Steinzeit: "Ich Mann. Du Frau."

Wandmalereien in der "Cueva de las Manos", der Höhle der Hände, in Argentinien.
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Geben Sie doch aus Spaß mal bei der Google-Bildersuche die Begriffe „Höhlenmalerei“ oder „Felsbildkunst“ ein. Zwischen all den Mammuts, Urpferden und Bisons, die jetzt zu Hunderten auf Ihrem Bildschirm erscheinen, finden sich auch Bilder von Steinzeitmenschen – zumindest das, was Museen oder SchulbuchmacherInnen sich unter unseren Vorfahren vor 40 000 Jahren vorstellen. Auf diesen Zeichnungen, die zeigen sollen, wie es in der prähistorischen Kunstszene so lief, haben die pinselnden und ritzenden Steinzeitkünstler alle einen wilden Wuschelbart. Es sind – Überraschung! – ausschließlich Männer.

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Nur eine einzige Steinzeit-Frau taucht in der Ergebnisliste auf – sie ist eher die Sorte Kunstverhinderin: Ein fellbekleideter Junge zeichnet eine Jagdszene an die Höhlenwand und Mama meckert: „Hör endlich auf, die Wände zu beschmieren!“ Was wollen uns die KuratorInnen, KunsthistorikerInnen und KarikaturistInnen damit sagen? Der Höhlenmann: ein genialer Kreativer. Die Höhlenfrau: die keifende Kunstbanausin. Und weil das schon zu Fred und Wilma Feuersteins Zeiten so war, hat man auch gleich eine wunderbare Erklärung dafür parat, warum auch in den Museen der Jetztzeit 90 Prozent der Werke von männlichen Künstlern stammen. War eben schon immer so.

Menschen, die Mario Barth nicht nur komisch finden, hegen allerdings vermutlich Zweifel. Dass diese Zweifel nun zur Gewissheit werden können, ist einer Ausstellung in Freiburg zu verdanken: „Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?“ fragt die Schau im Archäologischen Museum Colombischlössle und gibt eine klare Antwort: Feste Rollen? Nö, gab’s gar nicht. „Die Idee vom steinzeitlichen Jäger alias ‚Ernährer‘ und der Sammlerin alias ‚Hausfrau und Mutter‘ ist eine Fiktion“, erklärt die Kuratorin Brigitte Röder im Ausstellungskatalog. Zur Untermauerung dieser These haben die AusstellungsmacherInnen eine Menge Indizien zusammengetragen. Zum Beispiel die Höhlenmalereien.

"Die Idee vom Mann als Jäger und der Frau als Sammlerin ist eine Fiktion"

Rund um den Erdball haben ArchäologInnen in über 40 Höhlen Handabdrücke gefunden, die als Ausdruck künstlerischer Kreativität gelten: Die Hand wurde an die Felswand gelegt, dann besprühte man das Umfeld mit Hilfe eines Schilfröhrchens oder Vogelknochens mit roten oder schwarzen Pigmenten. So entstanden vor rund 25 000 Jahren Wandbilder aus Negativabdrücken der Hände von Menschen, bzw. Männern, wie die traditionelle Forschung unterstellt. Davon darf ausgegangen werden, weil sich neben den Händen oft auch Zeichnungen von Wild und Jagdszenen fanden. Und die konnten ja nun wirklich nur Männer …

Ein Forscherteam um den Amerikaner Dean Snow und den Briten Paul Pettitt untersuchte die Handabdrücke in spanischen und französischen Höhlen nun genauer und stellte fest: Drei Viertel der Abdrücke stammten von Frauenhänden. „Were the first artists mostly women?“ fragte der National Geographic daraufhin.

Die Wissenschaftszeitschrift berichtete, wie ein anderer Wissenschaftler, der Evolutionsbiologe R. Dale Guthrie, die Sache noch wenige Jahre zuvor gedeutet hatte: Die für Männer sichtbar zu kleinen Handabdrücke, hatte Guthrie behauptet, stammten von männlichen Jugendlichen. Denn die Höhlen, so spekulierte der Wissenschaftler, seien für Erwachsene gefährlich bzw. uninteressant gewesen. Nur junge Männer habe ihre Abenteuerlust an diese Orte getrieben. „Dort haben sie dann gemalt, was sie im Kopf hatten und das waren vor allem zwei Dinge: große, gefährliche Säugetiere und nackte Frauen.“ Aha.

