Studentinnen, werdet endlich erwachsen!
Sie heißen Jutta Friedrichs, Sandra Richter und Nan Zhao, stammen aus Deutschland und haben zusammen das „Soofa“ erfunden: Eine moderne Parkbank mit Solarzellen, auf der man chillen und nebenher kostenlos das Handy aufladen kann. Die drei Unternehmerinnen, die sich in Boston trafen und zusammentaten, machten letzten Sommer Schlagzeilen. Und sie machten mich glücklich, weil ich mir so die Zukunft ausmale: Kreative Frauen bereichern die Welt mit nützlichen Produkten und verdienen damit Geld. Sie machen das nicht alleine, sondern in kongenialer Zusammenarbeit. Hier zum Beispiel als Elektrotechnikerin, Designerin und Marketing-Spezialistin.
Es gibt die Überfliegerin, die 1A-Reportagen schreibt.
Leider sind glückliche Momente dieser Art selten für mich. Denn die jungen Frauen, die ich im realen Leben treffe, haben nur ausnahmsweise diesen Drive. Meine Studentinnen an der Universität Tübingen beispielsweise haben mich in den letzten Jahren zunehmend frustriert.
Von 2005 an habe ich im Wintersemester „Einführung in den Wissenschaftsjournalismus“ angeboten, ein Praxisseminar. Studierende aller Fächer konnten sich dabei im Recherchieren, Schreiben und Gestalten erproben, heraus kam ein Online-Wissensmagazin, das unter dem Titel Studentenfutter im Internet zu finden ist. Unter den TeilnehmerInnen waren Frauen so gut wie immer in der Überzahl, einmal fand sich sogar ein rein weibliches Redaktionsteam in meinem Kurs. Und um gleich das Positive zu verraten: Nicht nur einmal, sondern gleich vier Mal hat das Online-Magazin einen Preis der Uni für hervorragende studentische Arbeiten gewonnen!
Warum bin ich trotzdem nicht zufrieden? Warum habe ich meinen Lehrauftrag gerade abgegeben und mich bei der letzten Preisverleihung sogar zu einer kleinen Strafpredigt genötigt gefühlt? Weil mein eigener Aufwand und damit mein eigener Beitrag zu den hervorragenden studentischen Leistungen im Lauf der Jahre nicht kleiner, sondern größer geworden ist. Weil ich immer stärker als mütterliche Betreuerin gefordert war – statt als meisterliche Lehrerin herausgefordert.
Ja, es gibt sie, die einzelne Überfliegerin. Die Physikerin, die nicht nur 1A-Reportagen schreibt, sondern auch Webseiten programmiert und etwas von Design versteht. Es gibt auch immer wieder das weibliche Organisations-Genie, das zwanglos in die Rolle einer „Chefin vom Dienst“ hineinwächst und die Dozentin bei Fleißaufgaben wie Protokollführen und Korrekturlesen unterstützt. Es gibt Naturtalente, die gleich beim ersten Versuch alle Prinzipien der journalistischen Recherche erfolgreich umsetzen und einen gut gebauten Bericht abgeben. Es gibt das alles auch in männlich, natürlich.
Aber allzu oft auch Egoismus und Einbahn-
straßendenken.
Der Normalfall ist das aber nicht. Die Durchschnittsstudentin versucht es erst mal mit dem Prinzip Schulaufsatz. Sie schreibt zusammen, was sie im Internet so findet. Sie hat keine Idee, wen sie interviewen könnte oder traut sich nicht, die ausgeguckte Koryphäe auch tatsächlich anzurufen. Sie lässt den ersten Abgabetermin verstreichen, den zweiten auch und schreibt mir dann kleinlaut: „Liebe Frau Rauch, ich schaffe meinen Artikel nicht. Ich hoffe, Sie haben Verständnis.“
Grundsätzlich habe ich ja viel Verständnis für studentische Nöte, aber solche Mails treiben mich zur Verzweiflung. Denn erstens: Um welchen Artikel handelt es sich überhaupt? Wieso steht das Thema nicht dabei? Wie soll ich denn die Konsequenzen abschätzen, die dieser Ausfall hat? Oder helfend eingreifen, wenn mir nicht einmal das Thema genannt wird, sondern ich dieses erst einmal im Redaktionsplan nachschlagen muss? Zweitens: Wieso eine Mail nur an die liebe Frau Rauch? Müsste die Entschuldigung, der Notruf oder was immer hinter der E-Mail steckt, nicht ans ganze Team gehen? Leidet nicht das ganze Projekt, wenn ein Bestandteil wegfällt?
