Was ist los bei Terre des Femmes?

Inge Bell (li), ehemals im Vorstand, und Geschäftsführerin Christa Stolle. Fotos: Stefan Baumgarth; Christoph Soeder/picture alliance/dpa
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Liest man die Pressemitteilung, die die Berliner Geschäftsstelle von Terre des Femmes am 8. Juni 2023 veröffentlichte, könnte man glauben, dass am ersten Juni-Wochenende eine ganz normale Mitgliederversammlung stattgefunden hatte. Ein neuer Vorstand wurde gewählt, der „die Schwerpunktthemen des Vereins weiterführen und sich weiter konsequent gegen Gewalt an Mädchen und Frauen in Deutschland und weltweit einsetzen wird“. So weit, so unspektakulär.

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Wer hingegen die zahlreichen Austrittserklärungen liest, die entsetzte „Mitfrauen“ nach der dreitägigen Versammlung an eben jene Geschäftsstelle unter Leitung von Geschäftsführerin Christa Stolle schrieben, sieht: Hier hat sich ein Desaster abgespielt. Ein Desaster, nach dem sich die Frage stellt, ob die von knapp einem halben Jahrhundert gegründete Frauenrechtsorganisation überleben wird – und falls ja, wie? Und letztlich auch: Warum?

„Ich bin in einen Frauenrechtsverein eingetreten, um mich für die Rechte und Belange von Frauen einzusetzen. In einem Verein, der nicht einmal definieren kann, was eine Frau ist, wird es schwierig, sich für ebendiese Rechte einzusetzen.“ – „Ihr tragt die Verantwortung für eine eklatante historische Fehleinschätzung.“ – „Für das erbärmliche Schauspiel, das Sie und Ihre Truppe bei der sogenannten Mitfrauenversammlung abgeliefert haben, ist das Wort ‚Posse‘ noch das freundlichste, das sich finden lässt.“ – „Noch nie habe ich so eine Schikane, so viel Manipulation, Machtmissbrauch, Beschimpfungen, Verleumdungen, fehlende Transparenz, technisches Versagen und Denunziation gegenüber anderen Frauen und der Meinungsfreiheit erlebt.“ – „TDF war meine feministische Heimat. Jetzt fühle ich mich ins Exil getrieben und suche mir eine neue.“

"Terre des Femmes war meine feministische Heimat. Jetzt suche ich mir eine neue."

So und ähnlich klingen die Begründungen. Rund 200 Frauen erklärten nach der Mitgliederversammlung ihren Austritt oder kündigten ihn an. Es ist jetzt schon die zweite Austrittswelle nach der ersten im Sommer 2022, bei der spontan 150 und dann vermutlich noch einmal so viele Mitglieder Terre des Femmes den Rücken gekehrt hatten – insgesamt also fast ein Viertel der vormals über 2.000 Mitglieder starken Frauenrechtsorganisation. Unter denen, die austraten, waren so gestandene Feministinnen wie die Linguistin Luise F. Pusch oder die Autorin Regula Stämpfli, die erklärte: „Was ihr im letzten Jahr verbrochen habt, wird in die Geschichte eingehen.“ Besonders erschütternd: Ehrenmitglied Ingrid Staehle erklärte, dies sei „nicht mehr meine Organisation“. Die 78-jährige Hamburger Journalistin hatte Terre des Femmes im Jahr 1981 gegründet.

Terre des Femmes-Gründerin Ingrid Staehle erklärte, dies sei "nicht mehr meine Organisation". - Foto: Stefan Baumgarth
Terre des Femmes-Gründerin Ingrid Staehle erklärte, dies sei "nicht mehr meine Organisation". - Foto: Stefan Baumgarth

Was also war passiert? Im Juni 2020 hatte die „Mitfrauenversammlung“ von Terre des Femmes ein neues „Positionspapier“ verabschiedet. In regelmäßigen Abständen hatte die Frauenrechtsorganisation mit solchen Positionspapieren klar gemacht, wo sie sich in frauenpolitisch zentralen Fragen verortet. Dabei hatte Terre des Femmes lange mutig auch unpopuläre Positionen vertreten. So war TDF zum Beispiel für ein Verbot des Kinderkopftuchs eingetreten. Und bei der Prostitution trat Terre des Femmes für das sogenannte „Nordische Modell“ ein, also die Bestrafung der Freier bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten.

