Tief unter der Gürtellinie

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Das "Hillary Clinton Voodoo Kit" ist so beliebt, dass es auch von Amazon verkauft wird. Es kostet elf Dollar, besteht aus einer der Präsidentschaftskandidatin nachgebildeten Puppe und einem Nadelset, worauf steht: "Gib's ihr, bevor sie's dir gibt!"

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Hillary Clinton hat mit dem Politiker, dessen Platz sie im Weißen Haus einnehmen will, mehr gemein, als ihr lieb sein kann: Wie Präsident Bush der meistgehasste Mann, ist sie die meistgehasste Frau des Landes. Anders als bei ihm, sind ihre Feinde auf die USA beschränkt und nicht einem einheitlichen politischen Lager zuzuordnen. Zwar sind sie mehrheitlich rechts orientiert, doch Moderate, Linke und Feministinnen erweitern das Spektrum weit über den Kreis ewiggestriger Patriarchen hinaus.

Sie ist die meistgehasste Frau des Landes

Neben dem Kreis loyaler Mitarbeiterinnen und etablierter Strategen des Clinton-Apparates in Washington, der gern "Hillaryland" genannt wird, gibt es ein anderes, seiner Sache nicht minder ergebenes "Hillaryland". Um die siebzehntausend Websites mit Titeln wie "Stop Her Now", Tausende von Blogs, unzählige YouTube-Videos, Dutzende von Büchern und mehrere Filme haben die Senatorin von New York im Visier. Das Überleben Amerikas, kann man da etwa vernehmen, sei von zweierlei bedroht – islamistischen Terroristen und Hillary Rodham Clinton.

Dieses "Hillaryland" ist ein Pandämonium; das Reich von Obsessionen und Perversionen, wo die Gefühle über den Verstand triumphieren und die Person, um die es geht, zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Hillary Clinton wird verteufelt als Feministin und verunglimpft dafür, keine zu sein, attackiert als linksradikale Pazifistin und rechte Kriegshetzerin, als sündige Gottlose und religiöse Fundamentalistin; sie ist eine Lesbe, das Opfer der Fehltritte ihres Mannes und die Frau, die ihn dazu getrieben hat. Sie ist Osama Bin Ladens Kandidatin, eine Katzen- Killerin, Mörderin und Hexe im Wortsinn. Der Markt mit Anti-Devotionalien floriert; an Veranstaltungen der Republikaner werden bisweilen Kotztüten mit ihrem Porträt verteilt.

So widersprüchlich der Hass auf Hillary Clinton selbst ist, so widersprüchlich sind auch die Versuche, ihn zu erklären. Der Literaturtheoretiker und Jurist Stanley Fish hat in seinem Blog in der "New York Times" die Debatte ein für alle Mal erledigen wollen. Der Kern der Sache sei, meinte er, dass es keinen gebe, und insofern – und nur insofern - sei der Hillary-Hass dem Antisemitismus vergleichbar. Wie dieser keine Juden, brauche jener auch keine Hillary, um zu existieren - es sei denn als kollektives Hirngespinst. Der Kommentar "All You Need Is Hate" provozierte Hunderte von Antworten und geriet damit selber zum Beweis, dass das Thema nicht so leicht vom Tisch zu wischen ist.

Um das zu verstehen, muss man in die Zeit zurückblenden, als Bill Clinton ein langhaariger bärtiger junger Mann aus bescheidenen Verhältnissen war, der ein Rhodes-Stipendium gewann, in Yale seinen Abschluss machte und darauf hinarbeitete, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Dass er einmal die Frage würde beantworten müssen, ob er Marihuana geraucht habe, konnte er ebenso wenig ahnen, wie dass seine Antwort -ja, aber nicht inhaliert! - wie vieles andere in seinem und Hillarys Leben als Beispiel dafür herangezogen würde, dass man nicht wisse, woran man mit den beiden sei. Außer Zweifel steht, dass sie, als sie sich kennenlernten, in der Antikriegsbewegung engagierte Weltverbesserer waren. Dass sie dies noch immer seien – Wolf und Wölfin in Schafspelzen -, gehört zur Litanei der politischen Rechten unbeirrt aller Fakten der realpolitischen Karriere, die das Ehepaar seither absolviert hat.