„Lange Zeit gab es in der Forschungeine männliche Verzerrung“, entgegnet Archäologe Snow, dessen Blick offenbar weniger testosteronvernebelt ist als der seines Kollegen Guthrie. Kein Wunder: Über rund 400 Jahre waren Archäologen und Ethnologen ein reiner Männerverein, der seine Funde zielsicher in sein patriarchales Koordinatensystem einordnete.

Das änderte sich erst mit der Neuen Frauenbewegung der 1970er. Die brachte nicht nur Abtreibungs-Demos, sondern auch Archäologinnen-Netzwerke hervor. Hinzu kam eine fortschreitend höher entwickelte Technik, die immer präzisere Analysen der Funde ermöglichte.

So wurde anno 1971 im Städtchen Fridingen an der Donau bei Kanalisationsarbeiten ein Friedhof aus dem 6. Jahrhundert n.Chr. entdeckt. In Grab 66 bargen die Archäologen ein Kurzschwert im Oberschenkel- und ein Messer im Brustbereich des Verstorbenen. In Grab 75 fand man bei der bestatteten Person zwei Perlenketten, zwei Bronzeringe, ein Messer, eine Spindel und verschiedene Schnallen. Die Schlussfolgerung der Forscher lag auf der Hand: In Grab 66 war ein Mann, in Grab 75 eine Frau bestattet worden. Man ahnt die Pointe: Es war genau andersherum. Die anthropologische Untersuchung der Skelette ergab: Schwert und Messer hatte man einst einer Frau mit ins Jenseits gegeben, Perlen und Schnallen einem Mann.

Eine Spindel, Perlenketten, Bronzeringe - hier musste ein Mann begraben sein. Oder?

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie ganze im Erdreich wühlende Forschergenerationen ihren Funden ihr Geschlechterrollen-Förmchen überstülpten und mit ihren Fehlinterpretationen genau jene Rollenklischees, die zu ihrem Fehlschluss geführt hatten, aufs Schönste bestätigt sahen. Diesen Zirkelschluss aufzubrechen, trat die Freiburger Ausstellung an. Den AusstellungsmacherInnen, allen voran die federführende Brigitte Röder, ist klar, welche Bedeutung der Blick auf die Steinzeit auch für das Heute hat. Die Professorin für ur- und frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Basel hat als Forschungsschwerpunkt die „Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Prähistorischer Archäologie“. Röder analysiert, welche Funktion das so selbstverständlich postulierte Bild vom steinzeitlichen Jäger, der ermattet von der Mammutjagd zurückkehrt und von seiner sammelnden Gattin und ihrer großen Kinderschar mit dem fertigen Braten am Lagerfeuer empfangen wird, in Zeiten des Gendertroubles hat: „Angesichts sich auflösender Gewissheiten soll der Blick zurück in die Vergangenheit Orientierung und festen Boden unter den Füßen verschaffen. In dieser Situation haben der Jäger und die Sammlerin mit ihren gemeinsamen Kindern ihren großen Auftritt.“

Sie werden zu „Kronzeugen für die angeblich ‚ursprünglichen Geschlechterrollen des Menschen‘ und rufen ein urgeschichtliches Geschlechterparadies aus, in dem Männer und Frauen ‚noch wussten‘, was sie aufgrund ihrer angeborenen biologischen Eigenschaften zu tun und zu lassen hatten – und sich auch daran hielten.“

Diese Kronzeugenregelung macht sich nicht nur Mario Barth zunutze. Spitzenprofiteure des „Männer-und-Frauen-sind-nun-mal-von-Natur-aus-so“-Deals sind auch Allan und Barbara Pease, die in ihrem Bestseller erklärten, warum Männer angeblich nicht zuhören und Frauen nicht einparken können. Liegt alles an der Steinzeit. Er ständig auf Mammutjagd unterwegs, was die Fähigkeit zum Einparken bekanntlich optimal schult; sie mit den Kindern brabbelnd am Feuer, an dem sich der Gatte nach seiner Rückkehr ermattet niederlässt und stumm in die Flammen stiert. Und verspürt er trotz rechtschaffener Erschöpfung den Drang, sein Erbgut weiterzugeben, schleift er sie an den Haaren in die Höhle. Aber leider, leider wurde diese ebenso sinnvolle wie einfache Arbeitsteilung „in unserer modernen, zivilisierten Welt abgeschafft und die Folgen sind Chaos, Verwirrung und Unzufriedenheit“, bedauert das Ehepaar Pease.

Doch auch jenseits des Duos Pease treibt das gängige Steinzeit-Klischee bisweilen erstaunliche Blüten. „Forscher: Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen“, vermeldeten 2006 die Nachrichtenagenturen. Auslöser dieser erstaunlichen Meldung war ein Fachartikel des kanadischen Ethnologen Peter Frost, der eine steile und – um im Bild zu bleiben – an den Haaren herbeigezogene These verkündete.

