Susanne Preusker ist tot
Nach ihrem Buch über die Bewältigung ihres Traumas schrieb sie Bücher über Hunde, in denen ihr ausgeprägter Sinn für Humor durchblitzte. Und die Psychologin schrieb für EMMA über den (zu) einfühlsamen Umgang mit Sexualstraftätern in Deutschland. Am 13. Februar hat sich Susanne Preusker im Alter von 58 Jahren das Leben genommen. Dies ist der Text, den EMMA damals über sie und ihre "Sieben Stunden im April" veröffentlichte.
Am 7. April 2009 um 17.15 Uhr endete das Leben, das Susanne Preusker bis dahin geführt hatte. Es war das Leben einer erfolgreichen Frau, das Leben einer Macherin. Die damals 49-Jährige ist Psychologin in der Justizvollzugsanstalt von Straubing, eine gefragte Gutachterin und Dozentin. Die sozialtherapeutische Abteilung, deren Chefin sie ist, hat sie selbst aufgebaut. Hier werden Täter therapiert. An diesem 7. April hat einer dieser Täter ein Messer dabei. Er zwingt Susanne Preusker, ihre Büroschlüssel herauszugeben und verrammelt den Raum von innen mit Möbeln. Die Psychologin weiß, was der Mann getan hat, sie ist seit viereinhalb Jahren seine Therapeutin. Er ist ein Mörder und Vergewaltiger. Jetzt ist sie allein mit ihm in ihrem Büro. „Ich will von der Sache hier was haben“, sagt er. Dann vergewaltigt er Susanne Preusker. Immer wieder. Sieben Stunden lang. Und so heißt auch das Buch, das sie geschrieben hat: „Sieben Stunden im April“ (Patmos).
Was genau in diesen sieben Stunden passiert ist, nimmt in diesem Buch nur sechseinhalb Seiten ein. Kurz nach der Tat hat Susanne Preusker ein Protokoll geschrieben, weil sie, der Profi, wusste, dass sie sich für ihre spätere Aussage vor Gericht einmal genau erinnern muss, bevor sie vergessen darf. Diese knappe Schilderung stellt sie ihren LeserInnen zur Verfügung, mehr nicht. Es ist auch so entsetzlich genug. Das totale Ausgeliefertsein, die Schmerzen, die Todesangst. Der Täter hat Preusker mit ihrem Schal geknebelt, die Therapeutin weiß, dass sein letztes Opfer an der Knebelung erstickt ist.
Auf den restlichen 153 Seiten beschreibt Susanne Preusker auf ungeheuer eindringliche Weise, was sieben traumatische Stunden für ein ganzes Leben bedeuten können. Zehn Tage nach dem 7. April wollte Susanne Preusker heiraten. Es ist ihre zweite Ehe, die „große Liebe“. Die Einladungskarten für die Hochzeitsgäste liegen bereit. Sie werden niemals abgeschickt. Als ihr Lebensgefährte Wolfram sie nach Stunden, in denen Susanne Preuskers Schnittwunden vermessen, Abstriche genommen und sonstige Spuren gesichert werden, abholen kann, sagt sie: „Jetzt können wir nicht mehr heiraten.“ Die Psychologin weiß, dass sie nicht mehr dieselbe ist und geht in ihrem Schockzustand davon aus, dass ihr Mann diese andere, bis auf die Grundfesten erschütterte Frau nicht mehr will, nicht mehr wollen kann. Doch er antwortet: „Jetzt erst recht.“ Und so findet sich einige Tage später im Standesamt eine „kleine, traurige, zutiefst verstörte Hochzeitsgesellschaft“ ein.
Sie wollten mal wieder eine Frau zutiefst demütigen und zerstören. Aber Sie haben mich nicht zerstört.
Das Leben, das Susanne Preusker ihr „neues Leben“ nennt, ist kaum zu bewältigen. Sie, die Macherin, kann das Haus nicht mehr verlassen. Normale Gespräche über Alltägliches sind nicht mehr möglich, es gibt keine Leichtigkeit mehr, jedes Wort wiegt schwer. Jeder Mann wird zum potenziellen Angreifer, auch ihr eigener, selbst ihr 17-jähriger Sohn David.
Und dann ist da das „Wattegefühl“, das sie regelmäßig einhüllt. Die Psychologin kennt den Fachausdruck für diesen Zustand, aber sie beschreibt ihn lieber so, dass auch Nicht-Experten verstehen, wie ein Trauma-Opfer sich fühlt: „Eine Wand aus sehr stabiler Klarsichtfolie schiebt sich zwischen mich und meine Umwelt. Die Folie ist nicht schalldicht, ich höre, was gesprochen wird, ich höre alle Geräusche, sie sind klar und doch seltsam gedämpft. So, als sei ich, bereits von Folie umgeben, noch in Watte eingepackt. Die Watte ist ebenfalls durchsichtig, ich sehe alles, was um mich herum passiert, gleichzeitig sind die handelnden Personen und meine Umgebung nicht erreichbar. Ich bin isoliert in meinem Folie-Watte-Paket und wundere mich, dass das niemandem auffällt. Ich weiß, dass es nur ein kleiner, leichter Schritt ist, um meinen Körper zu verlassen. Ich weiß auch: Wenn ich das zulasse, verliere ich den Verstand.
