Straßburg bestätigt Freierbestrafung!

Ehemalige Prostituierte fordern 2019 auf einem "Survivors March" in Mainz die Freierbestrafung auch in Deutschland. - FOTO: Lena Reiner/menschenfotografin.de
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Sechs Jahre lang haben sie es immer wieder versucht. Zuerst beim Premierminister, dann beim Staatsrat, dann beim Verfassungsgerichtshof. Doch immer wieder scheiterte die französische Pro-Prostitutionslobby mit ihrem Versuch, die Freierbestrafung, die Frankreich 2016 eingeführt hatte, wieder abzuschaffen. Letzter Versuch: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Doch auch der hat jetzt entschieden: Frankreich verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, im Gegenteil: Für das paritätisch mit vier Richterinnen und vier Richtern besetzte Gericht ist Prostitution „unvereinbar mit den Menschenrechten und der Menschenwürde“.

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Das Urteil des EGMR ist bahnbrechend und in seiner Bedeutung kaum zu unterschätzen. Hätte der Gerichtshof anders entschieden, hätte das das Aus für das sogenannte „Nordische Modell“ in allen europäischen Länder bedeutet, die es eingeführt haben: Schweden, Norwegen, Island, Irland, Nordirland und Frankreich. Denn: Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (nicht zu verwechseln mit dem EU-Gerichtshof in Luxemburg, der nur für EU-Mitgliedländer spricht) sind bindend für alle 46 europäischen Länder, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben.   

Das Gesetz schadet den Prostituierten? Nein. Es schützt sie und schadet den Zuhältern.

„Das war ein langer Kampf. Aber sie haben verloren und jetzt ist es vorbei!“ sagt Jonathan Machler „sehr erleichtert“. Der Franzose ist Executive Director von CAP international, einem internationalen Dachverband mit 35 Mitgliedsorganisationen aus 27 Ländern. Die „Coalition Abolition Prostitution“, in der auch die deutschen Sisters und Solwodi Mitglied sind, hat den Prozess begleitet und dem Gerichtshof Fakten und Wissen zur Verfügung gestellt – vor allem das der Betroffenen selbst. CAP international arbeitet eng mit den Initiativen der „Survivors“ zusammen, den „Überlebenden“ der Prostitution.

Deren Stimmen waren in diesem Fall besonders wichtig, denn die Klägerinnen von der Pro-Prostitutionslobby, angeführt von der sogenannten „Sexarbeits-Gewerkschaft“ STRASS („Syndicat du travail sexuel“) hatten es geschickt angestellt: Sie hatten 261 Männer und Frauen aufgefahren, die behauptet hatten, die Bestrafung der Freier habe Prostitution für sie gefährlicher gemacht. Freier seien gewalttätiger geworden, außerdem sei es wegen des kleineren Marktes schwerer geworden, die Verwendung von Kondomen einzufordern, weshalb Infektionen mit Geschlechtskrankheiten zugenommen hätten.

Daher verstoße das französische Gesetz gegen Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention („Recht auf Leben“) und Artikel 3 („Verbot unmenschlicher und degradierender Behandlung“). Außerdem sei Prostitution ein privater Akt zwischen zwei Erwachsenen, weshalb die Freierbestrafung auch gegen Artikel 8 verstoße („Recht auf Privatleben“).

"Ich habe Gewalt nicht durch dieses Gesetz erfahren, sondern durch Freier!"

All diesen „Argumenten“ erteilte das Gericht eine Absage. „Das Urteil hat klargemacht, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Gesetz hat die Prostituierten entkriminalisiert und die strafrechtliche Verfolgung von Zuhältern und Menschenhändlern vereinfacht“, erklärt Jonathan Machler auf der Pressekonferenz, die CAP international nach dem „großen Sieg“ veranstaltete.

Ebenfalls dabei: „Überlebende“ der Prostitution, die der Entscheidung aus Straßburg applaudieren. „Extrem erleichtert“ sei sie, erklärt Alexine Solis. „Wo es Prostitution gibt, gibt es Gewalt gegen Frauen. Und ich habe diese Gewalt nicht durch das Gesetz erfahren, sondern durch Freier!“

Anne Darbès, Transfrau und ehemalige Prostituierte, bestätigt: Das Gesetz habe durch die Entkriminalisierung der Prostituierten die „double peine“ aufgehoben, die doppelte Bestrafung durch die Gewalt der Freier einerseits und die Verfolgung durch die Polizei andererseits. Und: „Ich habe regelrecht lachen müssen, als ich die Berichte der Kläger gelesen habe. Als ob es vor 2016 keine Probleme mit Kondomen und Geschlechtskrankheiten gegeben hätte. Im Gegenteil: Es war doch alles schlimmer!“

Die UN-Sonderbeauftragte Reem Alsalem: "Staaten müssen den Sexkauf kriminalisieren!"

So erklärte das Gericht, dass das Ziel des französischen Gesetzes keineswegs sei, Prostituierten zu schaden, sondern dass es im Gegenteil dabei helfen soll, „Menschenhändlerringe bekämpfen“ und „prostituierten Personen Unterstützung zukommen zu lassen“. Denn das Gesetz bestraft nicht nur die Freier, sondern unterstützt Prostituierte beim Ausstieg und setzt auf Aufklärung über das für Frauen wie Männer schädliche „System Prostitution“.

Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass bereits die UN-Menschenrechtskonvention von 1949, die Frankreich ratifiziert hat, Prostitution „als unvereinbar mit der Menschenwürde“ bezeichnet hat. Genau 75 Jahre später forderte die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, im Juni 2024 die Regierungen auf: „Staaten müssen Frauen und Mädchen in der Prostitution entkriminalisieren und sie als Opfer behandeln und unterstützen, während gleichzeitig der Kauf sexueller Handlungen kriminalisiert werden muss.“  

Wenige Monate zuvor hatte im September 2023 das Europäische Parlament erklärt: „Das System Prostitution ist von Natur aus gewalttätig, diskriminierend und zutiefst unmenschlich.“ Und in diesem System spielten die „Käufer eine Schlüsselrolle“.

Die CDU hat die Freierbestrafung in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen

Und Deutschland? Auch wenn die „Fortschrittskoalition“ die internationalen Beschlüsse zur Eindämmung der Nachfrage nach der Ware Frau beständig ignoriert, geht es auch hierzulande voran: Nach der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat nun auch die CDU als Partei das „Nordische Modell“ in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen. „Sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Prostitution sind mit der Würde von Menschen nicht vereinbar. Deshalb unterstützen wir ein Sexkaufverbot und Hilfen beim Ausstieg aus der Prostitution.“     

Im September 2025 sind Bundestagswahlen. Sollte die CDU/CSU dann in der Regierung sein, kann sie zeigen, dass es ihr damit ernst ist. Der Freierbestrafung in Deutschland steht juristisch nichts mehr im Wege.   

 

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