Im Jahr 2020 sah TdF nun angesagt, sich in der Trans-Frage zu verorten, denn das „Selbstbestimmungsgesetz“ warf seine Schatten voraus. Die Mitglieder entschieden, sich einerseits solidarisch mit Transsexuellen und deren Recht auf eine diskriminierungsfreie Transition zu erklären. „Terre des Femmes unterstützt Transgender in ihrem Recht, ihr empfundenes Geschlecht selbstbestimmt auszudrücken“, hieß es im Positionspapier.

Gestandene Feministinnen wie Luise Pusch und Regula Stämpfli traten aus

Andererseits bestanden sie auf der klaren Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und den sozialen Geschlechterrollen (gender). Argument: „Die Struktur patriarchaler Macht kann nicht bekämpft werden, wenn der Anlass der patriarchalen Geschlechterordnung – die Biologie (Sex) – mit Gender gleichgesetzt wird. Kein Mädchen dieser Welt kann innerhalb des Patriarchats der Zweitrangigkeit und potenziellen sexuellen Ausbeutung und Gewalt entrinnen, indem sie sich als ‚Nicht-Mädchen‘ fühlt und deklariert“.

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Auf der Bedeutung des biologischen Geschlechts bestand Terre des Femmes auch mit Blick auf geschützte Frauenräume: „Wir unterstützen das Recht, das empfundene Geschlecht auszudrücken, setzen aber dort Grenzen, wo dieser Ausdruck das Recht von Frauen auf eigene Räume (z.B. Frauenhäuser) und Selbstorganisation auch unter Bezug auf den Körper betrifft.“

Alles richtig und ganz im Sinne Simone de Beauvoirs, sollte frau meinen. Im Juni 2022 wurde diese Position nochmals von der Mitgliederversammlung bestätigt. Doch kurz darauf, im Juli 2022, wurde das Papier zurückgezogen. Drei von fünf Vorstandsfrauen, darunter auch die automatisch für den Vorstand gesetzte Geschäftsführerin Christa Stolle, hatten beschlossen, es von der TDF-Website zu nehmen. Begründung: Terre des Femmes werde seit Veröffentlichung des Papiers der „Transfeindlichkeit“ beschuldigt und sehe sich „mit den heftigsten Vorwürfen konfrontiert“, denen „mit keinem Argument mehr zu begegnen“ sei. Mit dem Positionspapier „Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht“ habe der Ruf von Terre des Femmes „gelitten“.

Transaktivisten hatten ihre Propaganda-Maschine gegen TDF angeworfen

Tatsächlich hatten die speziell ins Frauenministerium gut vernetzten Transaktivisten ihre Propagandamaschine gegen Terre des Femmes angeworfen. Partnerinnen wie das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, das für das Recht auf Abtreibung kämpft und jedes Jahr eine große Gegendemo gegen den „Marsch für das Leben“ veranstaltet, schlossen Terre des Femmes allen Ernstes wegen „Transfeindlichkeit“ aus ihrem Protest aus.

Es darf vermutet werden, dass die seit über 30 Jahren angestellte Geschäftsführerin Christa Stolle befürchtete, dass das Geld aus Spenden, Erbschaften und öffentlichen Zuschüssen, mit dem auch ihr Gehalt und das der fast 40 angestellten Mitarbeiterinnen der Berliner Geschäftsstelle bezahlt wird – versiegen könnte. Stolle und ihre beiden Vorstandskolleginnen erklärten, bei „Gefahr im Verzug“ sei der Vorstand berechtigt, auch gegen einen Beschluss der Mitgliederversammlung zu entscheiden. Dass diese „Gefahr“ bestanden hätte, sei „purer Unsinn“, kommentiert Inge Bell, jene Frau im Vorstand, die das Positionspapier verteidigte. „Mit 2,7 Millionen Euro Einnahmen, davon rund 75 Prozent aus Spenden, Erbschaften etc., war 2022 das beste Jahr seit Bestehen des Vereins.“

Viele der Mitfrauen wollten sich das undemokratische und offenkundig satzungswidrige Gebaren des Vorstandes nicht bieten lassen. Sie forderten eine außerordentliche Mitgliederversammlung, um die dringend notwendige Debatte über die Positionierung von Terre des Femmes in der Transfrage zu klären.