Gegen Ende der letzten Eiszeit habe Nahrungsmittelknappheit geherrscht, so dass die Männer zu immer riskanteren Großwildjagden aufbrechen mussten. Aufgrund des dadurch entstehenden Männermangels hätten die verbliebenen Männer unter den Frauen, die selbstredend auf der Suche nach einem Ernährer waren, freie Auswahl gehabt. Und sich in dieser luxuriösen Situation für die exotischen blauäugigen, blonden Weiber entschieden, die praktischerweise gerade durch eine Mutation entstanden waren. Schon der Steinzeitmann bevorzugte Blondinen.

Frauen lieben rosa - weil sie in der Steinzeit Beeren sammelten?

Eine weitere „Studie“ zweier britischer Psychologinnen erklärte die exzessive Vorliebe von Mädchen und Frauen für Rottöne und insbesondere die Farbe Rosa. Verantwortlich für das Faible ist nämlich keinesfalls der Lillifee-Terror, sondern die Tatsache, dass sich das Gehirn der Steinzeitfrau bei der Beerensuche auf Rottöne eingegroovt hat. Die Blaubeere, die Mirabelle, der Pilz? Geschenkt. Alles schon Millionen Jahre her? Egal. Die Tatsache, dass Rosa kulturell überhaupt erst in den 1950er Jahren als „Mädchenfarbe“ auftauchte? So what. Und warum bevorzugen Jungen angeblich die Farbe blau? Weil der Steinzeitjäger am liebsten in den ungetrübten blauen Himmel guckte, der prächtiges Jagdwetter verhieß. Himmel hilf!

Der Philosoph Peter Sloterdijk rekurrierte ebenfalls auf die Steinzeit, als er erklärte, warum die Frau „kapitalismuskompatibler“ sei als der Mann. „In der Konsumentin zeigt sich noch immer diese stille, triumphale Genugtuung der Sammlerin, die in ihrem Korb etwas heim bringt.“ Und weiter, Achtung: „Daraus ist dieses mysteriöse weibliche Universal der Handtasche entstanden. Eine Frau ohne Handtasche, das ist wider die Natur.“ Soweit der Philosoph aus Karlsruhe.

Klingt alles lustig, ist aber eine ernste Sache. Schließlich füllt Mario Barth Stadien, das Pease-Pamphlet kauften 20 Millionen Menschen und Sloterdijk hatte eine Fernsehsendung.

Die Freiburger Ausstellung belegt klar, worum es sich bei all dem Jäger-Sammlerin-Handtaschen-Rosa-Steinzeit-Gefasel handelt: um ein „Märchen“. Denn entgegen der Behauptung, dies seien in Stein gemeißelte Tatsachen, ist die Faktenlage naturgemäß äußerst dürftig. Schließlich sprechen wir bei der Steinzeit von einer Zeitspanne von 2,5 Millionen Jahren. In dieser beachtlich langen Zeit gab es „warme Phasen mit einem üppigen Angebot an Sammelpflanzen und Früchten, während die Palette an pflanzlicher Nahrung in Kaltphasen wesentlich begrenzter war. Die Anteile der Ernährung, die jeweils durch Jagd oder Sammeln gedeckt wurde, schwankten erheblich – und damit variieren zugleich potenziell vorhandene Formen einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung“, erläutert Ur-Historikerin Röder.

Die Mutterschaft weiblicher Jäger hat ihre Mobilität nicht eingeschränkt

Das Stereotyp von der urzeitlichen Beerensammlerin erweist sich auch laut Archäologin und Ethnologin Sibylle Kästner als „völlig überholt“. Betrachte man nämlich Naturvölker, in der Fachsprache „rezente Beutejäger“, die heute noch unter frühzeitlichen Bedingungen leben, findet man sie auf der ganzen Welt: die Jägerinnen und die Fischerinnen. Die Vorstellung, dass die Frau durch zahllose Geburten an das heimische Lagerfeuer gebunden und dadurch jagdunfähig war, ist vor allem durch unser heutiges Rollenverständnis geprägt als von der Realität untermauert.

„Frühere Forscher glaubten, dass die Mutterschaft die Mobilität der weiblichen Sammler-Jäger eingeschränkt und sie auf monotone, sich wiederholende Tätigkeiten beschränkt hat. Bei Wildbeutern sind aber die Frauen durch die Schwangerschaften, das Stillen und die Kinderpflege nicht in dem Maße behindert, wie oft behauptet wird“, erklärt Linda W. Owen, Professorin für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Tübingen.

