Starker Mann gesucht
Was, die? Die Antje Joel? Die ist von ihren Männern verprügelt worden? Die Kollegin, die im Jahr 2000 in EMMA einen Artikel über ihre so großartige „umgekehrte“ Familie geschrieben hat? Über eine Familie also, in der die preisgekrönte Journalistin das Geld für sich, ihren Hausmann und die sechs Kinder verdient. Und über ihren „spülenden, bohnernden Andreas“, einen „Mann, stark genug, eine starke Frau zu ertragen“. Eine taffe Frau in schwarzer Lederjacke war auf dem Foto zu sehen, daneben ein Mann mit Ohrringen, hipper Glatze und einem Kleinkind auf dem Arm: Antje und Andreas.
Und jetzt das. Der starke Andreas schlug irgendwann zu. Und er war nicht der erste. Mit 16 hatte die heute 54-jährige Antje Joel den ersten Mann kennengelernt, der sie windelweich prügelte.
Immer wieder liest Autorin Joel heute in den Kommentaren unter ihren Artikeln: „Das sind doch immer die gleichen, die so etwas mit sich machen lassen. Graue Mäuse, denen man schon von weitem ansieht, dass sie keinen Funken Selbstbewusstsein haben.“ Aber Antje Joel war keine graue Maus, sondern ein Punk mit orange gefärbten Haaren, als sie ihrem Schläger begegnete. Eine 16-Jährige in Bundeswehrhosen, die gegen die Tristesse ihres Kaffs im Weserbergland rebellierte. Auf den 334 Seiten ihres nun erschienenen Buches geht sie mit sehr genauem Blick der Frage nach, warum sie trotzdem „so etwas“ mit sich hat machen lassen.
Mädchen, hättest du das Maul gehalten, hätte ich dich für klüger gehalten
Heute weiß sie, dass sie es schon bei der ersten Begegnung mit P. hätte merken und die Reißleine hätte ziehen müssen. „Keine Frau, die mit mir unterwegs ist, zahlt ihre Getränke selbst“, sagt der gutaussehende Mann in Jeans und schickem Trenchcoat, als sich Antje in der Kneipe etwas bestellen will. „Frauen mögen diesen kleinen Kampf“, erklärt er, als er das zehn Jahre jüngere Mädchen beim ersten Sex quasi vergewaltigt. Warum heiratet sie diesen Mann und bekommt zwei Kinder mit ihm?
„Von uns hast du das nicht gelernt, Mädchen“, erklären Mutter und Stiefvater, als sie bemerken, dass die Tochter sich verprügeln lässt. Tatsächlich war der Stiefvater nie gewalttätig gewesen, lange hielt Tochter Antje die Ehe der beiden für „perfekt“. „Wie blöd musst du sein?“ fragt die Mutter. Sie findet P. witzig und charmant. Niemand unternimmt etwas, obwohl es alle wissen.
Nach und nach fügt Antje Joel die Puzzlesteine zu einem Bild zusammen. Es trägt den Titel: „Konstante Entwertung“. Der Stiefvater nennt die dralle Mutter „Mädchen“ und „Speckmaus“. Einer seiner Lieblingssprüche: „Mädchen, hättest du das Maul gehalten, hätte ich dich für klüger gehalten.“
Frauen geben den gelernten Selbsthass oft weiter - an ihre Töchter
Tochter Antje ist sechs, als ihr die Mutter gegen ihren Willen die langen Locken abschneiden lässt, weil das „praktischer“ ist. „Gott sei Dank!“ ruft der Stiefvater, als das Mädchen tränenüberströmt nach Hause kommt. Für fünf Minuten Verspätung bekommt die Teenie-Tochter vier Wochen Stubenarrest. Es gilt, ihre Jungfräulichkeit zu schützen: „Kein Mann kauft gern benutzte Ware.“ Als Antje verkündet, gern das Abitur machen zu wollen, sagt die Mutter: „Dich aufs Gymnasium zu schicken, wäre nur verschwendete Zeit und Geld. So schlau bist du nicht.“
„Frauen geben den gelernten Selbsthass oft eins zu eins weiter. An andere Frauen. In vorderster Schusslinie stehen ihre Töchter“, schreibt Antje Joel. Dass sie schon früh gelernt hat, wo der Platz einer Frau ist (an der Seite ihres Mannes) und was ihre Aufgabe ist (diesen Mann glücklich zu machen), schreibt sie aber keineswegs nur ihrer Prägung in einer ganz normalen Familie zu. Sie schlägt den Bogen von ihrem privaten Schläger P., „ein charmanter, blendender Entertainer“, zu öffentlichen Schlägern wie Pablo Picasso, der Frauen als „Fußabtreter“ bezeichnete und sie auch so behandelte.
Antje Joel prangert eine Kultur an, in der Feuilletonisten Picassos erniedrigte und misshandelte Frauen als „entscheidenden Katalysator seiner Entwicklung“ betrachten dürfen, sprich: als Kollateralschaden. Sie attackiert die weit verbreitete „Rape Culture“, in der ein Vergewaltiger in den USA zum Obersten Bundesrichter ernannt wird und romantische Komödien männliche Übergriffe romantisieren. Eine Studie der Universität Michigan belegt, dass Frauen, die gern romantische Komödien anschauen, dazu neigen, männliche Aggression eher zu tolerieren und als „Liebesbeweis“ zu werten.
Ihr zweiter Mann betrügt sie und fragt dann: Wo hast du versagt?
Joel beklagt den Umgang mit den Opfern von Beziehungsgewalt, die oft als die eigentlich Schuldigen betrachtet werden. Und sie fragt, was die immer noch reichlich traditionelle Rollenverteilung in deutschen Haushalten für die Machtverteilung in der Familie bedeutet. Aber selbst wenn die Rollen andersherum verteilt sind, ist das kein Garant für Gewaltfreiheit, denn die inneren Muster sind stark.
Joels zweiter Mann Andreas schlägt zunächst (noch) nicht, aber er betrügt seine Frau, die Familienernährerin, mehrfach. Findet sie es heraus, fragt er: „Wo versagst du, dass mir diese Frau überhaupt so nah kommen konnte?“ Und die Betrogene denkt über ihr Versagen nach.
Dem dritten Mann sprang Joel gerade noch von der Schippe. „Er kritisierte mich ständig, er suchte geradezu nach Fehlern.“ – „Und sie wollen trotzdem mit ihm zusammen sein?“ fragt der Therapeut. „Gerade deswegen“, sagt Joel – und trennte sich. Sie hat verstanden.
Aber die Geschichte ist hier leider nicht zu Ende. „Ich habe drei Töchter. Zwei von ihnen waren in gewalttätigen Beziehungen. Das könnte a) an der Statistik liegen (nach der hätte es eine bis zwei der vier Frauen in unserem Haushalt erwischen müssen) oder b) daran, dass ihre Mutter (ich), die in zwei gewalttätigen Beziehungen gelebt hat, es ihnen ‚so beigebracht‘ hat. Suchen Sie es sich aus.“
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Antje Joel: Prügel. Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt (Rowohlt, 12 €)