Wolf und Wölfin in Schafspelzen

Man muss nur die Laufbahn eines Joschka Fischer mit jener der Clintons vergleichen, um zu erkennen, wie unterschiedlich schwer die Erbschaft von 1968 in Europa und in den USA wiegt. Während in Deutschland ein Mann, der gewalttätig gegen Polizisten vorging, sich zum beliebten Außenminister mausern durfte, konnten die vergleichsweise harmlosen Clintons nicht mit Nachsehen für ihre Jugendsünden rechnen. Der Kulturkrieg der Sechzigerjahre ist in Amerika nicht zu Ende, weil es um einen wirklichen Krieg ging. Vietnam ist die Wunde, die nicht verheilt ist; die Generation, die gekämpft, protestiert oder beides getan hat, ist immer noch am Leben. Es waren turbulente Zeiten; zum Krieg kamen die Rassenunruhen. Erst wurde John F. Kennedy, dann Martin Luther King, dann Kennedys Bruder Robert ermordet; Millionen von Amerikanern hassten Millionen von Amerikanern. Das alles lässt sich nicht so leicht abtun wie das Katz-und-Maus-Spiel der Straßenschlachten von Paris, Berlin oder Zürich.

Der Vietnam-Krieg macht alles, was mit jenen Jahren verbunden wird, für konservative Amerikaner schwerer verdaulich, von der gelockerten Sexualmoral über die Emanzipation der Frauen bis zur Infragestellung von Familie, Autorität und Religion. Wo die Rechte die Fortsetzung von Hillary Clintons einstigen linksradikalen Zielen mit anderen Mitteln sieht, sieht die Linke den Verrat, den sie auf ihrem Marsch durch die Institutionen begangen hat. Sie hat den Irak-Krieg befürwortet, die Beschneidungen der Bürgerrechte sanktioniert, mit ihrer proisraelischen Haltung die Palästinenser im Stich gelassen und die Pharmaindustrie hofiert, der sie einst den Kampf angesagt hatte mit ihrer gescheiterten Reform des Gesundheitswesens.

Die Opposition von rechts und links könnte zum Schluss führen, dass Hillary Clinton den goldenen Mittelweg geht -eine Frau, die weiß, dass Politik die Kunst des Möglichen ist und der Kompromiss ihr Lebenselixier. Die Rechte mag das nicht schlucken, weil sie zu wissen meint, wer sie wirklich ist. Die Linke nicht, weil sie nicht weiß, wer sie wirklich ist - und das ist Hillary Clintons eigentliches Problem.

Wie viele Hillarys es gibt, ist eine Frage, die nicht nur rechtsorientierte Frauen wie Bay Buchanan stellen, wenn sie sich in ihrem Buch "The Extreme Makeover of Hillary (Rodham) Clinton" über ihre verschiedenen Frisuren mokiert, die Charakterlosigkeit verrieten - Signale, mit denen sie je nachdem zeigen wolle, "seriös", "nett", "Lady Di", "smart" oder - gibt es etwas Schlimmeres? - "Französin" zu sein. Der Vorwurf hat im Land der permanenten Selbst- und Neuerfindung etwas Merkwürdiges. In Wahrheit, wird in derlei Betrachtungen suggeriert, ist sie ein ,Alien", eines jener Monster, die jede Gestalt annehmen können, um sich unseres Körpers, unseres Gehirns und unserer Seele zu bemächtigen. Die Kulturstudie ist noch nicht geschrieben, die Hillary Clinton als eine der vielen Inkarnationen begreifen würde, die extraterrestrische Invasoren in der amerikanischen Psyche angenommen haben. So ist auffallend, wie oft in Beschreibungen der "wahren" Hillary Clinton von der "Seltsamkeit" ihrer Augen die Rede ist, denen man nicht trauen könne, und deren Blick einen treffe mit jener verräterischen Mischung aus Herablassung und Triumph: Eine, die weiß, dass man ihr ausgeliefert ist, und die das genießt.

