The Woman of the Year!
Eine FBI-Agentin und zwei Top-Managerinnen alle drei wurden sowohl von Time wie auch von dem feministischen Magazin Ms. zu den Frauen des Jahres gewählt. Mit gutem Grund. Denn sie haben viel riskiert, um Missstände an den Tag zu bringen.
Drei Frauen auf dem Titel des Magazins Time das gab es in 60 Jahren noch nie. Anlass: Zum ersten Mal wurden drei Frauen gleichzeitig mit dem begehrten Titel Menschen des Jahres ausgezeichnet: Die Managerinnen Sherron Watkins (Enron) und Cynthia Cooper (WorldCom) und die Spezial-Agentin Coleen Rowley (FBI). Auch das amerikanische Frauenmagazin Ms. nahm die drei in ihren Kreis der Zehn Frauen des Jahres auf. Denn sie
deckten die drei größten Polit- und Wirtschaftsskandale in den USA im Jahre 2001 auf. Und riskierten dafür ihre Existenzen.
Entschlossen blicken alle drei vom Titelblatt des Time-Magazins. Eben noch waren sie für viele The whistleblowers die Petzen der Nation, jetzt sind sie die Heroinnen der Nation:
Sherron Watkins, 42, ist Vize-Präsidentin bei Enron. Sie entdeckte im Sommer 2001 unlautere Bilanzierungsmethoden und wandte sich mit dem brisanten Material an Vorstandschef Kenneth Lay. Schulden waren über Jahre einfach aus der Bilanz herausgerechnet worden. Doch auf eine Reaktion ihres Chefs wartete sie vergeblich. Im Dezember 2001 meldete das Energie-Unternehmen Insolvenz an. Scheinbar überraschend. Auf Watkins hatte zwar zunächst niemand reagiert, aber ihr Brief wurde ein wichtiger Bestandteil für die späteren Ermittler. Und dann ging es Schlag auf Schlag.
Amerikas größte Firmenpleite aller Zeiten erschütterte weltweit die Börsen und warf dunkle Schatten über das Weiße Haus. Enron-Chef Kenneth Lay und George Bush sind alte Bekannte, wie nicht nur die Korrespondenz des Präsidenten mit Kennyboy beweist. Was sich auszahlte, für beide: Über vier Millionen Dollar schob Enron, der größte Einzelspender, der Bush-Partei rüber. Und Bush holte die Enron-Berater Zoellick (Handelsbeauftragter) und Lindsay (Chefökonom) ins Weiße Haus. Wo sie u.a. auf die Ex-Ölmanager Dick Cheney (heute Vizepräsident) und Chevron-Aufsichtsrätin Condolezza Rice (heute Präsidenten-Beraterin) und Ex-Brown-Präsident Ronald Evans (heute Handelsminister) trafen. Kurzum auf die ganze Ölmafia. Sherron Watkins ist offensichtlich wirklich nicht so leicht einzuschüchtern.
Cynthia Cooper, 39, ist Wirtschaftsprüferin bei Worldcom. Sie rechnete und rechnete, das Ergebnis war immer dasselbe: 3,8 Milliarden Dollar waren falsch gebucht worden. Im Juni 2002 informierte die Prüferin den Verwaltungsrat des Telefonkonzerns. Coopers Entdeckung war der zweite Skandal, der Anleger und Aktienmärkte erschütterte.
Coleen Rowley, 48, ist Special Agent beim FBI. Sie war es, die FBI-Chef Robert Mueller das schlagzeilenträchtige Memo schickte: Darin deckte sie auf, dass die Zentrale in Washington die Ermittlungen der Außenstelle Minneapolis vor dem 11. September ignoriert und damit die Hinweise auf den mitt- lerweile als Mittäter der Anschläge vom 11. September verurteilten Zacarias Moussaoui verschleppt hatte.
