Till Lindemann: Maso-Frauen?
Wir alle kennen die Geschichte vom bösen Wolf, der Rotkäppchen frisst. Aber war Rotkäppchen nicht trotz der Warnungen in den dunklen Wald gegangen? Und folgten die weiblichen Fans den Lockungen der Einladung zu einer After-Show-Party nicht trotz der offensichtlichen Zweideutigkeit? Und wie können Frauen überhaupt von der gewaltverherrlichenden Band fasziniert sein?
Denn nicht wenige Inszenierungen und „Gedichte“ des Rammstein-Leaders zelebrieren ja Sexualgewalt, demonstriert in einer grotesken Art von Männlichkeit, inklusive Schaum-Sperma spuckende Kanone und penisverlängerndem Mikro vor dem Gemächt.
Ob wieder einmal mutmaßliche Opfer zermürbt, ja zerstört werden?
Küchenpsychologisch gesehen hat der Mann es wohl nötig, will sagen: fürchtet offenbar Impotenz. Alles Fotzen außer Mutti!
Aber ist er auch real, wie er sich inszeniert? Und wenn ja, würde man ihm Strafbares beweisen können? In einem Justizsystem, in dem ein vermeintlicher Täter das Recht hat, zu schweigen - und ein vermeintliches Opfer sich rechtfertigen muss, auch und gerade bei Sexualverbrechen, ist das nicht leicht.
Es wird interessant sein, ob wieder einmal mutmaßliche Opfer zermürbt, ja zerstört werden, und mutmaßliche Täter zuguterletzt mit den Schultern zucken können. Aber vielleicht kommt es diesmal ja anders.
Denn zum Beispiel die rund 20 Zeuginnen-Aussagen im Spiegel, anonym wie namentlich, sind erstaunlich ehrlich und selbstkritisch. Diese Frauen sprechen eigentlich kaum über den bösen vermeintlichen Täter, doch vor allem über sich selbst.
Die Frauen sprechen kaum über den bösen vermeintlichen Täter, aber über sich selbst
Dass sie zwar ein Unbehagen gehabt, aber dennoch bis zu einem gewissen Punkt mitgemacht hätten. Dass sie sich nicht an alles erinnern, nicht zuletzt, weil man zum Beispiel vermutlich K.O.-Tropfen ins Glas gegeben habe, sagen sie. Dass manche sogar nochmal zu dem bösen Wolf gegangen seien und ihren Freundinnen erzählt hätten, es sei echt gut gewesen. Aber dass da dieses diffuse, immer bedrängender werdende Unbehagen gewesen sei: Was war da eigentlich wirklich los? Hat er was getan? Was habe ich getan?
Lindemann hat sämtliche Vorwürfe durch seine Rechtsanwälte bestreiten lassen. Es fehle ein "Mindesbestand an Beweistatsachen". Und die Band Rammstein hat in einer Erklärung betont, sie verurteilten jede Form von Übergriffigkeit, die Frauen hätten ein Recht auf ihre Sicht der Dinge, die Band habe aber auch ein Recht darauf, nicht vorverurteilt zu werden.
der „weibliche Masochismus“ ist Teil des Problems in dem Machtverhältnis
Frauen konnten bisher kaum wagen, ihre eigene Ambivalenz einzugestehen. Das hat sich seit MeToo und dem Weinstein-Prozess geändert. In diesem Prozess wurde der Täter trotz des durchaus widersprüchlichen Verhaltens mancher Opfer verurteilt. Denn genau diese Ambivalenz, der „weibliche Masochismus“, ist Teil des Problems in dem Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen (Die große Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich analysiert im Anschluss die Ursachen des „weiblichen Masochismus“).
Wie wird es im Fall Rammstein im 21. Jahrhundert weitergehen? Werden die Drohungen von Lindemanns Anwälten die Presse einschüchtern. Und riskiert Rotkäppchen mal wieder Ruf und Würde und geht als gedemütigte „Schlampe“ aus der Affäre raus?
Wir dürfen gespannt sein.
Nachstehend der Text von Margarete Mitscherlich aus dem Jahr 1977. Wir sehen, das Problem ist nicht neu.
ALICE SCHWARZER
Margarete Mitscherlich:
Wie weiblich ist Masochismus?
Es haben sich viele Kontroversen daran entzündet, ob der Masochismus eine typisch weibliche Eigenschaft sei. Im Zusammenhang mit männlicher Gewalt gegen Frauen, im besonderen der sexuellen Vergewaltigung von Frauen, ist oft die Behauptung aufgestellt worden, die Frauen seien an solchen Handlungen selbst schuld, sie würden - aufgrund ihrer masochistischen Wünsche nach sexueller Unterwerfung - die Gewalttätigkeit der Männer geradezu herausfordern.
Wie dann Prozesse aussehen, in denen über Vergewaltigung an Frauen zu Gericht gesessen wird, darüber ist in EMMA wiederholt berichtet worden. Es ist auch bekannt, welchen Demütigungen und Verdächtigungen in der Regel Frauen ausgesetzt sind, wenn sie sich nach einer Vergewaltigung dazu entschlossen, Anzeige zu erstatten. Deshalb bleiben Vergewaltigungen in den meisten Fällen ununtersucht und ungesühnt.
