§ 219a: Offener Brief an die SPD

© Stefan Boness/Ipon/Imago
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Die SozialdemokratInnen haben ihren Gesetzentwurf, in dem sie die komplette Streichung des §219a fordern, zurückgezogen. Laut diesem Gesetz macht sich strafbar, wer „seines Vermögensvorteils wegen (...) Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs (...) anbietet, ankündigt oder anpreist“. Das bedeutet: Jede Ärztin und jeder Arzt, der Abtreibungen vornimmt und darüber schlicht und einfach informiert, steht mit einem Bein im Gefängnis.

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Sogenannte „Lebensschützer“ benutzen den §219a, um reihenweise ÄrztInnen anzuzeigen. Wie zum Beispiel die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die daraufhin vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde.  

Die SPD preschte mit einem Gesetzenwurf vor. Der ist nun Makulatur

Nach dem skandalösen Urteil und einer Petition, die bisher über 150.000 Menschen unterzeichneten, taten sich Politikerinnen aus SPD, Linken, Grünen und der – wenn auch zögerlichen - FDP zusammen, um das Gesetz, das ÄrztInnen wie Frauen einschüchtert, abzuschaffen. Die SPD preschte forsch vor und legte einen Gesetzentwurf vor. Der ist nun Makulatur. Denn einen Tag vor der Kanzlerinnen-Wahl zogen die SozialdemokratInnen den Entwurf zurück und veröffentlichten, gemeinsam mit der Unions-Fraktion eine schwammige Erklärung: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, Möglichkeiten einer Lösung zu prüfen und einen Vorschlag vorzulegen.“

Dagegen gehen jetzt Ärztinnen und Ärzte auf die Barrikaden. 285 Frauen und Männer, die meisten von ihnen MedizinerInnen, unterschrieben einen Offenen Brief an die SPD-Fraktion. „Eine Zeit lang sah es so aus, als hätten wir Sie an unserer Seite“, schreiben sie. „Als hätten wir Sie mit unseren Erfahrungen und unseren guten, fachlichen Argumenten erreicht und überzeugt, dass der § 219a StGB gestrichen werden muss. Wir dachten, Sie haben erkannt, dass ein längst veralteter Paragraph schädlich für die Allgemeinheit ist und durch eine umtriebige Gruppe, die sich angeblich für den Schutz des Lebens einsetzt, instrumentalisiert wird.“

Und die UnterzeichnerInnen, darunter natürlich Kristina Hänel, machen deutlich, was passiert, wenn der Paragraf, den die Nazis erfunden haben, in Kraft bleibt und sich am zunehmend restriktiven Klima in Sachen Abtreibung nichts ändert: „Weiterhin werden nun Ärzte und Ärztinnen angezeigt, weiterhin haben Frauen in Flächenstaaten kaum und in Städten wie Trier gar keine Möglichkeiten mehr, Schwangerschaften abzubrechen. Weiterhin haben Behörden Angst, Listen mit Arztpraxen und Krankenhäusern zu veröffentlichen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Weiterhin stehen Mahnwachen der reaktionären ‚Pro-Life‘-Bewegung vor Pro Familia-Einrichtungen und belästigen Frauen, ihre Angehörigen und sogar deren Kinder. Weiterhin wird der Schwangerschaftsabbruch in der gynäkologischen Ausbildung unzureichend vermittelt. Weiterhin werden Ärzte und Ärztinnen vor Gericht gezerrt und verurteilt. Es gibt aktuell eine Reihe neuer Anzeigen. Weiterhin darf eine Hass-Seite wie babycaust.de ihre widerlichen Inhalte verbreiten und es gibt keine Möglichkeit, Frauen seriös im Internet zu informieren.“ Die ÄrztInnen fordern die SozialdemokratInnen auf: „Es gibt eine Rollback-Bewegung gegen unsere Rechte: Lassen Sie sich von denen nicht vor den Karren spannen!“

In Städten wie Trier können Frauen nicht mehr abtreiben

Es wäre schön, wenn die GenossInnen begreifen würden, wohin dieser Karren rollt: Zurück in Zeiten, in denen ungewollt schwangere Frauen keine ÄrztInnen mehr finden, die einen Abbruch vornehmen können oder wollen. Und die dann, ganz wie früher, im Ausland oder auf dem Küchentisch von „Engelmacherinnen“ landen. Das sollte auch Andrea Nahles wissen. Die Fraktionsvorsitzende und designierte Parteichefin hatte den Rückzugs-Deal mit dem CDU-Kollegen Volker Kauder ausgehandelt. Nahles hatte zuvor einen Brief vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) bekommen, in dem sie aufgefordert wurde, sich für den Erhalt des Paragrafen einzusetzen. Nahles ist selbst Mitglied im ZdK. Was Nahles auch wissen sollte: Wir leben nicht in einem Gottesstaat.  