Susanne Preusker bleibt bei sich. Und gewinnt langsam wieder die Kontrolle über ihr Leben. Sie wagt ihren ersten Einkauf, sie traut sich in die dunkle Tiefgarage, sie steht Panikattacken durch. Sie bittet die Friseurin, die Manschette um ihren Hals wegzulassen; sie verlangt an der Theaterkasse die Plätze ganz außen. Wenn sie in fragende Gesichter blickt, ringt sie sich durch zu erklären, warum das so sein muss: „Ich bin überfallen worden“, sagt sie dann oder: „Ich habe ein Angstproblem“. Und stellt fest, dass man ihr mit viel Verständnis begegnet.
Preusker stellt Strafanzeige gegen die Einsätzkräfte, die sieben Stunden lang nicht eingriffen.
Sie findet auch die Kraft, ihren Therapeuten zum Teufel zu jagen, der ihr erklärt: Nicht ihre Ängste seien das Problem, sondern sie selbst. Was passiert ist, habe sie wohl provoziert und gewollt, es gebe schließlich keine Zufälle. Als er sie anweist, sie müsse sich ab jetzt fünfmal die Woche auf sein Sofa legen, entgegnet Preusker: „Ich lasse mir nie mehr von einem Mann sagen, wo ich mich hinzulegen habe.“
Mit ihrer neuen Therapeutin besucht sie Supermärkte und lernt, an der Verkaufswand mit dem Sekundenkleber vorbeizugehen, der in ihrem alten Leben schlicht Bastelbedarf war und in ihrem neuen Leben eine tödliche Waffe ist. Der Täter hatte gedroht, ihr Sekundenkleber in die Venen zu spritzen.
Mit ihrer neuen Therapeutin streitet Susanne Preusker auch um die Frage, ob sie ein Opfer ist. „Mich kotzt dieses Wort an“, sagt sie. „Das klingt so nach Demütigung, nach Hilflosigkeit, danach, dass jemand Schutz benötigt.“ – „Es ist völlig egal, wie Sie das nennen“, entgegnet die Therapeutin. „Klar ist: Sie sind gedemütigt, hilflos und Sie brauchen Schutz.“ Es ist das erste Mal, dass Susanne Preusker weinen kann, Wochen nach der Tat.
Susanne Preusker ist ein Opfer, aber sie weigert sich, sich in die typische Opferrolle zu fügen. „Opfer haben sich gefälligst wie Opfer zu benehmen: still, unauffällig und dankbar für jedwede Form des Mitleids und der Unterstützung. Ein Opfer hat irgendwann abzutauchen.“
Susanne Preusker stellt Strafanzeige gegen die Einsatzkräfte, die sieben Stunden lang nicht eingriffen. Dafür muss sie sich als „Nestbeschmutzerin“ beschimpfen lassen. Sie schreibt dem Täter einen Brief, in dem sie erklärt: „Sie wollten mal wieder eine Frau zutiefst demütigen und zerstören. Aber Sie haben mich nicht zerstört.“ Und sie rät dem Täter: „Fühlen Sie sich zu keiner Zeit und an keinem Ort mehr sicher.“ Die Briefzensur im Gefängnis möchte den Täter vor diesem Brief schützen. Preusker setzt gerichtlich durch, dass er ihn zugestellt bekommt. „Er soll an mich als einehandelnde Frau denken“, sagt sie.
Beim Prozess hält der Täter Preuskers Blick nicht stand. "Das ist der Beginn meiner Verwandlung."
Der größte Sieg aber ist die Gerichtsverhandlung. Nicht so sehr das Urteil, das vorhersehbar ist. 13 Jahre und 9 Monate plus Sicherungsverwahrung. Sondern erstens Preuskers Entschluss, öffentlich auszusagen. Der Täter hat den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt, sein Opfer will ihm diesen Schutz nicht zugestehen. „Es gibt keine Privatheit zwischen Täter und Opfer“, sagt sie. Zweitens: Der Täter hält dem Blick seines Opfers nicht stand. „Ich sehe ihn an und zwar so lange, bis er wegsieht. Er sieht weg. Das ist der Beginn meiner Verwandlung.“
Weil Susanne Preusker beschreibt, dass diese Verwandlung möglich ist, ist „Sieben Stunden im April“ nicht nur ein erschütterndes, sondern auch ein ermutigendes Buch. Die Psychologin weiß, dass sie vergleichsweise gute Bedingungen hatte, um auch aus ihrem „neuen Leben“ ein selbstbestimmtes zu machen. Ihre professionellen Kenntnisse, die bedingungslose Unterstützung ihrer Familie, vor allem die ihres Mannes, eines Juristen, mit dessen Hilfe sie sich eine Pension erklagt.
Ob sie jemals wieder als Psychologin arbeiten kann und will, kann Susanne Preusker nicht sagen. Weil ihr der Täter viereinhalb Jahre die Reue über seine Taten vorgespielt hatte? Nein. „Die Meinung, dass es den nicht therapierbaren Kriminellen gibt, habe ich schon vor meinem persönlichen und beruflichen Waterloo vertreten. Fakt ist, dass sie kaum jemand hören wollte.“
Im Herbst wird ihr neues Buch erscheinen, es geht um die therapeutische Arbeit mit Hunden. Protagonistin ist natürlich ein ganz bestimmter Hund: Emmi, die Staffordshire-Hündin, die Susanne Preusker aus dem Tierheim holte, als Begleiterin in verzweifelten Stunden und als Beschützerin. Emmi ist ein Kampfhund.