Geburt: Tatort Kreißsaal
„Ich wurde auf ein Bett geschnallt. Alle zogen, alle zerrten. Es wurde geschnitten, obwohl ich noch geschrien hatte, dass ich dazu nicht meine Zustimmung gebe.“ Was Hanna über die Geburt ihres Sohnes in einer deutschen Uniklinik schreibt, gleicht eher einem Horrorfilm als dem „Wunder Geburt“. Von Beginn an habe nichts gestimmt, ständig wechselnde Ärzte und Hebammen „steckten ihre Hände in mich“. Am Ende muss sie den Arzt anflehen, ihr eine Betäubung für das Nähen im empfindlichen Genitalbereich zu geben. Der Arzt kommentiert ihren Wunsch mit: „Na toll, noch so eine Memme“ - und beginnt ohne Betäubung mit dem Nähen.
Hanna ist kein Einzelfall. In Entbindungskliniken ist Gewalt gegen Schwangere üblich, und es wird schlimmer. Es gibt immer weniger Entbindungsstationen trotz steigender Geburtenrate. Seit 2005 hat jede dritte Klinik geschlossen. Die Geburten in den verbleibenden Kliniken steigen und dennoch wird am Personal gespart. Vielerorts herrscht ein eklatanter Hebammenmangel. Kreißsäle weisen bei Überfüllung Schwangere mit Wehen ab, rund um die Feiertage, nachts und in Ferien müssen einige aus Personalmangel ganz schließen.
Na toll, noch so eine Memme!
Der 25. November, der Tag gegen Gewalt an Frauen, ist seit 2013 weltweit auch der „Roses Revolution Day“: der Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Betroffene bringen ihre Erfahrungen zu Papier und legen ihre Berichte zusammen mit einer rosa Rose vor den Kliniken ab oder posten sie in den sozialen Netzwerken. Kein Lesestoff für schwache Nerven. In der Facebook-Gruppe „Gewalt unter der Geburt“ stehen inzwischen zahlreiche Berichte, die von Beleidigungen, Bedrohungen, ja sogar von massiven Körperverletzungen bis hin zu Freiheitsberaubungen zeugen. Eine Mutter schildert, wie sie von der Hebamme mehrfach geohrfeigt wurde. Bei einer anderen Gebärenden sprangen während der Geburt abwechselnd zwei Ärztinnen von einer Leiter auf ihren Bauch, um das Baby herauszuquetschen. Eine weitere Mutter beschreibt etwas, das man in den Berichten immer wieder liest: die gewaltsame Muttermunddehnung ohne Betäubung und häufig gegen den Willen der Frau: „Also schob man gewaltsam die komplette Hand in mich und riss mir den Muttermund auf. Ich schrie und wand mich, sie hörten jedoch nicht auf. Ich wurde bewusstlos, insgesamt drei Mal. Mein Mann dachte ich wäre tot.“ Der Horror im Kreißsaal ist zum Teil strukturell bedingt. Das Gesundheitssystem an sich ist frauenfeindlich und patriarchal organisiert. Mit Geburten ohne Interventionen schreiben die Kliniken rote Zahlen. Erst Eingriffe oder Risiko-Geburten bringen Kostendeckung. Also werden inzwischen einfach drei von vier Schwangeren als Risiko-Gebärende definiert. Ein gutes Argument für einen Kaiserschnitt hat man damit auch gleich. Der wird nämlich wesentlich besser entlohnt als eine spontane Geburt.
