TIERRECHTE: Menschen sind auch Tiere
Sina Waiden war lange ein Mensch wie alle anderen. Für sie waren Tiere Wesen, die mal gönnerhaft gestreichelt, oft gegessen und meist übersehen wurden. Eines Tages aber sah sie alles anders ...
Tierrechtlerin wurde ich über Nacht. Ohne Erweckungserlebnis. Aus Gründen der Logik. Es war mir plötzlich klar, dass es nicht möglich ist, gegen Folter und Todesstrafe, gegen Rassismus und Sexismus, gegen Herrenmenschentum und Dünkel, gegen Unterdrückung, Krieg und Sklaverei seine gut abgesicherten Meinungen zu haben und bei den Tieren damit aufzuhören. Das Verblüffende war nur, dass mir das nicht früher aufgefallen ist. Denn die Parallelen sind so offensichtlich, dass sie sich geradezu aufdrängen.
Allerdings braucht es zum Begreifen des Tierleids zwei Voraussetzungen: Erstens, dass man/frau überhaupt erfährt, was mit den Tieren geschieht. Und zweitens, dass man/frau nicht zulässt, womit sich, bis heute, fast alle vor der Erkenntnis abschotten den Rückfall in die bequeme herkömmliche Einteilung der Welt in hier Mensch, da Tier. Genau in dieser Zweiteilung liegt der Hund begraben.
Denn der Dünkel allen Herrenmenschen- und Herrenrassentums liegt ja eben darin, dass seine Vertreterinnen diejenigen, über die sie sich ruchlos erheben, als die schlechthin Anderen, die Minderen, die Minderwertigen definieren. Dann erst können sie ihrer Niedertracht freien Lauf lassen. Mord wird zur Bekämpfung von Volksschädlingen, Raub wird Recht, Sklavenhaltung ein Naturgesetz (wie zum Beispiel Aristoteles meint). Dem Skinhead genügt es, dass der Türke ein Türke ist. Da unterscheidet er sich nicht von dem großen Philosophen, der es nur rechtens fand, wenn der Herr den Sklaven erschlug.
Das Spiel "Ich habe was, was du nicht hast" ist unerschöpflich. Spielen wir Mann und Frau: Ich. Mann. kann denken, du, Frau, nicht. Ich bin polygam. du bist monogam. Ich bin herrlich, du bist dämlich. Woraus logisch! folgt, dass mir die Welt gehört und du den Fußboden scheuern musst. Ich habe im Gegensatz zu dir den Kölner Dom erbaut und die 9. Symphonie geschrieben. Logisch, dass ich dich erschießen darf.
Inzwischen haben wir uns zumindest theoretisch alle auf die Formel geeinigt, dass wir doch alle Menschen sind. Aber nach wie vor sind wir uns in einem einig: Wir sind doch wenigstens keine Tiere! Sind wir aber. Spätestens seit Darwin wissen wir es. Aber es hätte schon früher auffallen dürfen. Wir sind aus demselben Stoff: aus Fleisch und Blut.
Das Unlogische an jeglicher Spielart des Rassismus ist ja, dass er sich beliebige Eigenschaften und angebliche Unterschiede herausgreift, an denen er den Überlegenheitswahn festmacht und alle Gemeinsamkeiten mit aller Macht negiert. Gemeinsam haben wir - Mensch und Tier - dass wir geboren werden und sterben, dass wir fühlen und leiden können, Schmerz vermeiden und physische wie psychische Bedürfnisse zu befriedigen suchen.
Der Unterschied, auf den wir uns so viel einbilden, die menschliche Intelligenz, ist ein so beliebiges und denkbares Kriterium wie die Hautfarbe. Ob die menschliche Intelligenz "höher" ist als die Vernunft der Tiere, sei dahingestellt. Aber selbst wenn sie es wäre (nach Spielregeln, die ohnehin nur wir selber aufstellen), läßt sich daraus noch lange nicht die Berechtigung ableiten, die weniger Intelligenten der Freiheit zu berauben, sie zu bestehlen. zu vergewaltigen, zu foltern, zu ermorden.
Ich wurde über Nacht zur Tierrechtlerin. Nachdem mich die ersten Informationen erreicht hatten, was mit Tieren geschieht, die allerersten über Tierversuche. So wie die ersten Bilder von Auschwitz genügt hatten. Die Bilder schössen zusammen, so wie die erste Zahl, die ich 1982 las - sechs Millionen Tierversuche jährlich in der Bundesrepublik. Sie verband sich für mich auf immer unlösbar mit sechs Millionen ermordeter Juden.
Etwa zur gleichen Zeit erfuhr ich buchstäblich zum ersten Mal. dass Tiere in hochkomplizierten Gesellschaften leben, Partner wählen, individuelle Eigenschaften haben. Als Großstädterin und Akademikerin hatte ich tausend Bücher lesen, tausend Menschen kennen, tausend Gespräche führen können, ohne die Existenz der Tiere auch nur einmal zur Kenntnis zu nehmen. Irgendwer hatte immer mal einen Hund oder eine Katze, zu denen war ich freundlich, von oben herab.
Intellektuelle interessieren sich nicht für Tiere, nur wenn sie gut gebraten sind. Diejenigen, die was von Tieren wissen, heißen Zoologen oder Tierliebhaber. Die Angler wie Ronald Reagan oder der gemütliche Mann an jedem Seeufer, der mit High Tech oder schlichter Rute zum Ersticken und Verstümmeln antritt, behauptet wenigstens nicht, die Fische zu lieben.
Das Wissen und die Liebe der Tierkenner hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem der "Frauenkenner" und "Herzensbrecher" oder mit den Vergewaltigern nach Art des Don Juan. Wahre Tierschützer und -innen kommen meist nicht aus der Fachwelt. Ihr Ansatz ist in der Regel das Mitleid. und das ist nicht der schlechteste. Mit-Leiden und Gerechtigkeitssinn führen oft zu revolutionärem Denken, wo Unrecht geschieht.
So ist es auch bei mir. Je mehr ich von dem weltumspannenden Unrecht gegen Tiere erfuhr, desto schwerer wurde mir die Identifikation mit einer Kultur, die auf der Entrechtung der anderen aufbaut. Eine Frau, die lachend ihren Pelzmantel an der Operngarderobe abgibt, ruft den steifgefrorenen arktischen Fuchs in der Falle vor mein inneres Auge. Ein flapsig hingeworfener Ausdruck wie "Dieser Saukerl" verdüstert mir den Abend, weil sich die angeschnallte Muttersau dazwischendrängt, die sich nicht mal umdrehen kann in ihrem Knast. Sensibilität für Unrecht macht das Leben nicht einfacher. Aber kämpferischer.
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EMMA Kampagne Tierrechte