Es ist diese enge Denke, diese Einbahnstraße „ich“, „mein Artikel“, „meine Dozentin“, die mich zur Verzweiflung treibt. Dabei soll doch mein Praxisseminar das wahre Leben simulieren! Ich möchte den Studierenden das begeisternde Erlebnis vermitteln, zu einer Redaktion zusammenzuwachsen – zu einem eingeschworenen Team, das sich gegenseitig trägt und unterstützt und sich mit dem gemeinsamen Ziel identifiziert. Bei meinem ersten Kurs vor zehn Jahren, der lange nicht so perfekt war wie der letzte, ist mir das noch mühelos gelungen. Warum gelingt es immer weniger? Warum kämpft jede für sich allein?
Dabei muss ich die jungen Frauen gegenüber den jungen Männern sogar in Schutz nehmen. Immerhin trauen sie sich, ihre Niederlagen zuzugeben, immerhin kommunizieren sie noch – zumindest mit mir. Ein männlicher Kommilitone mit vergleichbaren Schwierigkeiten wäre zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon über alle Berge. Denn der Schwund, die Drop-out-Rate in meinem als anspruchsvoll geltenden Seminar war leider hoch. Und es waren häufig welche aus der Minderheit der Männer, die sich französisch verabschiedeten, also einfach zu den nächsten Präsenzterminen nicht mehr erschienen. Zu stolz für eine Niederlage? Oder nur schlecht organisiert? Ich werde es nie erfahren. Einmal hatte ich sogar den Fall, dass ein bezahlter Hiwi spurlos verschwand, der für die technische Unterstützung des Kurses eingeplant war.
Also: Nichts gegen den Versuch, sich mit treuherzigen Bitten Unterstützung von Lehrkräften oder erfahrenen Mentoren zu holen. Im Gegenteil: Solche Signale können beim Berufseinstieg hilfreich sein, und wer um Hilfe bittet, bekommt sie auch. Was mich stört, ist, dass meine Studierenden ihre Peer-Group immer stärker aus den Augen verlieren.
Ich wünsche mir nämlich, dass die experimentellen JournalistInnen in meinem Kurs nicht nur nach vorn schauen, wo die Dozentin steht. Sondern dass sie auch nach links, nach rechts und in ihre Computer schauen und dabei wahrnehmen, was ihre KommilitonInnen denken und schreiben. Ich möchte ein einziges Mal ein spontanes Kompliment hören, mit der eine Studentin das Werk der anderen lobt („super Artikel, das könnte ich nie!“) – und zwar bevor ich sie aufgefordert habe, sich dazu zu äußern. Auch dass mal Tränen fließen wegen einer herben Kritik, wäre völlig okay. Schließlich passiert das in realen Redaktionen auch. Stattdessen gehen wir miteinander um wie mit rohen Eiern.
Was soll so nur werden aus dieser Ge-
neration?
Wie soll das nur werden, wenn diese Generation demnächst ins Berufsleben einrückt, frage ich mich. Da wird es keinen Chef, keine Chefin geben, die immer Rückmeldung gibt, immer Verständnis zeigt, immer konstruktiv kritisiert. Da wird ein Team sein, in das du dich einfügen musst, mein Mädchen, in dem du dich durchsetzen, durchmogeln, durchhalten musst – und das kann doch sogar Spaß machen!
Ja, ich weiß, dein Gymnasium war turbo, deine Eltern helikoptermäßig. Dein Studium ist verschult und die akademische Freiheit für dich nur ein Wort. Trotzdem: Wäre es nicht schön, liebe Studentin, irgendwann einmal erwachsen zu werden?
Judith Rauchs Kommentar ist im Hochschul-Dossier in der aktuellen Ausgabe erschienen. Es gab schon Widerrede einer Leserin: Liebe EMMA, ich ärgere mich über dich! Und was sagen die Studentinnen selbst? Das steht hier und in der aktuellen EMMA.