Mein Mann dachte, ich wäre tot
Schwangere sind zunehmend verunsichert und trauen sich das natürliche Gebären oft gar nicht mehr zu. Gleichzeitig sieht das Spar-Programm vielerorts vor, Personalausgaben zu senken, Geburten am Fließband im Akkord abzurechnen. Außerhalb der Kliniken dauert fast jede dritte Geburt über zwölf Stunden, in den Kliniken nur jede zwölfte. Geburten werden durch unnötige Eingriffe beschleunigt. Also verlaufen nur noch sechs Prozent der Geburten interventionsfrei. In einer Online-Befragung im Mai 2019 mit über 10.000 Frauen gaben 56 % der Befragten an, Gewalt während der Geburt erlebt zu haben. Ganze 91 % sagten, dass sie über Eingriffe nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt wurden. Interventionen wie das Verabreichen von Wehenmitteln, das Öffnen der Fruchtblase, Damm- und Kaiserschnitt, das Dehnen des Muttermundes und auch jede vaginale Untersuchung dürfen nur durchgeführt werden, wenn die Mutter aufgeklärt wurde und ihr Einverständnis gegeben hat - wie in allen medizinischen Bereichen. Doch in der Geburtshilfe setzt man sich darüber systematisch hinweg. Die Hebammen müssen immer öfter vier bis sechs Geburten gleichzeitig betreuen und ganz nebenbei noch die Dokumentation führen, Materialien auffüllen und die Kreißsäle putzen.
In 60 Minuten Geburtszeit sehen Schwangere die Hebamme durchschnittlich nur fünf Minuten. Für Aufklärungsgespräche und das Einholen der Einwilligung der Mutter bleibt folglich immer weniger Zeit. Doch ein Dammschnitt gegen den Willen der Frau – noch dazu medizinisch unbegründet – ist Körperverletzung. Oft steht das geburtshilfliche Personal enorm unter Stress und Zeitdruck. Was jedoch nicht entschuldigt, dass Gebärende während der Geburt ausgelacht, beschimpft und angeschrien werden. Zum Beispiel von einem Gynäkologen, der von Kolleginnen nur „der Metzger“ genannt wird, weil er Gebärende unnötig oft und unnötig brutal vaginal untersucht oder ihnen nach einem Dammschnitt den „Husband Stitch“ (deutsch: Ehemann-Naht) verpasst. Bei dieser Art von Dammversorgung näht der Arzt die Vagina der Frau enger zu als sie vorher war, damit „ihr Mann wieder schön Spaß mit ihr hat“. Genau das ist auch Hanna passiert: „Er hatte so eng genäht, dass das Ganze unter Narkose noch einmal gemacht werden musste.“
Er wurde der "Metzger" genannt
Eine Doula, eine spezielle Geburtsbegleiterin, hört im Schwesternzimmer einen Arzt sagen „Wieder 'ne Fette, das kann ja heiter werden, die nähen wir besonders eng zu, da hat der Mann wenigstens etwas Freude beim Bumsen!“ Eine schwerwiegende Folge des zu engen Vernähens der Vagina: Oft muss in rekonstruktiven Operationen der „Husband Stitch“ wie bei Hanna rückgängig gemacht werden, um die Schmerzen zu lindern.
Solveig aus Hamburg beschreibt ihre Ausbildung zur Hebamme als Alptraum: „Mehr als einmal saß ich nach einer Geburt geschockt und weinend in einem der Waschräume. Für mich glichen viele der Situationen sexuellen Misshandlungen.“ Sie schloss ihre Ausbildung zwar ab, kehrte der Begleitung von Geburten danach aber den Rücken: „Nach meiner letzten Geburt nahm ich nur noch die Beine in die Hand und lief davon.“ Maria, Hebammenschülerin aus Baden-Württemberg erklärt: „Bei nahezu allen vaginalen Untersuchungen – und das sind einige pro Dienst – empfinde ich mich als Zeugin einer Vergewaltigung.“
In den USA wird die Gewalt gegen Gebärende „Birth Rape“ genannt – Geburts-Vergewaltigung. Und in der Tat gibt es viele Parallelen zwischen Vergewaltigungen und Gewalt bei der Geburt. Auf Facebook veröffentlichte Natalie ihre Erlebnisse in einer Klinik in Dachau: Sie wurde gegen Ende der Geburt gepackt, umgedreht und man fixierte ihre Beine und rammte ihr die Saugglocke in die Scheide. Informationen oder Aufklärung erhielt sie keine. Stattdessen wurde ihr ohne Betäubung die Harnröhre zerrissen.
