Tinder: Frauen via App bestellen
Die Dating-App Tinder ist in aller Munde. Es ist aber auch so schön einfach: Angezeigt werden Foto, Vorname und Alter von Männern und Frauen aus dem direkten Umkreis. Wer das Foto nach links wischt, signalisiert kein Interesse. Wer nach rechts wischt, signalisiert: Finde ich attraktiv. Und wenn das zufällig zwei gleichzeitig tun, gibt es ein so genanntes Match, einen Treffer, und Tinder hilft bei der direkten Kontaktaufnahme via Messenger.
Die seelischen Narben bleiben für immer
Das haben sich die IrInnen von „Turn Off The Red Light“, eine Initiative gegen Menschenhandel und Prostitution, zusammen mit der irischen Einwanderungsbehörde für ihre neue Kampagne zu Nutzen gemacht. Denn wem das Foto der lasziv dreinblickenden Asiatin Kim (29) gefällt, erlebt eine Überraschung. Auf dem zweiten Foto wird ihr Blick sehr ernst, auf dem dritten zeichnen rote Striemen ihren Körper, auf dem vierten ist ihr Gesicht übersät von blauen Flecken und Platzwunden an Mund und Auge. „Die körperlichen Narben des Sexhandels verschwinden vielleicht. Die seelischen bleiben ein Leben lang“, steht am Schluss der Fotostrecke. Plus ein Link auf die Internet-Seite der MacherInnen von „Turn Off the Red Light“ und eine Aufforderung: „Opfer von Sexhandel haben keine Wahl. Du hast jetzt die Wahl, Sexhandel mit zu beenden.“
Eine weitere Fotostrecke zeigt Natalia. Die soll angeblich 21 sein. Ist sie aber nicht. Foto für Foto verschwindet mehr von ihrem Make-Up. Am Schluss blickt ein Mädchen verletzlich in die Kamera. Zitat: „Zurechtgemacht, um hier zu arbeiten, aber viel zu jung, um dabei zu sein. Mädchen, gerade mal 14 Jahre alt, werden nach Irland in die Sexsklaverei verkauft.“
Für die Aktion wurden mehrere solcher Fake-Profile mit nachgestellten Fotos angelegt, die allerdings auf echten Biografien beruhen. „Sexhandel ist eines der lukrativsten Verbrechen - mit einer Gewinnspanne vergleichbar mit der von Drogen- und Waffenschmuggel. Trotzdem ist vielen Menschen nach wie vor nicht klar, dass das mitten in irischen Gemeinden stattfindet“, sagt Denise Charlton, Leiterin der Immigrationsbehörde.
Die Behörde ist nur eine von 70 Organisationen, die sich hinter „Turn Off The Red Light“ verbergen. Ein breites Bündnis, vom „Irish Feminist Network“ über das „Men’s Development Network“ bis hin zu den irischen Gewerkschaften. Sie fordern seit Jahren, der irischen Rotlichtszene das Licht auszuknipsen. Und in Irland die Freierbestrafung nach dem schwedischen Modell einzuführen, um die Nachfrage nach der Ware Frau einzudämmen. Im benachbarten Nordirland hat das Parlament gerade mit einer großen Mehrheit für die Freierbestrafung gestimmt und damit eine Reform der Prostitutionsgesetzgebung auf den Weg gebracht.
Die Freier aus Berlin mögen das "Pizza.de für Nutten"
Auch Tinder selbst hat in den vergangenen Monaten mit der Prostitution Schlagzeilen gemacht. So berichtete unter anderem der Guardian, dass die Dating-App von Porno- und Prostitutions-Spam überflutet wird: Gefälschte Profile, die auf Sex-Webcam-Seiten oder Werbeportale für Prostituierte verlinken. Die Washington Post ergänzte, dass es sich nicht nur um Spam-Profile handelt, sondern Frauen in der Prostitution die App direkt nutzen, um Kontakt zu Freiern aufzunehmen (und vermutlich auch dazu gezwungen werden). „Peppr“ heißt ein Angebot aus Berlin, die das Tinder-Prinzip zu diesem Zweck einfach kopiert hat: Männer können Prostituierte in ihrem Umfeld nach Foto auswählen und buchen. „Pizza.de für Nutten“, nennen Freier das im Internet. Die Kampagne von „Turn Off The Red Light“ ist also gar nicht so überraschend platziert. Eher konsequent.
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