And the Oscar goes to... #MeToo?
So tun, als sei nichts gewesen, kann auf jeden Fall keine und keiner. Und es ist auch sehr unwahrscheinlich, denn Hollywoods Frauen sind in Aufruhr. Und nicht nur die. „A tectonic shift“ hatte Frances McDormand in ihrer Dankesrede für den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin das genannt, was gerade in den USA passiert. Eine tektonische Verschiebung, das ist etwas wirklich Gewaltiges: Ganze Kontinentalplatten bewegen sich, die Erdkruste platzt auf, oft gibt es gleichzeitig ein Erdbeben. Es bleibt, im wahrsten Sinne des Wortes, kein Stein auf dem anderen.
Hollywood erlebt eine tektonische Verschiebung
Tatsächlich brodelt es seit #MeToo so gewaltig, dass in den Erdspalten schon reihenweise mächtige Männer versunken sind: Filmboss Harvey Weinstein und Oscar-Preisträger Kevin Spacey, Amazon-Studiochef Roy Price und Uber-CEO Travis Kalanick, die Fox-News-Flaggschiffe Roger Ailes und Bill O’Reilly, die Modefotografen Bruce Weber und Mario Testino. Sie alle mussten gehen, weil die Zeit, in der sexuelle Erpressung und Gewalt als Kavaliersdelikt galten, vorbei ist. In Deutschland rutscht gerade Dieter Wedel in diese Spalte.
So haben 300 Frauen aus der Filmindustrie ihre Kampagne genannt, die sie am 1. Januar 2018 lancierten. Die Liste der Schauspielerinnen, die das „Time’s Up“-Manifest unterzeichnet haben, ist lang und prominent: von Charlize Theron bis Emma Thompson, von Halle Berry bis Julianne Moore, von Reese Witherspoon bis Meryl Streep. Als eine Woche nach dem Kampagnen-Start die Golden Globes verliehen wurden, trugen viele Schauspielerinnen zu ihren fast ausnahmslos schwarzen Kleidern den Sticker mit dem schwarz-weißen „Time’s up“-Logo am Revers, und auch so mancher Schauspieler. Fast alle Frauen, die an diesem Abend mit einer Trophäe ausgezeichnet wurden, nutzten die Chance, um etwas zum Thema Sexismus zu sagen.
Nicole Kidman, die für ihre Rolle in „Big Little Lies“ prämiert wurde – einer Serie über eine geschlagene Frau – erklärte: „In der Rolle, die ich spiele, geht es um genau die Debatte, die wir gerade führen: Missbrauch.“ Sodann bedankte sie sich bei ihrer Mutter Janelle: „Sie war eine Aktivistin der Frauenbewegung und wegen ihr stehe ich heute hier. Danke für alles, wofür du so hart gekämpft hast!“
Natalie Portman, die die Nominierten für die beste Regie vorstellte, bemerkte mokant, dass diese mal wieder „alle männlich“ seien. Und dann kam Oprah. Ihre fulminante Rede riss das Publikum gleich mehrfach zu Standing Ovations von den Stühlen, die eine oder andere Schauspielerin kämpfte mit den Tränen. Meryl Streep war ebenso gerührt wie Emma Stone oder Sally Hawkins. „Viel zu lange wurde Frauen nicht zugehört oder man hat ihnen nicht geglaubt, wenn sie es wagten, die Wahrheit über jene mächtigen Männer zu sagen“, erklärte Oprah. „But their time is up!“
Aber es geht ja nicht nur um Hollywood
Oprah Winfrey weiß, wovon sie spricht. Die heutige Milliardärin wuchs als Tochter einer Putzfrau in Mississippi auf. Mit neun wurde sie von einem Cousin vergewaltigt, mit 14 bekam sie ein Kind aus einem weiteren Missbrauch. Es starb nach der Geburt.
Oprah erklärte: „Dies betrifft nicht nur die Unterhaltungsindustrie. Sondern auch die Frauen, deren Namen nie bekannt werden. Sie sind Hausfrauen, sie arbeiten auf Farmen, in Fabriken und in Restaurants, sie arbeiten in der Medizin und in der Wissenschaft, sie sind Teil der Welt der Technik, der Politik und der Wirtschaft, sie sind Olympia-Athletinnen und Soldatinnen in der Armee.“
Schon am 12. November 2017 waren in Los Angeles Tausende Frauen auf die Straße gegangen. Vier Wochen nach dem Start der #MeToo-Kampagne kamen sie zusammen zum „Take Back the Workplace March“.
Unter denen, die ihren Arbeitsplatz gegen übergriffige Chefs verteidigten, war auch die „Alianca Nacional de Campesinas“: der Verband der Farmarbeiterinnnen. „Di No al Acoso Sexual!“ – Sag Nein zu sexueller Belästigung!” stand auf ihren Schildern, von denen die meisten auf Spanisch geschrieben waren. Denn die schlecht bezahlte Arbeit auf den Feldern und in den Packstationen wird meist von den so genannten Hispanics geleistet, Einwandererinnen aus Mexiko oder der Dominikanischen Republik, nicht wenige von ihnen ohne Papiere.
Schauspielerinnen haben sich solidarisiert ...
