§ 219a: Offener Brief an die SPD
Die SozialdemokratInnen haben ihren Gesetzentwurf, in dem sie die komplette Streichung des §219a fordern, zurückgezogen. Laut diesem Gesetz macht sich strafbar, wer „seines Vermögensvorteils wegen (...) Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs (...) anbietet, ankündigt oder anpreist“. Das bedeutet: Jede Ärztin und jeder Arzt, der Abtreibungen vornimmt und darüber schlicht und einfach informiert, steht mit einem Bein im Gefängnis.
Sogenannte „Lebensschützer“ benutzen den §219a, um reihenweise ÄrztInnen anzuzeigen. Wie zum Beispiel die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die daraufhin vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde.
Die SPD preschte mit einem Gesetzenwurf vor. Der ist nun Makulatur
Nach dem skandalösen Urteil und einer Petition, die bisher über 150.000 Menschen unterzeichneten, taten sich Politikerinnen aus SPD, Linken, Grünen und der – wenn auch zögerlichen - FDP zusammen, um das Gesetz, das ÄrztInnen wie Frauen einschüchtert, abzuschaffen. Die SPD preschte forsch vor und legte einen Gesetzentwurf vor. Der ist nun Makulatur. Denn einen Tag vor der Kanzlerinnen-Wahl zogen die SozialdemokratInnen den Entwurf zurück und veröffentlichten, gemeinsam mit der Unions-Fraktion eine schwammige Erklärung: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, Möglichkeiten einer Lösung zu prüfen und einen Vorschlag vorzulegen.“
Dagegen gehen jetzt Ärztinnen und Ärzte auf die Barrikaden. 285 Frauen und Männer, die meisten von ihnen MedizinerInnen, unterschrieben einen Offenen Brief an die SPD-Fraktion. „Eine Zeit lang sah es so aus, als hätten wir Sie an unserer Seite“, schreiben sie. „Als hätten wir Sie mit unseren Erfahrungen und unseren guten, fachlichen Argumenten erreicht und überzeugt, dass der § 219a StGB gestrichen werden muss. Wir dachten, Sie haben erkannt, dass ein längst veralteter Paragraph schädlich für die Allgemeinheit ist und durch eine umtriebige Gruppe, die sich angeblich für den Schutz des Lebens einsetzt, instrumentalisiert wird.“
Und die UnterzeichnerInnen, darunter natürlich Kristina Hänel, machen deutlich, was passiert, wenn der Paragraf, den die Nazis erfunden haben, in Kraft bleibt und sich am zunehmend restriktiven Klima in Sachen Abtreibung nichts ändert: „Weiterhin werden nun Ärzte und Ärztinnen angezeigt, weiterhin haben Frauen in Flächenstaaten kaum und in Städten wie Trier gar keine Möglichkeiten mehr, Schwangerschaften abzubrechen. Weiterhin haben Behörden Angst, Listen mit Arztpraxen und Krankenhäusern zu veröffentlichen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Weiterhin stehen Mahnwachen der reaktionären ‚Pro-Life‘-Bewegung vor Pro Familia-Einrichtungen und belästigen Frauen, ihre Angehörigen und sogar deren Kinder. Weiterhin wird der Schwangerschaftsabbruch in der gynäkologischen Ausbildung unzureichend vermittelt. Weiterhin werden Ärzte und Ärztinnen vor Gericht gezerrt und verurteilt. Es gibt aktuell eine Reihe neuer Anzeigen. Weiterhin darf eine Hass-Seite wie babycaust.de ihre widerlichen Inhalte verbreiten und es gibt keine Möglichkeit, Frauen seriös im Internet zu informieren.“ Die ÄrztInnen fordern die SozialdemokratInnen auf: „Es gibt eine Rollback-Bewegung gegen unsere Rechte: Lassen Sie sich von denen nicht vor den Karren spannen!“
In Städten wie Trier können Frauen nicht mehr abtreiben
Es wäre schön, wenn die GenossInnen begreifen würden, wohin dieser Karren rollt: Zurück in Zeiten, in denen ungewollt schwangere Frauen keine ÄrztInnen mehr finden, die einen Abbruch vornehmen können oder wollen. Und die dann, ganz wie früher, im Ausland oder auf dem Küchentisch von „Engelmacherinnen“ landen. Das sollte auch Andrea Nahles wissen. Die Fraktionsvorsitzende und designierte Parteichefin hatte den Rückzugs-Deal mit dem CDU-Kollegen Volker Kauder ausgehandelt. Nahles hatte zuvor einen Brief vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) bekommen, in dem sie aufgefordert wurde, sich für den Erhalt des Paragrafen einzusetzen. Nahles ist selbst Mitglied im ZdK. Was Nahles auch wissen sollte: Wir leben nicht in einem Gottesstaat.
TV-Reportage zum Thema
"Pro Life - Abtreibungsgegner auf dem Vormarsch" - bis zum 4. Mai in der arte-Mediathek