„Stop this raging pimp machine!“
Kajsa Ekis Ekman aus Schweden machte den Auftakt. Sie stellte den rund 100 ZuhörerInnen, die der Einladung des Frauenkommunikationszentrums Wiesbaden und der Frauen-AG der Linken (LISA) gefolgt waren, die Bilanz des schwedischen Sexkaufverbots vor, über das in Deutschland nach wie vor viele Mythen kursieren, und analysierte Prostitution als die “Ungleichheit von Begehren”. Das schwedische Modell konzentriere sich auf die Männer, die Sex kaufen wollten. Sie allein werden bestraft – und das mit Erfolg.
Schweden, wo Bordelle nie legal waren, hatte auch vor dem Sexkaufverbot keinen großen Prostitutionsmarkt, und konnte die Zahl der Prostituierten auf rund 1000 senken – was den Vorwurf der angeblichen Dunkelziffer durch ein Prostitutionsverbot als Polemik entlarvt. Kajsa Ekis Ekman, Autorin von “Bought and Being Bought. Prostitution, Surrogacy and the Split Self” („Kaufen und gekauft werden. Prostitution, Leihmutterschaft und das geteilte Selbst“) vergleicht in ihrem Buch Prostitution mit der Leihmutterschaft - und erklärt, warum in beiden Fällen ein ethisches Gebot zu einem gesetzlichen Verbot wird.
Das schwedische
Modell verändert
die Gesellschaft.
In ihrem Vortrag zeigte sie weiter, dass vor 100 Jahren Prostitution noch als eine Art “Abwassersystem” der Gesellschaft betrachtet wurde: Die sexuellen Begierden der Männer, für die in ihren bürgerlichen Ehen kein Platz war, würden, so lautetet damals die Rechtfertigung, über die Prostituierten „kanalisiert“. Heute hingegen gehe die Argumentation anders: Prostitution stehe für Subversion, für sexuelle Selbstbestimmung und für Revolution, also für das genaue Gegenteil. Eindrücklich zeigte die Journalistin auf, wie die Sexindustrie sich eben diese Diskurse zu Nutze macht, um sich ihr Geschäft zu sichern.
Der größte Erfolg des schwedischen Modells liegt in ihren Augen in einer Änderung der gesellschaftlichen Norm: Während es hierzulande vollkommen normal ist, dass junge Männer gemeinsam einen Puff besuchen, sei das in Schweden undenkbar. Ein Mann, der sich Sex kaufen muss, wird dort als Versager betrachtet. Kajsa Ekis Ekman findet, dass Sex wieder etwas werden muss, das beide Seiten aus Verlangen tun und nicht, weil eine Seite zahlt und die andere das Geld braucht – darauf folgte langer Applaus aus dem Publikum.
Der nächste Beitrag stammte von der Irin Rachel Moran, der Autorin von “Paid for. My Journey through Prostitution” („Dafür bezahlt. Meine Reise durch die Prostitution“), in dem sie ihre eigene Lebensgeschichte in der Prostitution erzählt. Von 15 bis 22 war sie in Dublin in der Prostitution tätig und sie räumt mit einem weiteren Mythos auf – dem Mythos, dass die Prostituierten irgendeine Art von Kontrolle hätten. Tatsächlich handele es sich dabei um eine Illusion, die die Prostituierten auch selbst stützten, da sie sonst gar nicht in der Lage wären, ihre Lebenswirklichkeit zu ertragen. Gleichzeitig erfülle dieser Mythos aber auch eine gesamtgesellschaftliche Funktion, nämlich, die Prostitution zu legitimieren.
Sind Männer ihren Trieben
so hilflos ausgeliefert?
Doch Rachel Moran zeigte noch einen weiteren Mythos auf, den sie den “Mythos vom Mann als sexuelles Kleinkind” nennt: Männer werden in der Gesellschaft als Kinder dargestellt, die ihren Trieben angeblich hilflos ausgeliefert sind, so dass eine ganze Gesellschaft zu den Geiseln dieser Triebe gemacht werden muss. Mit deutlichen Worten macht sie klar, wie entwürdigend das auch für die Männer ist. Armut, Bildungsmangel, Migration – es gebe viele Gründe, die Prostitution begünstigen, doch letztlich nur einen, der entscheidend ist: Und das sind die Männer, die Frauen kaufen.
