Tagesschau: Lügenpresse?

Objektive Berichterstattung? Foto: ARD
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Manchmal verschwinden sie von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche. So wie Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr. Er hatte der Tagesschau jahrelang als erfahrener Militär-Experte gedient. Doch am 22. März 2022, einen Monat nach Beginn des Ukraine-Kriegs, gab Kujat ein Interview, in dem er die Rolle der NATO und des Westens kritisch analysierte. Folge: Helge Fuhst, stellvertretender Chefredakteur von ARD-aktuell, interveniert höchstpersönlich. „Die Anweisung an die Redaktion ist klar: Keine Interviews mehr mit dem General, dieser sei untragbar.“  

Auch Claudia Kemfert, Ökonomin und vormals vielbefragte Klima-Expertin, war ab 2008 bei der Tagesschau plötzlich nicht mehr auf Sendung. Warum? Kemfert hatte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos von der CSU beraten und sich für längere Laufzeiten für Atomkraftwerke ausgesprochen. Erst seit Kemfert erklärte AKW-Gegnerin ist, darf sie wieder vorkommen.

ExpertInnen, die den "erwünschten Meinungskorridor" verlassen, fliegen raus

Und der Politikwissenschaftler Werner Patzelt, auch wegen seines Humors und seiner Schlagfertigkeit stets beliebter Interviewpartner, wurde bei der Tagesschau zur persona non grata. Grund: „Zu Pegida führte er drei Studien durch, die er so kommentierte: Es seien größtenteils keine Rechtsradikalen und man müsse mit ihnen in einen Dialog gehen.“ Das war’s.

Drei Beispiele für ExpertInnen, die nur aus einem Grund gecancelt wurden: Sie hatten „den erwünschten Meinungskorridor verlassen“. Und der ist seit Jahren eng und wird immer enger. So beschreibt es der ehemalige Tagesschau-Redakteur Alexander Teske in seinem Buch „inside tagesschau“. Untertitel: „Zwischen Nachrichten und Meinungsmache“.

„Ein Fünftel bis ein Viertel der BundesbürgerInnen unterstellt den Massenmedien Manipulation“, hat das „Demokratie-Monitoring“ der Universität Hohenheim 2023 festgestellt. Wer Teskes Buch liest, versteht, warum.

Teske war sechs Jahre lang Redakteur der Tagesschau. Foto: Stensbjerg/fkn
Teske war sechs Jahre lang Redakteur der Tagesschau. Foto: Stensbjerg/fkn

Alexander Teske war von 2018 bis Ende 2023 Planer beim ARD-Flaggschiff. Der 1971 in Leipzig Geborene kennt sich aus mit manipulierten Nachrichten. Er musste „in meiner Jugend im Fernsehraum des Internats zensierte Nachrichten ansehen: Die Aktuelle Kamera um 19.30 Uhr auf DDR 1 war eine halbstündige Pflichtveranstaltung. Nie hätte ich mir träumen lassen, eines Tages als Redakteur die Tagesschau mitplanen zu können.“

Der Traum vom unzensierten Fernsehen platzt allerdings schnell. Denn der TV-Redakteur, der zuvor für den MDR gearbeitet hatte, muss erkennen: „Ihrer Aufgabe, eine kritische Distanz zu den Herrschenden zu halten, wird die Tagesschau nicht gerecht. Denn sie wird von einem elitären Kreis verantwortet. Sie haben ähnliche politische Ansichten und kommen fast ausschließlich aus dem Westen.“ Natürlich gibt es in Hamburg keine offene Zensur, aber eine „hidden agenda“, die letztlich alle befolgen. 

Diejenigen, die entscheiden, welche Botschaften den rund neun Millionen ZuschauerInnen um 20 Uhr verkündet werden, sind die zehn Chefs vom Dienst. Zwei Drittel der CvDs sind Männer, die meisten sind über 55. Fast alle haben einen Studienabschluss und sind sogenannte „Einser“, verdienen im Monat also rund 12.000 Euro oder mehr, und sie sind de facto unkündbar. Nur einer, nämlich Teske, kommt aus dem Osten. Und: Sie sind taz-Leser, Sankt-Pauli-Fans und gehen auf Anti-Globalisierungsdemos. Das hat Folgen dafür, was gesendet wird und was nicht.   