An diesem Tag traten zwei Vertreterinnen der Campesinas ans Mikrofon und verlasen ihre Botschaft an die Kolleginnen aus den Filmstudios: „Liebe Schwestern“, sagten sie, „wir vertreten 700.000 Frauen, die in der Landwirtschaft und den Packhäusern der USA arbeiten. Wir haben mit Bedrückung gehört und gesehen, wie Schauspielerinnen und Models über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt durch ihre Bosse, Kollegen und andere mächtige Menschen in der Unterhaltungsindustrie berichtet haben. Wir sind nicht überrascht, denn wir kennen diese Erfahrungen nur zu gut. Unzählige Landarbeiterinnen im ganzen Land leiden still. Wir arbeiten nicht im Scheinwerferlicht, sondern im Schatten der Gesellschaft, auf abgelegenen Feldern und in Packhäusern, die niemand im Blick hat. Aber wir teilen eine Erfahrung: Jemandem zum Opfer zu fallen, der die Macht hat, uns anzustellen, zu feuern oder uns auf eine Schwarze Liste zu setzen.“
Und die Campesinas fuhren fort: „Ihr müsst gerade damit zurechtkommen, dass man euch mit Skepsis und Kritik begegnet, weil ihr mutig gegen die schlimmen Dinge aufbegehrt, die man euch angetan hat. Wir möchten euch sagen: Ihr seid nicht allein. Wir glauben an euch und stehen an eurer Seite!”
Die „lieben Schwestern“ aus den Filmstudios hörten – und handelten. Sie riefen „Time’s Up“ und den „Time’s Up Legal Defense Fund“ ins Leben. Mit diesem Fonds sollen Frauen unterstützt werden, die gegen ihre Belästiger und Vergewaltiger klagen wollen, aber nicht die Mittel dazu haben. Die Filmstars wenden sich an „jedes Zimmermädchen, das versucht hat, vor einem übergriffigen Gast zu fliehen“, an „jede Kellnerin, von der erwartet wird, dass sie dem grapschenden Kunden mit einem Lächeln begegnet“ und an „jede Migrantin, die ihr illegaler Status zum Schweigen bringt“. Die „Time’s Up“-Initiatorinnen versichern nun ihrerseits den „lieben Schwestern“: „Wir sind an eurer Seite. Wir unterstützen euch.“
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arbeiterinnen & Kellnerinnen
15 Millionen Dollar sind bisher im „Time’s Up Legal Defense Fund“ zusammengekommen. Auch Steven Spielberg soll eingezahlt haben. Angesiedelt ist der Fonds beim „National Women’s Law Centre“ (NWLC), das sich seit 1972 für geschlechtergerechte Gesetzgebung einsetzt. 250 Anwältinnen gehören dem NWLC-„Netzwerk für Gender-Gerechtigkeit“ an.
Bei der Golden-Globe-Verleihung demonstrierten die „Time’s Up“-Initiatorinnen diesen Schulterschluss: Viele Schauspielerinnen hatten als Begleitung eine Aktivistin mitgebracht. So kam Meryl Streep Seite an Seite mit Ai-jen Poo, der Vorsitzenden der „Allianz der amerikanischen Hausangestellten“. Emma Watsons Begleiterin für den Abend war Marai Larasi, Direktorin von „Imkaan“, einer Initiative gegen Gewalt gegen schwarze Frauen und Mädchen. Michelle Williams hatte Tarana Burke mitgebracht, die Leiterin der New Yorker Initiative „Girls for Gender Equity“. Sie hatte vor zehn Jahren den Hashtag erfunden, der nach den Weinstein-Enthüllungen von Millionen Frauen in aller Welt wiederbelebt und zu einer Art Tsunami wurde: #MeToo.
Bei der Verleihung der Grammys zeigten auch die Kolleginnen der Musikbranche, dass sie nicht gewillt sind, zur Tagesordnung überzugehen. So trat Sängerin Kesha auf, die 2014 ihren Produzenten wegen schwerer sexueller Belästigung verklagt hatte. Der hatte mit einer Verleumdungsklage gekontert. Janelle Monáe, die Keshas Auftritt ankündigte, fand klare Worte. „An alle, die versuchen sollten, uns zum Schweigen zu bringen. Für euch haben wir zwei Worte im Angebot: Time’s up! Wir sagen: Time’s up für ungleiche Bezahlung! Time’s up für Diskriminierung! Time’s up für sexuelle Belästigung! Und Time’s up für Machtmissbrauch!“
Und das zeigt jetzt schon Wirkung
Auch am ersten Jahrestag der Amtseinführung von Pussygrabber Donald Trump nahmen die Rednerinnen kein Blatt vor den Mund. Über eine Million Frauen waren wieder auf die Straße gegangen, allein 600.000 kamen zum „Women’s March“ in Los Angeles. Natalie Portman prangerte in ihrer Rede den „sexuellen Terrorismus“ an, dem Frauen ausgesetzt seien. Und Scarlett Johansson sprach von einer „unaufhaltsamen Bewegung“.
„Vielleicht ist dies wirklich ‚der Moment‘, auf den so viele Frauen gewartet haben“, hofft Ms., EMMAs amerikanische Schwester in ihrer aktuellen Titelgeschichte „Smash the Patriarchy!“: „Die Büchse der Pandora ist geöffnet.“ Und es sieht so aus, als ob sie sich bis auf weiteres nicht wieder schließen wird. Die ersten „Time’s Up“-Effekte gibt es jedenfalls jetzt schon zu verzeichnen.
Mit Greta Gerwig ist eine Frau für die beste Regie nominiert (die fünfte in 90 Oscar-Jahren) und mit Rachel Morrison die erste Kamerafrau überhaupt.