Denn erstens bekomme die „Wildbeuterin“ in ihrer gesamten fruchtbaren Zeit überhaupt nur vier bis fünf Kinder, die zweitens aufgrund hoher Kindersterblichkeit nicht zwingend überlebten. In Jäger-Sammler-Kulturen setze aufgrund von knapper Ernährung und harter Arbeit die Menstruation erst spät ein, im Schnitt mit 17 Jahren. Durch Stillzeiten von drei bis vier Jahren werde der Eisprung gehemmt, und auch die Wechseljahre begännen früher. Hinzu kommt: „Durch Kleinkinder sind die Frauen keineswegs an das Lager gebunden. Sie werden oft überall hin mitgenommen. Die Kinderpflege wird auch nicht allein von der Mutter durchgeführt. Kinder werden auch oft in die Obhut von älteren Kindern oder Erwachsenen gegeben.“

Kollegin Kästner bestätigt: „Es liegen ethnografische Daten über Wildbeuterinnen aus nahezu allen Weltregionen vor, die direkt oder indirekt, mit anderen Frauen und/oder mit Männern an Jagden auf Klein- und Großwild teilnehmen. Manche begeben sich gelegentlich auf die Suche nach tierischer Beute, andere regelmäßig, die einen menstruierend oder schwanger, mit oder ohne Kinder, im Rahmen von Geschlechterrollenwechseln oder als selbstverständlicher Teil ihrer Frauenrolle.“ So nehmen an den bis zu achtstündigen Netzjagden von Pygmäengruppen in Zentral-afrika Frauen, Männer und Kinder ab fünf Jahren teil. Kästner: „Das Kinderkriegen beeinträchtigt die Frauen in keinster Weise, oft nehmen sie schon weniger als fünf Tage nach der Geburt wieder an der gemeinsamen Jagd teil.“ Südafrikanische Ju’/hoan-Frauen zum Beispiel gelten als „exzellente Spurenleserinnen, die ihre Ehemänner regelmäßig auf der Pirsch begleiten“.

Und so überrascht es auch nicht weiter, dass Gräber von Frauen, die aufgrund der beigelegten Waffen höchstwahrscheinlich Jägerinnen waren, ebenfalls auf der ganzen Welt gefunden wurden. Im russischen Sunghir entdeckte man sogar das Grab eines neun- bis zehnjährigen Mädchens, das mit mehreren Lanzen bestattet wurde. Und sehr wahrscheinlich waren Frauen nicht nur Jägerinnen, sondern auch Werkzeugmacherinnen oder Bergarbeiterinnen.

Es wird Zeit für ein neues Bild der Frau in der jüngeren Steinzeit!

In einem Grab in Stetten an der Donau fand man in einem jungsteinzeitlichen Grab das Skelett einer Frau, die mit Knochenspitzen, einem Schleifstein und einer Feuersteinklinge beerdigt wurde. Neben dem größten bekannten Salzbergwerk der Bronze- und Eisenzeit im Salzkammergut liegen in einem Gräberfeld diejenigen begraben die um 1500 v.Chr. in dem Bergwerk schufteten: Männer, Frauen und Kinder. Alle Skelette zeigen die gleichen schweren Abnutzungsspuren durch die gleiche schwere Arbeit.

Die Freiburger Ausstellung, die all das dokumentiert, ist übrigens nicht die erste ihrer Art. Bereits 1998 unternahm das Düsseldorfer Neanderthal-Museum mit „Frauen-Zeiten-Spuren“ einen Versuch, die steinzeitlichen Geschlechterklischees zu knacken. Zum Beispiel, indem sie auf unsere nächsten Verwandten hinwies: die Menschenaffen. „Beim Zwergschimpansen sind die Weibchen das bestimmende Geschlecht. Ein interessantes Phänomen ist, dass Weibchen bei der Werkzeugherstellung und -nutzung erheblich größeres Geschick aufweisen als ihre männlichen Gruppenmitglieder. Weibchen sind die ‚Technikerinnen‘, die dieses Know-How auch an den Nachwuchs weitergeben.“

Und als das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg 2010 die Ausstellung „Eiszeit – Kunst und Kultur“ ins Leben rief, widmete sich immerhin ein Kapitel des Begleitbandes der Geschlechterfrage: „Männer jagen, Frauen kochen?“ Das Fragezeichen erwies sich auch hier als äußerst berechtigt. Der Mann als Familienernährer, die Frau als Herdhüterin? „Hypothetisch“ und auf „kulturellen Vorurteilen über die Geschlechter und die Fähigkeiten von Frauen basierend“. Fazit: „Wir können ein neues Bild der Frau in der jüngeren Steinzeit erschließen.“

