§219a-Urteil: Schande für Deutschland

Gynäkologin Bettina Gaber (Mitte) mit ihrer Kollegin Verena Weyer nach dem Prozess: "Wir gehen in Berufung!" - Foto: Kate Cahoon
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„Wir stehen das durch!“ mit diesen Worten richtet sich die angeklagte Gynäkologin Bettina Gaber heute Morgen kurz vor Prozessbeginn an die klatschende Menge. Sie wirkt ruhig, stark und fest entschlossen.

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Nach Kristina Hänel und Nora Szász standen also erneut zwei Ärztinnen vor Gericht. Hunderte Frauen kamen am Freitagvormittag zum Prozessbeginn zum Amtsgericht nach Berlin. Zum Protest aufgerufen hatte das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, zu dem unter anderem Pro-Familia, der LSVB Brandenburg, Terre des Femmes, der DGB, die Grünen, die Linke und die SPD gehören. Auf Plakaten skandierten sie „Haltet meinen Uterus aus eurer Politik raus!“, „Endlich weg mit §218 und §219a“! oder „Mein Körper gehört mir!“.

Stoisch ziehen Bettina Gaber und ihre Kollegin Verena Weyer in den Gerichtssaal, der ironischerweise die Zahl 218 trägt. „Die Sachlage ist einfach“, sagte die Vorsitzende Richterin Christine Mathiak. Es sei auch nach der Reform des Paragrafen 219a nicht erlaubt, die Methode der Abtreibung auf der eigenen Webseite zu nennen. Als sie von „der Würde des ungeborenen Lebens“ spricht, stöhnt das Publikum laut auf. Die Richterin betonte, dass sie das Gesetz nicht für verfassungswidrig hält, wohl aber für ein politisch sehr kontroverses Thema. Ihrer Ansicht nach sei das durch die Ärztinnen verübte Unrecht nur „sehr, sehr gering“. Nichtsdestotrotz verurteilte sie die beiden Ärztinnen zu 2000 Euro Geldstrafe, 20 Tagessätze à 100 Euro. Begründung: Die Medizinerinnen hätten wegen ihres Vermögensvorteils für die Abtreibungen geworben. „Vermögensvorteil“ also.

Gaber und Weyer zeigten sich enttäuscht von dem Urteil

Nur kurz zur Erinnerung, wegen dieser Formulierung stehen die Ärztinnen vor Gericht: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber.“ Seit 2009 steht er auf ihrer Homepage. In den Fokus geraten sind die Ärztin und ihre Kollegin erst letztes Frühjahr, als deswegen Anzeige von den Abtreibungsgegnern Klaus Günter Annen und Yannic Hendricks erstattet wurde (EMMA berichtete). Der damalige Prozess löste eine Welle der Empörung und der Solidarität aus. Und, nach sehr viel öffentlichem Druck, die nicht einmal halbherzige Gesetzesreform.

Bettina Gaber und ihre Kollegin zeigten sich enttäuscht von dem Urteil, sprachen von „einem Schlag ins Gesicht“, wirkten dennoch gefasst. „Nach der Rechtssprechung im Fall Kristina Hänel (die Ärztin wurde zu 6000 Euro Strafe verurteilt) hätte mich ein Freispruch gewundert. Viel mehr erstaunt mich, dass eine Richterin während eines Prozesses über eine Formulierung auf einer Homepage von der `Würde des ungeborenen Lebens` spricht. Und mich wundert auch, dass der Ankläger mich auf seiner Homepage ungestraft ‚Holocaust-Ärztin‘ nennen darf“, sagte sie der EMMA.