Eine Hebammenschülerin berichtet wie sie zur Mittäterin wurde: „Die Mutter versuchte die Hände von Ärztin und Hebamme wegzuschlagen. Daraufhin kam der bisher schlimmste Moment in meiner Ausbildung: Mir wurde befohlen, die Hände der Frau festzuhalten! Ich reagierte erst nicht, und es wurde mir nochmals befohlen. Bis heute weiß ich nicht, warum ich nicht den Raum verlassen habe.“ Die Folgen der seelischen und körperlichen Übergriffe während der Geburt liegen auf der Hand. Die Frauen erleiden Wunden und Schmerzen bis hin zu Uterus-, Milz- und Leberrupturen oder auch Rippenfrakturen. Viele Betroffene werden aufgrund von Posttraumatischen Belastungsstörungen therapeutisch behandelt. Die Symptome schildert eine Mutter, die mehrere brutale vaginale Untersuchungen gegen ihren Willen erlitt: „Der bloße Gedanke an das Krankenhaus schnürte mir die Kehle zu. Der Geruch einer Arztpraxis, helles Licht oder Momente, in denen ich nicht selbst entscheiden konnte, was als Nächstes geschah, brachten mich an die Grenzen meiner Belastbarkeit.“ Auch Natalie aus Dachau leidet noch ein Jahr später unter ihren Erlebnissen: „Ich bin in therapeutischer Behandlung; mein Mann ebenfalls. Wir sind beide traumatisiert. Mein Kind kann noch nicht sprechen, schreit aber mit fast elf Monaten noch jede Nacht panisch. Immer wieder! Es erträgt keine Enge, keine Umarmungen, keine Berührungen am Kopf.“
Besonders schlimm trifft es auch Frauen, die zuvor schon einmal Opfer sexualisierter Gewalt wurden – und das ist immerhin jede dritte bis vierte. Hanna, die unter der Geburt festgeschnallt und der vom Arzt ein „Husband Stitch“ verpasst wurde, berichtet: „Ich war leider in meiner Jugend Opfer eines Missbrauchs und wurde daher retraumatisiert. Es dauerte viele Jahre, bis ich das überwunden hatte.“ Die Diplom-Psychologin Claudia Watzel kämpft seit Jahren für Betroffene, gründete den Verein Schwere Geburt und warnt: „Die Folgen für die Betroffenen und ihre Familien sind oft gravierend. Dass die Politik zudem wegsieht statt unterstützt, sendet ein fatales Signal: Frauen sollen die Gewalt akzeptieren.“
Frauen sollen die Gewalt akzeptieren
Im Januar 2018 forderte Mascha Grieschat von der Initiative Gerechte Geburt in einer Bundestagspetition, die Bekämpfung von Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe, was „spätestens mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen unumgänglich“ geworden sei. Grieschat ist wütend: „In Deutschland werden die Maßnahmen nicht einmal ansatzweise erfüllt. Es ist unbegreiflich, dass ich von der Bundestagspetition, die von 20.000 Menschen gezeichnet wurde, bis heute noch keinerlei offizielle Rückmeldung bekommen habe.“ Im Herbst 2019 schickte ich einen offenen Brandbrief an den Bundespräsidenten mit konkreten Zielen, wie der Einrichtung von Anlaufstellen für Betroffene, damit die gesetzlichen Mindest-Anforderungen erfüllt werden. Trotz der rechtlichen Verpflichtung und der Unterzeichnung durch 600 namhafte Vereine, Institutionen und Feministinnen bleibt der Brief bis heute unbeantwortet. Grieschat bringt die Zustände auf den Punkt: „Die Standards der Patientenrechte erfüllt der Kreißsaal in Deutschland nur auf dem Papier - und natürlich auf den schillernden Werbeseiten der Kliniken – in der Realität ist er ein rechtsfreier Raum.“
Diesen Missständen liegt die Haltung zugrunde, dass die Mutter nur eine Hülle für das werdende Leben ist, und dieser „Gebär-Container“ in der Schwangerschaft und während der Geburt keine Patientinnen- und Menschenrechte hat. Nur machen PolitikerInnen bislang keinerlei Anstalten, die Weichen für selbstbestimmte Geburten und eine respektvolle Geburtshilfe zu stellen. Bleibt nur zu hoffen, dass Grieschat, Watzel und andere Aktivistinnen durchhalten und der Protest der Frauen noch lauter und radikaler wird.
Christina Mundlos: Gewalt unter der Geburt (Tectum, 16.95 €)