Vorstand Inge Bell klagte die Herausgabe der Mitglieder-Adressen ein - und gewann.

Stattdessen begann eine Schlammschlacht. Hier die Zusammenfassung: Vorstandsfrau Inge Bell, im Gegensatz zu Geschäftsführerin Christa Stolle ehrenamtlich tätig, schlug Alarm. Sie gründete noch im Juli 2022 zusammen mit über 70 entsetzten Mitfrauen die Initiative „saveTDF“, der sich bis heute über 400 Frauen anschlossen. Darunter auch Ingrid Staehle, die erklärte: „Als Gründerin, Namensgeberin und Ehrenvorsitzende von Terre des Femmes nehme ich mit einiger Verwunderung zur Kenntnis, dass im 41. Jahr nach Gründung unseres Vereins eine ‚Selbstverständlichkeit‘ zu einem Streitpunkt werden kann: Das biologische Geschlecht“, erklärte sie im August 2022 in einem „Zwischenruf“. „Ich empfehle dazu noch einmal Punkt für Punkt die Lektüre unseres  Feministischen Leitbildes, das zusammen mit unserer Satzung die Grundlage unserer Arbeit darstellt. Dass darin nirgendwo ausdrücklich von ‚biologischem’ Geschlecht die Rede ist, verstand sich damals und über die Jahrzehnte einfach ‚von selbst‘. Das Fehlen dieses Adjektivums/Spezifikums ‚biologisch‘ heute ausdrücklich als Argument beziehungsweise ‚Beweis‘ dafür zu bemühen, dass ‚Geschlecht‘ eine sich selbst oder anderen beliebig zuzuordnende, das heißt wählbare Kategorie sei, bezeugt daher einen Mangel an historischem Denken oder gar – Pardon – Denkfähigkeit überhaupt.“

Doch auch Ingrid Staehles Zwischenruf half nichts. Ihre Solidarisierung mit Inge Bell und saveTDF hatte lediglich eine Folge: Geschäftsführerin Stolle erklärte der Terre des Femmes-Gründerin bei deren Besuch in der Berliner Geschäftsstelle, sie müsse sich „nicht wundern“, wenn sie dort „nicht willkommen“ sei.

Der erste Aufruf zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung scheiterte dann daran, dass Geschäftsführerin Stolle sich weigerte, Inge Bell die Adressen der Terre-des-Femmes-Mitglieder herauszugeben – die ihr als Vorstandsmitglied selbstverständlich zugestanden hätten. Bell ging vor Gericht, klagte die Herausgabe der Adressen ein und gewann.

"Die Veranstaltung erlebte ich als groteske Karikatur einer Mitgliederversammlung."

In der Zwischenzeit hatten über 80 neue Frauen einen Mitgliedsantrag gestellt, um an der Trans-Debatte teilzunehmen und Terre des Femmes auf dem ursprünglichen Kurs zu halten. Doch die Geschäftsstelle verhängte einen Aufnahmestopp bis zur nächsten Mitgliederversammlung. Angeblicher Grund: „Arbeitsauslastung“.

Inge Bell (re) mit acht von 400 Mitstreiterinnen, die eine neue Frauenrechtsorganisation gründen wollen. - Foto: Stefan Baumgarth
Inge Bell (re) mit acht von 400 Mitstreiterinnen, die eine neue Frauenrechtsorganisation gründen wollen. - Foto: Stefan Baumgarth

Den zweiten Aufruf zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, für die 435 – also mehr als genügend – Mitfrauen votierten, habe, so saveTDF, die Geschäftsführung mittels Zahlenjonglage so lange „boykottiert“, bis schließlich am ersten Juni-Wochenende ohnehin die ordentliche Mitgliederversammlung stattfand – auf Anordnung des Vorstandes online per Zoom. Dort nun trug sich das Desaster zu, das eine Beteiligte so beschreibt: „Die Veranstaltung erlebte ich als groteske, einfache Kommunikationsregeln missachtende Karikatur einer Mitgliederversammlung. Offensichtliche Manipulation (Verhinderung offener Aussprachen, Chatverbote, Bildverbote, Tonabstellen, Nichtzulassung von Anträgen, Nichtzulassung von Stimmübertragungen etc.) während der gesamten Veranstaltung ließ Wahlen und Abstimmungen zur Farce werden.“