Der Masochismus wurde in der Psychiatrie zunächst als Perversion verstanden, in welcher die sexuelle Befriedigung an Schmerz und Demütigung gebunden ist. Mit dem Ausdruck "femininer Masochismus" bezeichnete Freud eine Haltung, in der sich das Bedürfnis nach Geschlagen- und Vergewaltigt-Werden im erotischen Sinne mit einer Neigung zur Unterwürfigkeit und zum mehr oder weniger demonstrativen passiven Erdulden verbindet. Diese Form des Masochismus als „feminin“ zu bezeichnen, ist wiederum Ausdruck eines typischen Vorurteils, denn die klinische Erfahrung lehrt, dass sie auch beim Mann anzutreffen ist. Nur: Bei der Frau wurde der Masochismus als natürlich angesehen, beim Mann galt er als Perversion.
Praktizierenden Psychoanalytikern begegnen bei Frauen nicht selten Vergewaltigungsphantasien, die für sie sexuell stimulierend sind. Die genauere Beobachtung hat jedoch gezeigt, dass es sich dabei um qualitativ unterschiedliche Vorgänge handelt; denn die real erlebten Vergewaltigungen werden so gut wie nie als lustvoll empfunden. Sie ziehen häufig bleibende psychische Schäden nach sich.
Wer phantasiert ist kein Opfer, er ist Schöpfer und Beherrscher der Situation.
Phantasien über sexuelle Gewalt sind weder so brutal wie die Wirklichkeit, noch so einfühlungslos wie diese. Sie machen auch im Gegensatz zur tatsächlichen Vergewaltigung nicht hilflos, im Gegenteil. Wer phantasiert ist kein Opfer, er ist Schöpfer und Beherrscher der Situation, die er phantasiert. Das heißt: Eine Frau, die sexuelle Gewalt phantasiert, wünscht sich deswegen noch lange nicht real, auch vergewaltigt zu werden!
Die Tatsache, dass masochistische Phantasien so zahlreich bei Frauen anzutreffen sind, muss auf ihre jahrhundertelange soziale und familiäre Fesselung zurückgehen. Nur in Gesellschaftsordnungen, in denen die Herrschaft des "starken" Mannes als Naturgesetz unbefragt hingenommen wurde, konnten Vorstellungen von der Eroberung und Überwältigung sich wehrender Frauen als sexuell besonders anregend wirken und sich entsprechend auch in den Phantasien und Verhaltensweisen beider Geschlechter niederschlagen.
Gegen die Verinnerlichung und die damit verbundene Hilflosigkeit solcher gesellschaftstypischen Haltungen konnten sich die Frauen oft nur zur Wehr setzen indem sie - wie mancher Schriftsteller - mit Hilfe der Phantasie aus passiv unterdrückten Wesen zu aktiven Schöpferinnen ihres Leidens wurden.
Falsche Ideale haben der Frau mehr Verachtung als Bewunderung eingetragen
Übertrieben aufopferndes Verhalten - zum Beispiel die Frau als demütige Dienerin etc., die Neigung, als Mutter für alle in der Familie stets "da zu sein", wodurch die übrigen Familienmitglieder unselbständig und infantil bleiben - solche Haltungen oder Charakterzüge sind die Konsequenz falscher Ideale, wie sie der Frau in unserer Kultur seit Jahrhunderten aufgezwungen worden sind. Letztlich haben sie ihr aber mehr Verachtung als Bewunderung eingetragen. Sie stellen generationenalte Identifikationsketten dar, die so leicht nicht zu durchbrechen sind.
Der Kampf um neue Ich-Ideale ist darum unvermeidbar. Die Frauen müssen sich um Bewusstmachung stereotyper masochistischer Verhaltensweisen bemühen, wie die, sie seien von Natur aus den Männern unterlegen, besonders intellektuell.
Die als sexuell lustvoll erlebten Vergewaltigungs-, Unterwerfungs- oder Erniedrigungsphantasien sind, wie es schon dargestellt wurde, ein Versuch, auf initiative Weise bisher passiv erlittene Befehlssituationen in kontrollierbare Situationen zu verkehren und aus Unlust Lust zu machen. Hilflosigkeit wird schrittweise überwunden, indem die Phantasien dem Ich, der eigenen Kontrolle unterstehen.
Sexuell lustvolle Erniedrigungsphantasien sind ein Versuch, aus Unlust Lust zu machen.
Auch die klinischen Erfahrungen zeigen, dass die masochistischen Verhaltensweisen der Frau wie ihre hysterischen Symptome einem zeitbedingten Wandel unterworfen sind. Sie stellen komplizierte psychische Antworten auf gesellschaftliche Bedingungen und den ihnen entsprechenden Erziehungsmethoden dar und sind keine angeborenen "typisch weiblichen" Charaktereigenschaften.
In der masochistischen Aufopferungshaltung der Frau ein weibliches Idealbild zu sehen, ist absurd. Für Psychologen ist es klar, dass es einen psychischen Masochismus ohne die andere Seite der Medaille, den psychischen Sadismus, nicht geben kann. Jeder einigermaßen sensible Mensch wird den weiblichen Masochismus deswegen eher als abschreckend empfinden und unter den Schuldgefühlen leiden, die ihm durch solche Aufopferungs- oder Demutshaltungen aufgezwungen werden.
MARGARETE MITSCHERLICH in EMMA 9/1977