Eine Art Rorschachtest, in den jeder hineinlese, was er sehen wolle

Hillary Clinton selbst hat gesagt, sie sei für die Amerikaner eine Art Rorschachtest, in den jeder hineinlese, was er sehen wolle. Das ist zutreffend, wenn auch nur teilweise. Bemerkenswert ist, dass dieselben Attribute, die ihr Rechtsorientierte verpassen, auch von der Linken verwendet werden - wie dass sie "nicht vertrauenswürdig", "doppelgesichtig", "opportunistisch", "durchtrieben" und bereit sei, ihre Meinungen wie ihr Äußeres zu wechseln, um ihre Ziele zu erreichen.

Wenn Peggy Noonan, Kolumnistin des erzkonservativen "Wall Street Journal", sie eine "zynische linke Politagentin" nennt, die "unser Land als Plattform für ihre Ambitionen" missbrauche, findet sie sich einig mit der linken Schauspielerin Susan Sarandon, die mit Blick auf Hillary Clinton meint, Amerika suche "nach authentischen Persönlichkeiten, die den öffentlichen Dienst anstreben, weil sie an etwas glauben, und nicht nach solchen, die einfach gewählt werden" wollten.

Die Frage ist, wie viele Politiker diesen Test bestehen würden - und woran denn "Authentizität" zu messen wäre. Im Fall Hillary Clintons reduziert sich dies allzu oft darauf, wie es um ihre Emotionen bestellt ist. Dieses Schicksal teilt sie mit anderen Frauen in Machtpositionen, denen man entweder vorwirft, zu emotionell und damit zu sachlichem Entscheiden unfähig zu sein  oder zu wenig emotionell, als dass sie noch als Frau gelten könnten. Die Tränen, die "Sister Frigidaire", wie Hillary Clinton in der Highschool genannt wurde, nach ihrer Niederlage in Iowa in den Augen hatte, haben ihr mehr Stimmen eingebracht als ihre Argumente für eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung.

Dass Hillary Clinton, weil sie eine Frau ist, anders als ein Mann, und das heißt ungerecht, behandelt wird, zeigt jede Zeitungslektüre. Wenn sie zornig ist, ist sie "schrill", wenn sie lacht, "gackert" sie; tut sie nichts von beidem, ist es "Schauspielerei". Reputierte Medien analysieren ihre Mimik, und wie sie aussieht und daherkommt, wird mit einer Ausführlichkeit beschrieben, wie das bei männlichen Kandidaten nie der Fall ist. Es passt ins Bild, dass ein Weltblatt wie die "New York Times" im Frühjahr 2006 eine Titelstory brachte, die mit den Methoden des investigativen Journalismus – ein halbes Hundert Personen wurden befragt - der Frage nachging, wie viele Nächte pro Monat die Clintons im gemeinsamen Bett verbringen.

Man braucht nicht Theweleit gelesen zu haben, um zu erkennen, dass sich in manchen "Männerfantasien" über Hillary Clinton und der oft geäußerten "Angst" vor ihr die Angst vor dem Weib an sich verbirgt. Denn noch stärker als der Vorwurf, sie sei eine eiskalte, asexuelle, nur nach Macht gierende Powerfrau ist die Furcht, hinter dieser Fassade verberge sich eine Sexualität, der man nicht gewachsen ist. Keine andere führende Politikerin hat so viele pornografische Fantasien geweckt wie Hillary Clinton - von den Fotocollagen und Filmmontagen im Internet bis zur Anti-Hillary-Gruppe "Citizens United Not Timid" mit dem Akronym "Cunt" (Fotze). Die Filmschauspielerin Sharon Stone meinte, Hillary Clinton sei nicht reif für die Präsidentschaft, weil "eine Frau ihre Sexualität hinter sich haben sollte, wenn sie kandidiert".

Ein Konflikt zwischen Prinzip und Person

Feministinnen, die sich zu Hillary Clinton äußern, stehen vor dem Problem, dass sie in solchen Feindseligkeiten zwar genau das erkennen, wogegen sie seit Jahrzehnten kämpfen, das Opfer aber nicht mögen. Es ist ein Konflikt zwischen Prinzip und Person, den ihr Gegenspieler Barack Obama nicht auslöst. Während es ihm gelungen ist, die Rassenfrage zu ignorieren und sich als Präsident aller Amerikaner zu empfehlen, ohne damit die Schwarzen zu verärgern, hat Hillary Clinton mit ihrem Versuch, männlicher als ein Mann zu sein, ihre weibliche Gefolgschaft gespalten, ohne die konservativen Männer zu überzeugen.