Apropos Bild der Frau. Geben Sie mal aus Spaß bei der Google-Bildersuche den Begriff „Entwicklung des Menschen“ ein. Auf dem Bildschirm erscheint in zigfacher Ausführung der bekannte Zeitstrahl vom gebeugten Affen bis zum Faustkeil und
Speer tragenden aufrechten – Mann. Nur in einem nordrhein-westfälischen Schulbuch darf auf dem evolutionären Weg der Menschheit eine Steinzeitfrau mitmarschieren, immer abwechselnd mit dem Steinzeitmann. Eine Steinzeit-Quote täte Not. Wohlgemerkt: Nur für die Darstellung. In der Realität hatten Steinzeitfrauen und -männer die Quote offenbar nicht nötig.

Chantal Louis
 

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Brigitte Röder (Hg): Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten? (Rombach Verlag, 19.80 €).
 

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Über Höhlenmenschen & Blondinen

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Forscher: "Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen". Diese Meldung ging Ende Februar 2006 über die Nachrichtenticker und verbreitete sich innerhalb weniger Tage von Brasilien bis Südkorea über den ganzen Erdball. Peter Frost, der kanadische Ethnologe, der die Schlagzeile mit einem Fachartikel ausgelöst hatte, vermerkt das weltweite Medienecho stolz auf seiner Homepage. Und allein die Ein­gabe „Höhlenmänner Blondinen“ in eine Suchmaschine ergibt 514 deutschsprachige Websites, auf denen diese Meldung Thema ist.

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Fotos prominenter Blondinen, die für Sex-Appeal stehen, unter anderem Heidi Klum, Brigitte Bardot und Marilyn Monroe, suggerieren passend zum Text, dass Blondinen „zeitlos begehrenswert“ sind. ­Allein der Bayerische Rundfunk weicht von diesem Schema ab und erinnert daran, dass auch Blondinen nicht nur körperliche Reize haben: Er präsentiert die Photomontage einer strahlenden Alice Schwarzer an der Seite eines verhärmt wirkenden, deutlich schmächtigeren Höhlenmannes. Darunter ist zu lesen: „Blond, aber nicht blöd: Alice Schwarzer mimt die Höhlenfrau.“

Die Story zur Schlagzeile ist schnell erzählt: Gegen Ende der letzten Eiszeit habe Nahrungsmittelknappheit geherrscht, so dass die Männer zu immer gefährlicheren Großwildjagden genötigt worden seien, die für viele tödlich geendet hätten. Infolge des Nahrungs- und Männermangels hätten die noch verbliebenen Männer unter der großen Überzahl der auf einen Ernährer wartenden Frauen freie Auswahl gehabt. Eine natürliche Mutation, die sich damals ereignet haben soll, bereitete der Qual der Wahl jedoch ein rasches Ende: Erstmals seien zu dieser Zeit Frauen mit blondem Haar und leuchtend blauen Augen aufgetaucht, und die Männer hätten sich angesichts des Überangebotes an Fortpflanzungspartnerinnen für das ‚Exotische‘ entschieden.

Damit hätten sie einen starken Selektionsdruck auf die für blondes Haar und blaue Augen zustän­digen Gene ausgeübt, was erkläre, dass Haar- und Augenfarben in Europa im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt heute relativ variantenreich seien.

Manche Redaktionen hielten am Ende des Artikels dann noch ein Trostpflästerchen für ihre dunkelhaarigen Leserinnen bereit und verwiesen auf eine WHO-Studie. Laut dieser Studie schrumpfe der Genpool für blondes Haar infolge der aktuellen weltweiten genetischen Durchmischung kontinuierlich, so dass die Dunkelhaarigen in etwa 200 Jahren wieder unter sich seien. Angesichts der Tatsache, dass die konkurrenzfreie Zukunft außerhalb der eigenen Lebensspanne liegt, ist dieser Ausblick wahrhaft ein schwacher Trost.

Da lässt der Verweis auf eine psychologische Studie in Stern-Online schon eher aufhorchen: Männer sollen neuerdings vermehrt an intensiven, gleichberechtigten Partnerschaften interessiert sein. Das wiederum käme einem Selektionsvorteil für die Brünetten und Schwarzhaarigen gleich, denn die männliche Psyche assoziiere Dunkelhaarige mit Verstand, Blondinen eher mit körperlichen Reizen.

