Tag der Abrechnung

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Die unterschiedlichen Versicherungstarife in Deutschland verstoßen gegen EU-Richtlinien und Grundgesetz. Aber der Kanzler stellt sich dumm. Jetzt wollen Frauen ihm Beine machen: mit dem Tag der Abrechnung.
Über jede Menge Post darf sich Gerhard Schröder im März/April  freuen. Denn dann rechnen deutsche Frauen ab. Und zwar mit den geschlechterspezifischen Tarifen, die private Renten- und Krankenversicherungen einziehen, wobei "abrechnen" durchaus wörtlich zu nehmen ist. Ab dem 8. März sind alle Frauen bundesweit aufgefordert, dem Kanzler eine Rechnung aufzumachen, die auf Euro und Cent belegt, wie viel sie im Laufe ihres Lebens mehr bezahlen müssen, um gleich viel Rente wie vergleichbare Männer zu bekommen. Aus einem einzigen Grund: Weil sie Frauen sind.
Die Aktion "Tag der Abrechnung" haben Frauen aus dem Umfeld der Gewerkschaften und Sozialpolitik initiiert. Hintergrund ist die geplante EU-Richtlinie gegen Diskriminierung beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen. Die wird künftig Unterscheidungen nach Geschlecht verbieten. Mit der nationalen Umsetzung der europäischen Richtlinie wären dann auch private Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet, mit fairen Unisex-Tarifen zu arbeiten.
Doch bislang ist Deutschland davon noch meilenweit entfernt. Denn hierzulande fordern private Lebens- und Krankenversicherungen von Frauen wesentlich höhere Beiträge – oder zahlen ihnen niedrigere Summen aus. Als Grund dafür nennen sie zusätzliche Kosten, angeblich verursacht durch Schwangerschaft und Geburt sowie die höhere Lebenserwartung von Frauen. Jedoch: Die Faktoren, die tatsächlich erheblichen Einfluss auf die Gesundheit haben, aber zu ungunsten der Männer – wie Rauchen, Gewalt oder soziales Umfeld –, berücksichtigen die Versicherungsunternehmen in ihrer Rechnung nicht.
Ein Blick auf die konkreten Zahlen zeigt, dass eine "Abrechnung" überfällig ist. Denn mit zu wenig Problembewusstsein, wie gern mal behauptet wird, hat das Ganze nichts zu tun. Jede dritte Frau in Deutschland kann sich keine private Kranken- oder Rentenvorsorge erlauben. Aber wenn frau es kann, wird sie im wahrsten Sinne des Wortes abgezockt: Zahlen Männer und Frauen in eine private Rentenversicherung gleich hohe Beiträge ein, bekommen Frauen eine bis zu 15 Prozent niedrigere Rente.
Hinter der Misere stehen leere Kassen und sinkende Beschäftigtenzahlen. Da sollte die Riester-Rente Abhilfe schaffen. Vor ihrer Einführung im Jahr 2002 waren die meisten Männer und Frauen über die gesetzliche Rentenvorsorge abgesichert, hinzu kamen verschiedene betriebliche Modelle. Beide Varianten kannten keine geschlechterspezifischen Unterschiede. Das Riestersche Modell misst der privaten Altersversorgung mehr Bedeutung zu. Was rechtswidrig ist, wenn Mann und Frau dabei ungleich behandelt werden. Denn nicht nur die europäische Richtlinie, auch das deutsche Grundgesetz sieht ein Verbot von Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vor (Artikel 3).
Zwei Beispiele: Ein Mann und eine Frau , beide 30 Jahre alt, wollen mit 65 Jahren eine zusätzliche Rente von 1.000 Euro monatlich erhalten. Eine Testrechnung bei 20 privaten Versicherern ergibt: Die Frau muss dafür um die 50 Euro mehr pro Monat (!) einzahlen als der Mann. Auf 35 Jahre hochgerechnet macht das 21.000 Euro, mit Zinsen (2,5 Prozent) sind es rund 33.000 Euro.
Riester-Rente: Ein Mann und eine Frau, beide 30 Jahre alt, zahlen gleich hohe Beiträge in einen Altersvorsorgevertrag bei der Allianz Leben ein. Der Mann bekommt, wenn er 65 ist, eine monatliche Rente von 784 Euro, die Frau erhält nur 679 Euro. Das sind im Monat 105 Euro weniger. Zwar ist die Höhe der Riester-Rente von unterschiedlichen Faktoren, unter anderem von der Anzahl der Kinder abhängig. Die Berechnung ist relativ kompliziert. Dennoch zeigt dieses vereinfachte Beispiel, wohin die Tendenz geht.
Darum wird jetzt abgerechnet. An der Aktion, deren Schirmherrin übrigens Alice Schwarzer ist, können Vereine ebenso teilnehmen wie Individuen. Die Initiatorinnen bieten eine Vielfalt von Infos und Nachrichten, darunter eine Modell-Presseerklärung, ein Flugblatt und ein Faltblatt mit Musterrechnung und Argumenten. Da ist die Rechnung dann leicht aufgestellt. "Adresse drauf und weg damit", raten die Initiatorinnen.
EMMA März/April 2004

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