Susa Bobke: Der Engel
Engel haben ja bekanntlich kein Geschlecht, und das, obwohl sie meist nackt sind. Zumindest im Himmel ist das so. Beim ADAC ist es anders. Da tragen die Engel gelbe Latzhosen und sind männlich. Jedenfalls die meisten, um genau zu sein: die allermeisten. Ein paar weibliche „Gelbe Engel“ unter den insgesamt 1700 auf deutschen Straßen gibt es aber auch: genau fünf. Eine dieser Heilsbringerinnen ist Susa Bobke.
Weil viele Autofahrer und Autofahrerinnen sich auch im dritten Jahrtausend noch wundern, wenn Kfz-Meisterin Bobke zu ihrer Errettung am Pannenort auftaucht, erlebt der weibliche Gelbe Engel mit den langen roten Haaren eine Menge komischer Geschichten. Da ist zum Beispiel der Anrufer, der glaubt, er sei versehentlich bei einer Sex-Hotline gelandet, als die Frau in der ADAC-Telefonzentrale ankündigt: „Unsere Mitarbeiterin ist gleich bei Ihnen.“ Oder der gepflegte Herr um die 80, der Susa Bobke nach dem Einbau eines neuen Lichtmaschinenreglers einen Heiratsantrag macht: „Ich mag praktisch veranlagte Frauen.“ Oder die gestylte Kostümträgerin, die der Mechanikerin beim Anblick ihres ölverschmierten Gesichts und ihrer rissigen Hände mit mitleidigem Blick einen Gutschein für ihren Kosmetiksalon anbietet.
„Zum Glück bin mit einer Menge Humor ausgestattet“, lacht Susa Bobke. Irgendwann fing sie an, die Geschichten auf kleine Zettel zu schreiben und die in eine silberne Blechschachtel zu legen. Als die Schachtel voll war, machte sie daraus ein Buch: „Männer sind anders – Autos auch“. Gerade hat die 47-Jährige ihr zweites Buch mit praktischen Pannen-Tipps herausgebracht.
Dass die Schilderung ihrer „Erlebnisse als Gelber Engel“ inclusive „Auto-Biografie“ ebenso klug wie komisch ist und auch ihre Tipps ein Konglomerat aus Wortspielen, ist wohl auch der Tatsache zu verdanken, dass deren Autorin eine Doppelbegabung ist. Vor ihrer Ausbildung zur Kfz-Mechanikerin hat Susa Bobke Literatur studiert – wenn auch nicht ganz freiwillig.
Als kleines Mädchen fuhr Susa an der Seite ihres Vaters, einem Landtierarzt, auf die Bauernhöfe rund um Husum. In ihrem kleinen, weißen Arztkittel, den die Mutter ihr genäht hatte, assistierte sie bei Kuh-Kaiserschnitten und Schaf-Scherereien. Doch ebenso fasziniert ist das Mädchen, das am liebsten mit den Matchbox-Autos ihrer beiden Brüder spielt, von den Unimogs und Kettensägen auf den Höfen. „Ich habe überall rumgestöbert, wo die Mischung aus Schmiere, Staub und alten Abgasen in der Luft hing.“ Die Mutter, gelernte MTA, managt von zu Hause aus die Praxis und koordiniert per Funkgerät die Einsätze von Vater und Tochter. „Sie war quasi meine erste Einsatzzentrale.“
Susa will Tierärztin werden. Doch der Vater versagt seinen „Papasegen“, denn er fürchtet, dass sich ein weiblicher Landtierarzt an den dickschädeligen norddeutschen Bauern die Zähne ausbeißen wird. Zum Entsetzen ihrer Eltern bewirbt sich die 15-Jährige nun bei allen Autowerkstätten der Umgebung für eine Ausbildung zur Kfz-Mechanikerin. Abitur? Nö. Susa will schrauben.
Aber wir schreiben das Jahr 1980, der Girls Day liegt in weiter Ferne und die Absagen kommen entweder in verklausulierter Form („keine Damentoilette“) oder unverblümt: „Mädchen sind einfach zu schwach für diesen harten Männerberuf.“ Susa findet das „empörend ungerecht“. Schließlich hat sie sich bei den Bauern mit ihren kraftvollen Einsätzen bei der Heuernte einen Ruf wie Donnerhall erworben. „Aber ich wurde zu keinem einzigen Vorstellungsgespräch eingeladen.“ Die Enttäuschte macht nun doch das Abitur und zieht aus dem hohen Norden in den tiefen Süden, um in München zunächst Jura und dann deutsche Literatur zu studieren.
Die Wende kommt auf einem Grillfest. Ein Kfz-Geselle erzählt Studentin Susa von einer Münchner Werkstatt, die, gefördert vom Arbeitsamt, schwer vermittelbare Jugendliche ausbildet: Flüchtlinge, Ex-Drogenabhängige, Vorbestrafte. Die Frau mit dem Faible für Öl und Abgase weiß, dass sie aus Sicht von Kfz-Meistern ebenfalls ein schwerer Problemfall ist. Sie bewirbt sich – und wird gern genommen. 1989 hat Susa Bobke ihren Gesellinnenbrief in der Tasche und bildet jetzt selbst aus. Die harten Jungs akzeptieren die Vorgesetzte, die sie zur Not mit ihrer „ausgeklügelten Zermürbungstaktik“ auflaufen lässt: „Ich blieb friesisch unbeirrbar cool, mittelfreundlich und gelassen.“ Pin-ups im Spind sind sowieso verboten.
„Super, jetzt haben wir ein Mädel!“ freuen sich auch die Kollegen beim ADAC, in dessen Dienste Susa Bobke 1993 nach erfolgreicher Absolvierung der Meisterschule tritt. Für ihre Einsätze allerdings legt sich die Gelbe Engelin ein Sprüchearsenal zu, um blöde Fragen postwendend zu kontern. Zum Beispiel so: „Haben Sie eigentlich eine Ausbildung?“ – „Nö. Ich bin die Aushilfe aus dem Büro und habe mich hochgeschlafen.“ Oder so: „Wo ist denn Ihr Kollege?“ – „Der hat seine Tage.“ Oder ganz einfach so: „Können Sie das überhaupt?“ – „Ja, ich kann.“
In den fast 20 Jahren, in denen Susa Bobke jetzt als Gelber Engel unterwegs ist – inzwischen im Allgäu, wo sie auf einem Bauernhof inklusive Hausreh Schneewittchen wohnt – haben sich die Sprüche auf nahezu Null reduziert. „Spätestens seit Angela Merkel haben die Menschen offenbar verstanden, dass Frauen alle Berufe ausüben können.“
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