Am Ende steht ein Scherbenhaufen – und die Rücknahme des Trans-Positionspapiers mit knapper Mehrheit. Es ist nicht der einzige, denn immer mehr, teils jahrzehntealte feministische Projekte zerlegen sich gerade an der „Trans-Frage“. Und das Patriarchat schaut feixend zu.

Inge Bell und Ingrid Staehle aber wollen gemeinsam weitermachen, wenn auch nicht mehr bei TDF. Für den 19. August laden sie nach Berlin ein zum „Sommercamp Frauenrechte“. Der Auftakt zu einer neuen Frauenrechtsorganisation?

PS: Immerhin hat die Mitgliederversammlung dem Antrag Nr. 13 zugestimmt: Darin wird ein „Verbot von pharmazeutischen und chirurgischen Eingriffen bei Mädchen und Jungen im Namen der ‚Geschlechtsangleichung‘“ gefordert. Neuer Ärger für Geschäftsführerin Stolle und ihre Anhängerinnen mit den Transaktivisten und ihren Allies ist also vorprogrammiert.

***

Lisa Kaiser, die Pressesprecherin von Terre des Femmes, ließ EMMA folgende Stellungnahme zu dem vorstehenden Artikel zukommen:

  1. In dem Artikel heißt es zur Distanzierung vom umstrittenen Positionspapier zu „Transgender“: „Drei von fünf Vorstandsfrauen (…) hatten beschlossen, es von der TDF-Webseite zu nehmen.“ Das ist falsch, die Entscheidung des Vorstands fiel 3:1 aus. Die fünfte Vorständin war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr im Vorstand aktiv.
  2. Im Artikel heißt es „Dabei hatte TERRE DES FEMMES lange mutig auch unpopuläre Positionen vertreten. So war TDF zum Beispiel für ein Verbot des Kinderkopftuchs eingetreten. Und bei der Prostitution trat TERRE DES FEMMES für das sogenannte „Nordische Modell“ ein, also die Bestrafung der Freier bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten.“ Es ist falsch und irreführend, hier die Vergangenheitsform zu verwenden. Beide Positionen von TERRE DES FEMMES, die zum „Kinderkopftuch“ in Bildungseinrichtungen, und die zu Prostitution, sind nach wie vor aktuell und gültig und werden von TDF stark und mit guten Argumenten nach außen vertreten.
  3. Das Minderheitenbegehren (das bereits das zweite zum selben Anliegen war) wurde nicht, wie es im Artikel heißt, durch „Zahlenjonglage“ „boykottiert“, sondern es war – genau wie das erste – nicht erfolgreich. Laut TDF-Satzung ist ein Quorum von 20% vorgeschrieben, welches in beiden Minderheitenbegehren nicht erreicht wurde. Inge Bell hat nach ihrer ersten Stimmenübergabe im März entschieden, das Minderheitenbegehren noch weiterlaufen zu lassen, daher ist der letzte Stand vom 1. Juni 2023, einen Tag vor Beginn der regulären Mitgliederversammlung, wie folgt: gültige Ja-Stimmen: 387. Das nötige Quorum (20 %) wären aber 416 Ja-Stimmen gewesen.
  4. In Ihrem Artikel heißt es, im Sommer 2022 seien 150 Frauen aus dem Verein ausgetreten „und dann vermutlich noch einmal so viele“ – eine rein spekulative Aussage, die nicht weiter belegt oder begründet wird.

Außerdem wurde moniert, dass EMMA bei Terre des Femmes nicht nach einer Stellungnahme gefragt hat. Terre des Femmes hatte ihre Position stets auf ihrer Website sowie in anderen Medien öffentlich gemacht. Weitere Informationen zum Verlauf des Konflikts auf SaveTDF.info.

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