In auffallend vielen Punkten gleichen sich die Biographien der drei Frauen: Sie wuchsen in typisch-amerikanischen Kleinstädten auf. Sie waren die Erstgeborenen in armen Familien. Sie sind verheiratet, haben Kinder und sind die Ernährerinnen der Familien. Die Ehemänner von Rowley und Cooper sind seit längerem Hausmänner, und Rick Watkins gab seinen Job 2001 auf, um mehr Zeit für seine beruflich voll eingespannte Frau und die Tochter zu haben.
Der Job war allen drei Frauen immer wichtig gewesen, lange hatten sie dafür gekämpft, dort anzukommen, wo sie 2001 angelangt waren. Ihre Loyalität gegenüber ihrem Unternehmen war groß aber der Gerechtigkeitssinn größer. Keine von ihnen hält rückblickend das eigene couragierte Handeln für etwas Besonderes. Wir fühlen uns nicht als Helden. Ich habe nur meinen Job gemacht, sagt Cynthia Cooper. Doch Time stellt die drei auf eine Stufe mit den Feuerwehrleuten von Ground Zero. Ein Danke hat übrigens bis heute keine der drei von ihrer Firma bekommen. Manche KollegInnen hassen sie sogar dafür, dass sie den Mund aufgemacht haben. Konfrontieren die Unerschrockenen sie doch mit dem eigenen Opportunismus und der Feigheit.
Selbst wenn du nicht gewinnen kannst, musst du es immer wieder versuchen, mit diesem Motto ist Coleen Rowley aufgewachsen. Schon als Elfjährige träumte sie davon eine Agentin zu werden, die die Welt vom Bösen befreit zu einer Zeit, in der Frauen beim FBI noch kein Thema waren. Als Coleen 15 Jahre später ihr Studium abschließt, haben sich die Zeiten geändert. Rowley bekommt ihren Traumjob, sie wird Special Agent beim FBI. 1980 will sie den Rekord der Frauen beim Drei-Kilometer-Lauf brechen. Als sie hört, dass sie schneller werden könnte, wenn sie die Pille absetzt, setzt sie sie ab. Und wird schwanger. Drei Monate verschweigt sie die Schwangerschaft, schmeißt sich beim Geländetraining auf den Boden. Dann stoppt sie das Training aus Angst um das Kind. Als das Kind da ist, bleibt der Vater zu Hause. 1984 stellt Coleen den neuen Rekord auf und hält ihn mehrere Jahre.
Auch der Weg von Cynthia Cooper war steinig. Ab 14 jobbte sie in Restaurants. Wenn sie etwas nicht konnte, übte sie so lange, bis sie es konnte zum Beispiel fünf Teller gleichzeitig servieren. Dieser Ehrgeiz treibt sie bis heute an, sagt sie. Und so arbeitete die Ex-Tellerwäscherin sich auch bei Worldcom zur Topmanagerin hoch.
Ähnlich musste sich Sherron Watkins durchbeißen. Mit 14 ließen sich ihre Eltern scheiden, ab 16 verdiente sie ihr eigenes Geld und finanzierte sich mit allerlei Jobs ihr Studium. Die starke Mutter ist bis heute das Vorbild der Top-Managerin.
Drei aufrechte Frauen, die ihren Weg konsequent verfolgen. Hätte ein Mann anders gehandelt? Da scheiden sich die Geister der drei: Es hätte genauso gut ein Mann gewesen sein können. Wir sind alle Menschen, die aufstehen und ihr Bestes geben, sagt Cynthia Cooper. Aber vielleicht hat es doch auch damit zu tun, dass Frauen nicht so dazu gehören, dass sie danebenstehen und darum mehr sehen und weniger zu verlieren haben, findet Sherron Watkins: Überall gibt es schließlich Männerbünde, ob im Golf-Club oder im Studium. Außerdem ist dein Ego oder dein Selbstwert als Frau nicht so davon abhängig, welchen Job du hast. Hauptsache, frau macht ihn gut.
Bianca Pohlmann, EMMA März/April 2003