Doch zurück zur eigentlichen Story: Was lernen wir aus ihr? 1. Die Rolle der Männer war es seit jeher, Frau und Kind zu ernähren. 2. Die Nahrungsgrundlage war die Jagd. Männer sind also ursprünglich Jäger. 3. Frauen sind von Männern existenz­iell abhängig, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu ernähren. 4. Deshalb geht beim ‚Homo sapiens sapiens‘ die Partnerwahl stets von den Männern aus. 5. Die sexuelle Orientierung des Menschen ist grundsätzlich heterosexuell und monogam. 6. Die sexuelle Präferenz der Männer gilt schon seit Urzeiten blonden Frauen. Und: Das alles ist wissenschaftlich bewiesen.

Doch was steckt aus wissenschaftlicher Sicht hinter dieser Geschichte, die in den Medien auf so viel wohlwollendes Interesse und Zustimmung gestoßen ist?

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Ethnologe wie Peter Frost mit fachlicher Spezialisierung auf Polar­völker nach wie vor die Großtierjagd als die Existenzgrundlage in nördlichen Breiten präsentiert. Diese Lesart der ethnographischen Quellen ist für die meisten Ethnologinnen indessen passé. Längst ist Konsens, dass ethnographische Berichte immer durch den speziellen Blick der Berichterstattenden geprägt und verzerrt sind.

So kam auch die angeblich so existenzielle Bedeutung der männlichen Großtierjagd auf den Prüfstand. Sie wird nun kritisch als Produkt der Faszination relativiert, welche diese Jagdform auf die europäischen Berichterstatter ausübte. Bei diesen handelte es sich zunächst nämlich ausnahmslos um Männer – um Trapper, Pelzhändler, Missionare und Entdecker, später dann auch Ethnologen –, die aus einem kulturellen Kontext stammten, in dem die spektakuläre, zuweilen auch gefährliche Großtierjagd der adligen und mondänen Männerwelt vorbehalten war und zu einer speziellen Form männlicher Selbststilisierung gehörte.

In neueren ethnographischen Forschungen wird auf die Vielfalt der genutzten Nahrungsressourcen hingewiesen, unter denen Großtiere eine, aber nicht unbedingt die wichtigste – und vor allem bei weitem nicht die verlässlichste – Kalorienquelle darstellen. Auch pflanzliche Nahrungsmittel und Fisch sind seit einiger Zeit vermehrt in den Fokus der Forschung gelangt, und so zeichnet sich heute eine überraschend vielfältige Nutzung von tierischen und pflanzlichen Ressourcen ab.

Systematisch ausgelotet wurde diese Vielfalt von Linda Owen, einer Prähistorikerin an der Universität Tübingen, die auf die ausgehende Altsteinzeit, also genau auf den Zeitabschnitt spezialisiert ist, zu dem Frost seine Thesen entwickelt hat.

Da sich die Interpretationen der Urgeschichtsforschung stark auf ethnographische Vergleiche zu modernen Polarvölkern stützen und somit auch durch sie massiv beeinflusst werden, hat Linda Owen die ethnographischen Quellen in einem 2005 veröffentlichten Buch einer gender-kritischen Neulektüre unterzogen. Danach erscheint der Anteil, den Frauen und Männer jeweils an der Nahrungsbeschaffung hatten, in einem völlig neuen Licht.

Und auch die Recherche zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erbrachte Neues: In allen Ethnien wurden viele, aber nicht alle Arbeiten geschlechtsspezifisch aufgeteilt. Diese Formen der Arbeitsteilung wurden situationsbedingt aber durchaus flexibel gehandhabt: Wenn in einer Familie beispielsweise männlicher Nachwuchs fehlte, wurde die Tochter zur Jagd ausgebildet und nahm auch an Großtierjagden teil.

Linda Owen hat die archäologischen Quellen unter Einbeziehung vegetations-, faunen- und klimageschichtlicher Daten für Südwestdeutschland systematisch zusammengestellt. Besondere Aufmerksamkeit schenkte sie dabei den pflanzlichen und tierischen Resten aus archäologischen Fundstellen. Aufgrund  ihrer von archäologischen Befunden ausgehenden Untersuchung kommt sie zu dem Schluss, dass für die ausgehende Eiszeit eine ähnlich differenzierte Nutzung von Nahrungsquellen zu erwarten ist, wie sie das für moderne Polarvölker zeigen konnte.