Bettina Gaber denkt gar nicht ans Aufgeben. „Nein, nein, vor solchen Leuten darf man nicht einknicken.“ Dass es so viele andere machen, sei schlimm genug. „Ich werde getragen von einer Welle der Solidarität, da denke ich im Traum nicht daran aufzugeben.“ Überrascht sei sie aber vom großen Presseandrang gewesen. „Es ist für mich nicht gerade alltäglich, vor Fernsehkameras zu stehen. Aber es freut mich, dass ich die Presse auf meiner Seite habe. Ich habe noch keinen einzigen negativen Beitrag über den Fall gelesen. Wir haben nun eine Woche Zeit für die Revision, dann geht es weiter vor das Oberlandesgericht.“

"Den Satz von der Webseite nehmen - das war keine Option!"

Gaber hatte schon im Vorfeld betont, dass sie auch nach einer möglichen Verurteilung weiter über Methoden von Abtreibungen informieren wolle. Das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren einzustellen, wenn der strittige Satz von ihrer Praxis-Website genommen wird, sei „gar keine Option gewesen“. „Wir haben jetzt einmal den Kampf gegen diesen unsäglichen Paragrafen begonnen und möchten ihn auch weiter fortführen“, so die Ärztin kämpferisch. Es könne nicht sein, „dass sich Frauen umständlich über irgendwelche Listen, die immer noch nicht existieren, informieren müssen, wo welche Art von Schwangerschaftsabbrüchen angeboten wird“.

Die Formulierung, dass der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in ihrer Praxis „in geschützter Atmosphäre“ stattfindet, haben die beiden Ärztinnen schon vor Monaten gestrichen. Um den Rest des Satzes werden Gaber und Weyer weiter kämpfen. „Das sind wir den Frauen schuldig.“ Schon jetzt kommen ungewollt Schwangere 150 Kilometer aus Brandenburg in ihre Praxis am Steglitzer Rathaus, weil „bei ihnen in der Umgebung kein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch angeboten wird“.

Das Urteil war kaum gesprochen, da bot Katrin Raczynski vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg bereits die volle Kostenübernahme der Strafe an. Weiter sagte Raczynski: „Der Paragraf 219a, das von den Nationalsozialisten eingeführte Werbeverbot für den Abbruch der Schwangerschaft, ist ein Skandal und entmündigt bis heute jede einzelne Frau. Es ist ein Armutszeugnis, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch darüber diskutieren müssen, ob Menschen selbst über ihr Sexualleben und ihre Familienplanung entscheiden können. Der Paragraf 219a wäre längst abgeschafft, wenn er die Körper von Männern beträfe.“

Was zeigt dieses Urteil also wirklich? Es zeigt, dass die Reform des §219 ein schlechter Witz ist. Es zeigt, dass sich an einem ohnehin skandalösen Gesetz nichts geändert hat. Es zeigt, dass die Kriminalisierung von FrauenärztInnen munter weitergeht. Es zeigt, dass wir in einem Land leben, in dem Frauen wieder um ihre Würde kämpfen müssen. Es ist eine Schande für Deutschland!

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Alice Schwarzer schreibt

§ 219a: Der Skandal bleibt!

Foto: epd/Imago
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Seit Jahren werden ÄrztInnen wie Kristina Hänel, die auf ihrer Website informiert hatte, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, von fanatischen so genannten „Lebensrechtlern“ angezeigt (EMMA berichtete). Der aktuelle Gesetzentwurf verweist auf diese ÄrztInnen, die auf Basis des Paragrafen 219a verurteilt wurden. Sie sollen künftig straffrei über Abtreibung informieren dürfen. Doch damit ist der Skandal noch lange nicht beendet. Denn selbst nach der Abschaffung des §219a werden Frauen weiterhin vom halbherzigen §218 bedroht.

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Über eines wird im Zuge der Debatte über den §219a nur wenig geredet: über den §218. Denn der verbietet ungewollt Schwangeren bis heute, abzutreiben – und droht mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis! „Straflos“ ist laut §218a die Schwangere nur, wenn ein Arzt den Abbruch nicht später als in der zwölften Woche vornimmt – und wenn die ungewollt Schwangere mit der Bescheinigung einer „Beratungsstelle“ nachgewiesen hat, dass sie mindestens drei Tage vor dem Eingriff beraten wurde.

