Dylan klagt ihn an, seit 28 Jahren
„Ich will mein Gesicht zeigen und meine Geschichte erzählen“, sagt eine sichtlich aufgewühlte Dylan Farrow. Die Geschichte, die sie Interviewerin Gayle King dann vor laufender Kamera erzählt, ist lange bekannt. Es ist die vom sexuellen Missbrauch durch ihren sozialen Vater Woody Allen. Dylan hat diese Vorwürfe immer und immer wieder erhoben, zum ersten Mal als Siebenjährige im Jahr 1992. Aber erstmalig darf die heute 32-Jährige nun beim US-Fernsehsender CBS schildern, was sich damals auf dem Dachboden des Landhauses ihrer Adoptivmutter Mia Farrow zugetragen hat.
Schon 2014, als Woody Allen wieder einmal hofiert von Filmleuten und Journalisten über den Roten Teppich von Cannes flanierte, hatte sich Dylan Farrow in einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt: „Und wenn es deine Tochter wäre, Cate Blanchett?“ hatte sie gefragt und all jene SchauspielerInnen der Komplizität beschuldigt, die immer noch so taten, als wäre nichts.
Doch die Zeit des Wegschauens ist vorbei. Immer mehr Schauspielerinnen und Schauspieler distanzieren sich nun von Allen. Sie erklären, sie bedauerten, in Allens Filmen mitgespielt und die Missbrauchs-Vorwürfe ignoriert zu haben – wie Mira Sorvino, Ellen Page oder Greta Gerwig. Gerwig, die 2012 in „To Rome with Love“ mitgespielt hatte, erklärte: „Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich in dem Film nicht mitgemacht. Ich habe durch Dylans Wortmeldungen begriffen, dass ich den Schmerz einer anderen Frau größer gemacht habe. Ich habe seither nicht mehr für ihn gearbeitet und ich werde nicht mehr mit ihm arbeiten.“
Einige SchauspielerInnen spenden ihre Gagen aus Allen-Filmen für die Opfer sexueller Gewalt – wie Rebecca Hall und Timothee Chalamet, beide DarstellerInnen in Allens nächstem Film „A Rainy Day in New York“ (in dem es um die Affäre eines Mittvierzigers mit einer Minderjährigen geht). „Ich möchte von diesem Film nicht profitieren“, erklärte auch Schauspieler Griffin Newman und spendete seine Gage an RAINN (Rape, Abuse & Incest National Network).
https://www.youtube.com/watch?v=ic1kMoM_kPw
Dylan Farrow hatte 2014 große Schwierigkeiten gehabt, eine Zeitung zu finden, die es wagte, ihren Offenen Brief zu veröffentlichen. Der Druck der Anwälte von Allen, der die Vorwürfe bestreitet, war enorm. Dass Dylan nun sogar im Fernsehen eine Stimme bekommt, ist dem gewandelten Klima zu verdanken (Es war übrigens ihr Bruder Ronan Farrow, der mit seinen Recherchen den Weinstein-Skandal aufdeckte, in dessen Folge die #MeToo-Kampagne startete.)
Vier Tage vor dem Interview mit Dylan Farrow in deren Haus in Connecticut hatte Oprah Winfrey in einer Talkrunde mit sieben Frauen aus der Filmbranche über die „Time’s Up“-Kampagne geredet – und dabei auch die Vorwürfe gegen Woody Allen angesprochen.
„Dylan Farrow hat zur Time’s Up-Kampagne getwittert, dass sie schon vor vier Jahren - als sie sich öffentlich gegen ihren mutmaßlichen Missbraucher Woody Allen gewandt hat - geglaubt hatte, seine Zeit sei vorbei. Aber sie war es nicht“, sagte Oprah, die eine Woche zuvor bei der Golden Globe-Verleihung eine mitreißende Rede gegen sexuelle Gewalt gehalten hatte. Jetzt gab Winfrey Dylans Frage an die Filmfrauen in der Runde weiter: „Is his time really up now?“
https://www.youtube.com/watch?v=upfcbRu7oc8
„Ich hoffe es“, antwortete Produzentin Shonda Rhimes. „Yeah“, sagte Schauspielerin Reese Witherspoon. Und Kollegin Natalie Portman erklärte: „Ich glaube dir, Dylan!“. Gerade hat auch Oscar-Preisträger Colin Firth angekündigt, nicht mehr mit Allen arbeiten zu wollen. Es sieht so aus, als ob die unbeschwerte Zeit für Woody Allen tatsächlich vorbei ist.