Tausende beim „Safe Abortion Day“
Wer gestern durch die Flensburger Fußgängerzone lief, konnte sie nicht übersehen: Die zwei Meter große Gebärmutter aus lila Bauschaum, die die „Feministische Aktion Flensburg“ mitten auf den Marktplatz gestellt hatte. Außerdem hatten die Aktivistinnen das Kopfsteinpflaster besprüht: „If it’s not your body, it’s not your decision!“ stand dort. Und ein riesiger weißer Kleiderbügel erinnerte daran, wie verzweifelte Frauen in Ländern mit Abtreibungsverbot selbst versuchen, die ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Auch in Deutschland starben bis in die 1970er Jahre viele Frauen an verpfuschten Abtreibungen. „Nie wieder!“ lautete die Botschaft in der Mitte des Kleiderbügels auf dem Pflaster.
Die Aktion in Flensburg war eine von 120 Aktionen in 50 Städten zum internationalen „Safe Abortion Day“. In der ganzen Welt zeigen an diesem Tag Frauen Flagge für das Recht auf Abtreibung unter sicheren Bedingungen. Zum deutschen Aktionstag aufgerufen hatte das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, ein Zusammenschluss von rund 40 Organisationen von Pro Familia über Terre des Femmes bis zum Arbeitskreis Frauengesundheit. Motto: „Schwangerschaftsabbruch ist Grundversorgung!“
Ein sicherer Schwangerschaftsabbruch
gehört zur Grundversorgung!
Diese Grundversorgung jedoch ist auch in Deutschland zusehends in Gefahr. Immer weniger ÄrztInnen bieten Abtreibungen an, eingeschüchtert von Gesetzen wie dem §219a und den Bedrohungen durch fanatisierte „Lebensschützer“. Durch Corona hat sich die Situation noch weiter verschärft: Der Zugang zu Arztpraxen ist erschwert; aufgrund der Infektionsschutzbestimmungen müssen die Praxen, die Abtreibungen durchführen, die Zahl der Patientinnen reduzieren; Fahrten in andere Städte sind aufgrund des Infektionsrisikos noch schwieriger als sonst.
Deshalb war der Protest in Deutschland an diesem „Safe Abortion Day“ 2020 noch größer als im letzten Jahr. In Frankfurt fuhr ein Safe-Abortion-Day-Fahrradcorso am Main entlang. In Potsdam hatten Aktivistinnen Draht-Kleiderbügel mit bunten Zetteln präpariert und an Bänke und Tore gehängt. „Wusstest du, dass in Deutschland Schwangerschaftsabbruch kein regulärer Bestandteil der gynäkologischen Ausbildung ist?“ stand dort. Oder: „Wusstest du, dass christliche Fundamentalisten regelmäßig Ärzt*innen wegen angeblicher ‚Abtreibungswerbung anzeigen, weil sie auf ihrer Website Schwangerschaftsabbruch als Leistung angeben?“
In München gab es einen Eklat: Dort wollte sich die Stadt am „Safe Abortion Day“ beteiligen und das Rathaus lila anleuchten. Doch nach Protesten der CSU-Ratsfraktion und aus katholischen Kirchenkreisen wies die Regierung Oberbayern die Stadt an, die Aktion zu unterlassen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärte, gegen das Verbot rechtlich vorgehen zu wollen. Es wolle sich dafür einsetzen, "dass schwangere Frauen diese für sie unglaublich schwierige Entscheidung mit fundierter fachlicher Beratung treffen können und wenn sie sich dafür entscheiden, auch medizinisch bestmöglich versorgt sind".
Das Münchner Rathaus in Lila?
CSU und Katholiken legten Veto ein!
Das ist gerade in Bayern nicht der Fall. So gibt es zum Beispiel in Niederbayern mit seinen 1,2 Millionen EinwohnerInnen nur noch einen einzigen Arzt, der Abtreibungen durchführt. Der zweite, Michael Spandau, hatte seine Praxis in Passau ohnehin schon weit über sein Rentenalter hinaus betrieben, weil er keinen Nachfolger fand. Jetzt hat er seine Praxis geschlossen: Der 71-Jährige gehört zur Corona-Risikogruppe. Ungewollt schwangere Frauen müssen jetzt ins 120 Kilometer entfernte Landshut fahren, wo der letzte Arzt in Niederbayern Abbrüche macht.
„Die Situation wird immer dramatischer“, erklärt das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. Tausende Frauen haben deshalb am „Safe Abortion Day“ dafür protestiert, dass die Politik ihre gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe wahrnimmt und dafür sorgt, dass die Grundversorgung ungewollt schwangerer Frauen tatsächlich gesichert ist – und keine mehr zum Kleiderbügel greifen muss.