Hillary Clinton steht im Kreuzfeuer, seit sie sich als erste First Lady Amerikas nicht mit traditionellen Aufgaben dieses Amtes begnügte. Eingesetzt von ihrem Mann, machte sie sich daran, das Gesundheitswesen der USA zu reformieren - das zentrale Thema der Innenpolitik und ein Milliardenbusiness obendrein, das einen erklecklichen Teil des Bruttosozialprodukts ausmacht. Ihr klägliches Scheitern verschlimmerte die Anmaßung; die Schande von "Hillarygate" ist sie nicht losgeworden, so freimütig sie ihre Fehler eingesteht und so vernünftig ihr neuer Plan zum Thema ist.

Dass sie dem amerikanischen Volk als Bills Co-Präsidentin vorgestellt wurde, hat Zweifel an Hillary Clintons Selbstständigkeit geweckt. Ob sie tatsächlich einen Pakt mit ihm abgeschlossen hat, seine Untreue zu ignorieren, wenn er sie dafür in der Politik voran und schließlich ins Oval Office bringe, spielt keine Rolle. Das "Projekt Billary", die Partnerschaft der Macht, war von Anfang an problematisch.

Nicht weil es linke Frauen frustrierte, die fanden, sie habe in "Monicagate" die Chance verpasst, Bill den Laufpass zu geben und der Welt zu zeigen, dass Frauen sich nicht alles bieten lassen. (Ironischerweise haben dieselben Frauen dem Casanova vergeben.) Auch nicht, weil Macht, wie Rechte finden, das Einzige sei, was Hillary Clinton interessiere und der Grund dafür, dass sie die Schande getragen habe. Sondern weil die Kombination von Ehefrau und Partnerin in Leitungsfunktion per se problematisch ist.

Das Gegenargument, Bushs Berater Karl Rove, der eine tragende Rolle im Weißen Haus spielte, sei auch nicht gewählt worden, trifft nicht. Die Ehe ist eine besondere Art von Verbindung; wer Konferenztisch und Bett teilt, kann nicht so leicht auseinander, selbst wenn die Situation danach verlangt. Für die Präsidentschaft unter dem selbst gewählten Motto "zwei zum Preis von einem" wird Hillary jetzt die Rechnung serviert: Weil sie politisch und persönlich so eng mit Bill verbunden ist, muss sie auch für seine Fehler büßen und wird nicht als unabhängige Frau respektiert.

Schwerer als alles wiegt der Verdacht, sie habe aus Karrieregründen für den Irak-Krieg gestimmt. So hat sie zugegeben, die klassifizierte Version des Dokumentes des "National Intelligence Estimate" von 2002 nicht gelesen zu haben, in dem Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen-Arsenal angezweifelt wurde. Dass die Musterschülerin ihre Hausaufgaben in einer Frage von Krieg und Frieden nicht machte, legt nahe, dass sie sich bereits festgelegt hatte im Hinblick auf ihre Präsidentschafts-Kandidatur 2008. Als die Stimmung sich kehrte, redete sie sich heraus, nicht realisiert zu haben, dass ihr Senatsvotum den Weg zur militärischen Invasion ebnete - eine Abstimmung, die unter dem Titel "Authorization for the Use of Military Force Against Iraq" lief.

Eine nüchterne Bestandesaufnahme zeigt, dass sich Hillary Clinton mit ihrem Opportunismus den Blick auf ihre Leistungen selber verbaut hat. Ihre Bereitschaft, die Wahlkampagne nach den Meinungsumfragen auszurichten, übersteigt das landesübliche Mass. Es hat den Verdacht erhärtet, es ginge ihr um nichts als die Macht. Die Starreporterin Jane Kramer fand gar, es gebe in Hillarys Leben "sehr wenig, das darauf hindeute, sie werde für irgendjemand anderen als für sich selber etwas tun".

Was immer sie tut, sie wird nichts tun können, was den Hass ihrer Gegner zum Verschwinden bringt. Im Unterschied zu Bush, den man vor seiner Wahl 2000 für einen etwas verschlafenen Berufssohn hielt, braucht es bei Hillary Clinton kein 9/11, bis sich herausstellt, dass sie bereit ist, halb Amerika gegen sich aufzubringen. Sie hat es bereits getan.

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