Marie ist deutsche Feministin und Ex-Escort. Sie entschied sich mit über 40 in einer persönlichen Notlage, in die Prostitution zu gehen, und ihrem Bericht ist heute noch das Entsetzen darüber anzuhören, was das mit ihr gemacht hat. “Etwas ist in mir verloren gegangen”, erklärt sie und auf einmal wird es sehr still im Saal, “etwas, das ich so gar nicht in Worte fassen kann. Und wenn ich mir vorstelle, dass das mit 18jährigen Mädchen passiert, die nicht gelebt und nicht geliebt haben, dann wird mir ganz anders.”
Sie machte deutlich, was es bedeutet, die Freier körperlich an sich heranzulassen und zeigte vor allem auf, dass der öffentliche Konsens, Prostitution sei legal, dazu führt, dass sich Frauen auf diese Tätigkeit einlassen und sich damit selbst zerstören. Ein Interview mit ihr findet sich auch im aktuellen Buch von Alice Schwarzer: “Prostitution. Ein deutscher Skandal.” Inzwischen setzt sich Marie international für die Bekämpfung von Prostitution ein.
Den Abschluss machte Inge Kleine vom Frauenkommunikationszentrum in München, die sich mit den Details des Deutschen Prostitutionsgesetzes beschäftigt. Erstauntes Lachen erhebt sich Saal, als sie zeigt, dass das Gesetz in der Tat nur wenige Absätze lang ist. Die Einzelheiten sind nur den wenigsten bekannt. Was heißt denn eigentlich “sexuell ausbeutbar”? Tatsächlich ist das Auslegungssache. Mit dem Prostitutionsgesetz wurden Zuhälterei und Bordellbetriebe legalisiert – und vor allem die Gewinne daraus. Um zu zeigen, was Prostitution für die bedeutet, die sie ausüben, las sie noch einige Zitate aus Freierforen vor, öffentlich einsehbar für jeden, auch für Minderjährige: detaillierte Vergewaltigungsbeschreibungen, sexistische Abwertungen der übelsten Sorte - es folgten Ekel- und Entsetzensrufe aus dem Publikum.
Nachdenkliche Blicke und eine lebhafte Debatte
Danach entspann sich eine lebhafte Debatte. Tatsächlich zeigten sich viele zunächst zweifelnde Gesichter nach dem Podiumsvortrag nachdenklich. Fragen wurden gestellt: zur Dunkelziffer in Schweden; ob ein Verbot denn wirklich der richtige Weg sei; ob es nicht dennoch Prostituierte gäbe, die ihren Job gerne machten. Ein Zuschauer erhob sich, bekannte sich als Freier und erklärte, nach dem heutigen Abend wolle er nie wieder zu Prostituierten gehen und forderte andere auf, es ihm nachzutun.
Eine Zuschauerin fragte Rachel Moran, was sie in ihrer Stadt für Prostituierte tun könne. Rachel antwortete, das erste sei, sie wie andere Menschen auch zu behandeln: Mit Respekt, sie zu grüßen und nicht wegzusehen. Dann holte sie Luft und sah fest ins Publikum. Das Entscheidendste aber sei: „Stop this raging pimp machine in Germany!“ Bringt endlich die in Deutschland wütende Zuhältermaschine zum Stoppen!
Viele junge Leute saßen im Publikum, erklärten, dass sie nun anfingen, über die Folgen der Prostitution nachzudenken. Deutlich war vielen anzumerken, dass sie sich mit den Details zur Prostitution, mit der Lebenswirklichkeit dahinter noch nie beschäftigt hatten und dass die Vorträge sie zum Nachdenken gebracht hatten.
Kajsa Ekis Ekmanns Schlusswort hallte lange nach: Eine Welt ohne Prostitution ist möglich und tatsächlich lebten die meisten Menschen schon darin: Die Mehrheit der Männer ginge nicht in Bordelle. Es ist in der Tat eine Minderheit, wenn auch eine große, die Sex kauft und die ein Interesse daran hat, das System Prostitution am Leben zu erhalten. Es könne nicht im Interesse der Mehrheit sein, auf Kosten der Prostituierten und des gesamtgesellschaftlichen Werteverständnisses das System Prostitution für diese Freier und den Profit der Sexindustrie aufrecht zu erhalten.