaba. Die Frauen des Forums kommen jetzt jeden Montag zu ihrem Treffpunkt in der Madrider Bravo Murillo Straße und beraten, wie sie die Wahlen am 28. April noch beeinflussen könnten. Tenor: „Wir müssen handeln, bevor es zu spät ist.“
Ausgabe bestellen