TV-Reportage zum Thema
"Pro Life - Abtreibungsgegner auf dem Vormarsch" - bis zum 4. Mai in der arte-Mediathek

 

 

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§219a: Hänel übergibt Unterschriften

Kristina Hänel (Mitte) vor dem Reichstag bei der Übergabe ihrer Unterschriften. © change.org
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Der kalte Wind pfiff über den Platz vor dem Berliner Reichstag, als Kristina Hänel das Megafon ergriff. „Ich freue mich sehr, dass über 150.000 Unterschriften für meine Petition zusammengekommen sind und bedanke mich bei allen UnterstützerInnen. Jetzt ist es an der Politik, daraus etwas Gutes zu machen!“

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Das hat „die Politik“ offenbar tatsächlich vor. Jedenfalls waren etliche Politikerinnen gekommen, um die Unterschriften der Gießener Ärztin entgegenzunehmen: Katja Kipping und Cornelia Möhring von der Linken, Renate Künast und Ulle Schauws von den Grünen, Eva Högl von der SPD und schließlich sogar Katja Suding von der FDP. Nur Vertreterinnen der Union fehlten – trotz Einladung.

"Jetzt ist es an der Politik, etwas daraus zu machen"

Und es scheint so, als ob es – wie schon 1995 beim „Abtreibungs-Kompromiss“ – eine parteiübergreifende Initiative geben wird, um ein Gesetz abzuschaffen, das Frauen wie ÄrztInnen entmündigt: den § 219a. Laut dieses Gesetzes macht sich strafbar, wer „seines Vermögensvorteils wegen (...) Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs (...) anbietet, ankündigt oder anpreist“.

Unter Berufung auf dieses Gesetz war Kristina Hänel – wie schon viele ihrer KollegInnen - mehrfach von so genannten „Lebensschützern“ angezeigt worden. Die Gießener Allgemeinärztin war am 24. November 2017 vom Gießener Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. Ihr „Vergehen“: Sie hatte auf ihrer Website angegeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Per E-Mail konnte man sachliche Informationen über den Ablauf eines Abbruchs, seine gesetzlichen Voraussetzungen und seine Risiken anfordern.

Doch Hänel nahm weder Anklage noch Urteil hin und beschloss zu kämpfen. Sie startete auf Change.org eine Petition für die Abschaffung des Knebel-Paragrafen. Die Resonanz war enorm, die Medien berichteten bundesweit über Petition und Prozess. Die über 150.000 Unterschriften übergab Kristina Hänel heute vor dem Reichstag. Und offenbar kommt Bewegung in die Sache.

Schon vor dem Urteil des Gießener Amtsgerichts Ende November hatte Die Linke einen Gesetzentwurf für die Streichung des §219a vorgelegt. Jetzt, so erklärte Eva Högl, rechtspolitische Sprecherin der SPD, soll es eine fraktionsübergreifende Initiative geben, um das Gesetz abzuschaffen. Auch Ulle Schauws (Grüne) sprach sich für eine solche Initiative aus. Cornelia Möhring (Die Linke) erklärte: „Es kommt uns nicht darauf an, dass unser Entwurf durchkommt. Das Entscheidende ist, dass Frauen das Informationsrecht bekommen.“

Die Mehrheit für eine Abschaffung des §219a steht. Parteiübergreifend.

Auch Katja Suding (FDP) will den §219a streichen: Schließlich gebe es für ÄrztInnen bereits „berufsständische Regelungen, die ein offensives Werben für medizinische Dienstleistungen verbieten. Das ist ja bereits die Gesetzgebung“. Deshalb könne man „den Paragraphen auch entschärfen, aber klarer ist aus meiner Sicht, ihn einfach abzuschaffen“.

Die CDU spricht sich zwar klar gegen eine komplette Abschaffung des „Werbeverbots“ aus. Aber die Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker könnte sich dennoch eine Änderung des Gesetzes vorstellen, indem man „eine klarere Abgrenzung zwischen Werbung und Information“ vornehme.

Und auch vier Bundesländer stehen in den Startlöchern, um das Gesetz zu stoppen: Berlin, Bremen, Hamburg und Brandenburg und wollen rasch eine Bundesratsinitiative einbringen und so eine Debatte im Bundestag erzwingen.

Die Mehrheit für eine Abschaffung des §219a steht. Jetzt müssen die Parteien nur noch über ihren Schatten springen und das Informationsrecht der Frauen über ihr politisches Lagerdenken stellen. Dann könnte der §219a schon im ersten Quartal 2018 Vergangenheit sein.

 

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