Welche Aufgaben Frauen und Männer im Rahmen dieser Subsistenzsicherung im Einzelnen hatten und ob das überall dieselben waren, ist heute kaum noch zu eruieren. Die bisher vorliegenden anthropologischen Untersuchungen von Skelettresten aus dieser Zeit sprechen jedoch dafür, dass Frauen und Männer ähnliche Tätigkeiten ausübten.
So wurde festgestellt, dass die Zähne von Frauen und Männern dieselben Abkauungsspuren aufweisen, die vom Weichkauen von Leder stammen dürften. Auch bei den Knochenbrüchen zeigen sich keine geschlechtsspezi­fischen Unterschiede: Offenbar waren Männer und Frauen ähnlichen körperlichen Beanspruchungen und Gefahren ausgesetzt.

Geht man von den archäologischen Quellen aus und bezieht systematisch naturwissenschaftliche Untersuchungen von Nahrungsresten mit ein, so ist der urgeschichtliche Jäger, der seine Kleinfamilie mit Großwild ernährt, genauso als Jäger­latein zu bewerten wie die abhängige Ehefrau, die mit ihren Kindern hungrig am heimischen Feuer sitzt und unruhig darauf wartet, dass der Gatte mit einem Mammut nach Hause kommt.

Trotzdem tauchen der urgeschichtliche Jäger und sein weibliches Gegenüber, die urgeschichtliche Sammlerin, in vielen aktuellen Debatten auf. Sie sind als Referenz und Argumentationsfigur fast omnipräsent – angefangen bei Trennkost und Blutgruppendiät, die funktionieren sollen, weil sie angeblich der Ernährungsweise der urgeschichtlichen Jäger und Sammlerinnen entsprechen, bis hin zu Erläuterungen, was unter pervertierter Weiblichkeit bzw. Männlichkeit zu verstehen sei.

Einfache Lösungen für ein großes Problem verspricht das AutorInnenpaar Allan und Barbara Pease mit seinem Bestseller „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“. Mittlerweile um griffige Kurzformen im Hemdtaschenformat ergänzt, wurden die Bücher des Paares weltweit mehr als 20 Millionen Mal verkauft. Das große Problem, das Pease & Pease laut Verlagswerbung durch eine Verbindung „neuester Erkenntnisse der Gehirn- und Evolutionsforschung mit aktueller Verhaltenspsychologie“ ergründen, erklären und lösen möchten, ist das Geschlechterverhältnis. Sowohl die Ursachen als auch die Lösungen sieht das Autorinnenpaar ausnahmslos in den „kleinen, aber bedeutsamen Unterschieden zwischen Mann und Frau“, für die sie „ganz natürliche Erklärungen“ parat haben. Und die schöpfen sie unter anderem aus der Urgeschichte – kompakt nachzulesen in einer Kurzversion aus dem Jahre 2005, und zwar einem Kapitel mit dem griffigen Titel „Wie wir das geworden sind, was wir sind“.

Das Kapitel beginnt im Stil eines Märchens: „Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebten Frauen und Männer noch glücklich zusammen und gingen in Harmonie ihrer Arbeit nach. Der Mann wagte sich Tag für Tag in eine feindliche und gefährliche Welt hinaus, wo er als Jäger sein Leben riskierte, um seiner Frau und seinen Kindern Nahrung zu beschaffen, und zu Hause verteidigte er sie gegen wilde Tiere und andere Feinde.“ Es folgen Aufzählungen der Arbeiten, denen Männer und Frauen „in Harmonie“ nachgegangen sein sollen, die in absoluter Reinform dem Geschlechter- und Rollenverständnis der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts entsprechen: „Es war ziemlich einfach: Er war der Beutejäger, sie die Nesthüterin.“ Doch die paradiesische Frühzeit der Menschheit ist – zumindest für die „zivilisierte Welt“ – vorbei.

Die Frage nach dem emanzipatorischen Holzweg beschäftigt bekanntlich auch Eva Herman. Sie schreibt: „Betrachten wir einmal den soziologischen und biologischen Kontext. Der Mann steht in der Schöpfung als der aktive, kraftvolle, starke und beschützende Part, die Frau dagegen als der empfindsamere, mitfühlende, reinere und mütterliche Teil. In den zurück liegenden Jahrtausenden richtete die Menschheit ihre Lebensform nach dieser Aufteilung aus, die Rollen waren klar definiert. Der Mann ging zur Jagd, später zur Arbeit und sorgte für den Lebensunterhalt der Familie, die Frau kümmerte sich um das Heim, den Herd, die Kinder und stärkte ihrem Mann den Rücken durch weibliche Fähigkeiten wie Empathie, Verständnis, Vorsicht. (…) Welche Gnade sich in dieser schöpfungsgewollten Aufteilung findet, kann man heute nur noch selten beobachten. Wenn sie aber eingehalten wird, so hat das in aller Regel dauerhafte Harmonie und Frieden in den Familien zur Folge.“