Die Verfehlungen der einstigen Kanzlerkandidatin und späteren Außenministerin Annalena Baerbock, von getuntem Lebenslauf bis nicht deklarierte Nebeneinnahmen? Nicht so wichtig. Als Deutschlands oberste Diplomatin Russland im Europarat 2023 den Krieg erklärt, schreckt die Welt zusammen, nicht aber die Tagesschau. Die berichtet lieber über Regenfälle in Neuseeland und die Rodel-WM. Der Messerangriff eines 21-jährigen Islamisten aus Syrien auf ein Männerpaar in Dresden, bei dem einer der Männer starb? „Das lassen wir dann mal schlabbern.“ So wie man überhaupt viele (tödliche) Attacken und Vergewaltigungen durch Geflüchtete „schlabbern lässt“. Im Gegensatz zur Gewalt von rechts, über die stets ausführlich berichtet wird.

Die Nähe zur herrschenden Politik nimmt nicht selten beunruhigende Ausmaße an. Immer wieder werden JournalistInnen, die vormals über PolitikerInnen berichteten, zu deren Sprechern. Der Fall des ARD-Korrespondenten Michael Stempfle ist da nur ein Beispiel von vielen. Stempfle, bei der Tagesschau für Innenpolitik zuständig, veröffentlicht am 18. Januar 2023 ein Porträt von Boris Pistorius. Der niedersächsische Innenminister ist gerade auf dem Sprung ins Verteidigungsministerium – und Korrespondent Stempfle offenbar auch. Er lobt Pistorius in den Himmel, der „Vollblutpolitiker“ sei für das neue Amt „hochgradig geeignet“. Zwei Tage später unterschreibt Stempfle seinen Vertrag als Pistorius‘ neuer Sprecher. Noch problematischer wird die Verquickung, wenn die Ex-Journalisten nach getanem Sprecher-Job in der Politik wieder zu den Öffentlich-Rechtlichen zurückkehren. „Legt man sich heute mit dem Regierungssprecher an, wenn der morgen Senderchef sein kann?“ 

So wie in der Hauptstadt denkt aber nicht immer die Mehrheit

Zurück zur keineswegs repräsentativen Zusammensetzung der Tagesschau-Redaktion. Von 300 MitarbeiterInnen von „ARD aktuell“ sind ganze zehn keine Wessis, die Redaktion hat keine einzige Zeitung aus dem Osten abonniert. Folge: Nicht einmal über den 70. Jahrestag des Aufstandes vom 17. Juni 1953 berichtet die Tagesschau. Sie tituliert die Schauspielerin, Musikerin und Dissidentin Eva-Maria Hagen (Mutter von Nina), als „Brigitte Bardot des Ostens“.

Zur Miss- und Verachtung des Ostens kommt die Ignoranz ganzer Weltregionen. Eine einzige Korrespondentin ist für ganz Südamerika zuständig, das Studio Nairobi berichtet über 40 afrikanische Länder. „Was zu Zerrbildern führen kann. So waren deutsche Zuschauer erstaunt, wie allein westliche Staaten in der Welt mit ihrer Unterstützung der Ukraine waren.

In Großbritannien und den USA sitzen insgesamt acht KorrespondentInnen, die aber ihre eigene Blase offenbar selten verlassen. Folge für die Tagesschau: „Sie sah weder den Brexit noch den Wahlsieg Trumps kommen. Denn die Korrespondenten leben in London und Washington, wo die Mehrheit gegen Brexit und Trump gestimmt hat. Doch so wie in der Hauptstadt denkt nicht immer die Mehrheit.“ Und so sind nicht nur die MacherInnen der Tagesschau, sondern viele linksliberale Medienschaffende von SpiegelOnline bis Süddeutsche Zeitung erstaunt darüber, dass sie die Menschen verlieren. Wer „Inside Tagesschau“ liest, wundert sich allerdings über gar nichts mehr.

Weiterlesen: Alexander Teske: inside tagesschau (Langen Müller, 22 €)

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