Die Frau darf nicht selbst über eine Schwangerschaft entscheiden!

Was will uns der Gesetzgeber damit sagen? Ganz einfach: Dass die Frau nicht selbst entscheiden darf, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht – sondern dass sie bei einem „Experten“ darum bitten muss, das tun zu dürfen. Der Kern des alten §218, der ein uneingeschränktes Abtreibungsverbot postulierte, ist damit erhalten: Die Frau darf eine so lebensentscheidende Frage wie „Mutterschaft Ja oder Nein“ nicht selbstbestimmt entscheiden! Vater Staat setzt ihr einen Vormund vor die Nase.

Im Vergleich zu dem von Frauen seit 1971 wieder bekämpften Abtreibungsverbot ist nur – oder sollten wir sagen: immerhin - schon eines erreicht worden: Ungewollt Schwangere, die sich von niemandem haben diktieren lassen auszutragen, landen heutzutage in Deutschland in der Regel nicht mehr auf dem Küchentisch einer „Engelmacherin“, wo sie ihre Gesundheit, die Gebärfähigkeit, ja ihr Leben riskieren. Sie dürfen den Eingriff von ÄrztInnen durchführen lassen. Voraussetzung: Dass sie schön Bittebitte machen.

Und die ÄrztInnen, diese Minderheit von MedizinerInnen, die trotz aller Drangsalierungen noch bereit ist, ungewollt Schwangeren zu helfen? Die müssen sich nicht nur die medizinischen Techniken einer Abtreibung mühsam aneignen (denn der Schwangerschaftsabbruch ist zwar der häufigste medizinische Eingriff bei Frauen, er wird aber nicht im Medizinstudium gelehrt). Sie müssen auch stark genug sein, die Missbilligung Konservativer und Scheinheiliger sowie die Hetze der „Lebensrechtler“ auszuhalten. Sie müssen auch bereit sein, auf Aufklärung ihrer eigenen Patientinnen zu verzichten, das verbot ihnen nämlich auch der reformierte §219a.

Es ist höchste Zeit, den §218 ganz abzuschaffen!

Absurd? Nein. Denn für alle, ungewollt Schwangere wie hilfsbereite ÄrztInnen, gilt weiterhin das Motto: Rechte habt ihr keine, wir gewähren euch bestenfalls die Gnade! Aber vielleicht überlegen wir uns das ja auch nochmal anders. Denn genau darum schaffen wir solche Gummiparagraphen: Damit wir die, je nach Zeitgeist und Machtverhältnissen, mal großzügig interpretieren – mal euch die Luft abdrehen können.

Diese Spielchen spielt der deutsche Rechtsstaat mit Frauen und ÄrztInnen jetzt seit 48 Jahren. Die durch Aufklärung und Proteste 1974 in der BRD so mühsam errungene Fristenlösung (die DDR hatte sie da schon), also das Recht, in den ersten drei Monaten abzutreiben, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, wurde in der BRD umgehend durch eine Verfassungsklage der CSU gestürzt (bei dem sechs Verfassungsrichter dem Kläger recht gaben und zwei widersprachen). Seither bewegt sich der deutsche Staat auf einem Zickzackkurs, auf dem er es vor allem einem recht machen will: dem Vatikan und seinen AnhängerInnen – statt seinen Millionen Bürgerinnen.

Die klägliche Debatte um den §219a hat gezeigt, dass es genauso höchste Zeit wäre, den §218 ganz abzuschaffen oder zumindest die Fristenlösung einzuführen. So wie es in allen deutschen Nachbarländern (außer Polen) längst der Fall ist, inklusive in schwer katholischen Ländern wie Irland oder Italien.

Worauf warten die Millionen Bevormundeten eigentlich, das endlich zu fordern?!

Alice Schwarzer

 

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