Auch die Schilderung des prähistorischen Geschlechterparadieses von Eva Herman mit seiner „schöpfungsgewollten“ Rollenteilung endet mit einem Schwenk auf die Gegenwart, bei dem sogar der Untergang der menschlichen Spezies als unterschwellige Drohung mitschwingt: „Seit eini­gen Jahrzehnten verstoßen wir Frauen  zunehmend gegen jene Gesetze, die das Überleben unserer menschlichen Spezies einst gesichert haben.“

Selbst der Philosoph Peter Sloterdijk hat präzise Vorstellungen vom „Wesen“ und den Aufgaben urgeschichtlicher Männer und Frauen, die er in einem etwas überraschenden Kontext äußerte.

Vom Spiegel gefragt, ob er sich die WM als Fan oder als Philosoph angucke, antwortet Sloterdijk: „Eher als ein Mensch, der sich für die Archäologie der Männlichkeit interessiert. Das Fußballspiel ist atavistisch, und es ist eine anthropologische Versuchsanordnung. Seit einigen tausend Jahren suchen die männlichen Menschen nach einer Anwort auf die Frage: Was macht man mit Jägern, die keiner mehr braucht? Von unserem anthropologischen Design her sind Männer so gebaut, dass sie an Jagdpartien teilnehmen.“ Und wie sieht es mit der heutigen Frau aus? Stellt Sloterdijk ähnlich alarmierende Deformierungen ihrer Weiblichkeit fest? „Frauen sind herkunftsmäßig Sammlerinnen“, erläutert der Philosoph im Interview, „und die braucht man heute mehr denn je, denn aus der Sammlerin wird auf dem kürzesten Weg die Konsumentin. Frauen sind in diesem Punkt viel kapitalismuskompatibler als Männer. In der Konsumentin zeigt sich noch immer diese stille, triumphale Genugtuung der Sammlerin, die in ihrem Korb etwas heimbringt. Daraus ist dieses mysteriöse weibliche Universal der Handtasche entstanden. Ein Mann ohne Speer oder ohne Ball, das geht ja noch, aber eine Frau ohne Handtasche, das ist wider die Natur.“

In einem Punkt sind sich alle AutorInnen einig: Die urgeschichtlichen Jäger und Sammlerinnen sind ein zentraler Referenz- und Orientierungspunkt in der aktuellen Geschlechterdebatte. Abweichungen vom „anthropologischen Design“ der Geschlech­ter (Peter Sloterdijk), von den „schöpfungsgewollten“ (Eva Herman) bzw. den „natürlichen“ (Pease) Geschlechterrollen haben gravierende Folgen.

Bleibt zu guter Letzt noch die Frage zu klären, woher diese weit verbreitete und offensichtlich tief verwurzelte Gewissheit eigentlich stammt, dass die urgeschichtlichen Jäger und Sammlerinnen die ‚ursprüngliche‘ und ‚natürliche‘ Geschlechterordnung unsere Spezies verkörpern sollen. Die Urgeschichtsforschung kann das zweifelhafte Verdienst der Urheberschaft jedenfalls nicht für sich beanspruchen, denn diese Vorstellungen sind älter als das Fach, das sich erst im ausgehenden 19. Jahrhundert als Disziplin konstituierte. Schöpferin dieser Idee ist vielmehr die bürgerliche Gesellschaft, die die Legitimation des von ihr kreierten Geschlechtermodells auf zwei Säulen stellte: auf die Biologie („Das ist natürlich“) und auf die (Ur-)Geschichte („Das ist ursprünglich, denn das war schon immer, von Anfang an so“).

Hier kann man auf die vermeintlichen Anfänge zurückblicken, die historische Entwicklung quasi wieder auf Null setzen und sich so vergewissern, wie Frauen und Männer im postulierten Naturzustand ohne zivilisatorische Verformungen ‚eigentlich‘ sind und wie ihr ‚damals noch intaktes‘ Verhältnis gestaltet war.

Mythen sterben bekanntlich erst, wenn sie ihre gesellschaftliche Funktion verloren haben. Angesichts der lautstarken Aufrufe back to the roots, wird es wohl noch dauern, bis sich unser urgeschichtliches Traumpaar nach 200 Jahren intensivster Öffentlichkeitsarbeit in den längst verdienten Ruhestand zurückziehen kann.

Brigitte Röder - Der Text ist ein Nachdruck aus: „Das F-Wort – Feminismus ist sexy“, Hg. Mirja Stöcker (Ulrike Helmer Verlag).

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