Toronto: Incels und ihr Frauenhass
Am Montag, den 23. April 2018, lenkte Alek Minassian einen weißen Kleintransporter auf die Gehsteige der Innenstadt von Toronto. Auf einer Länge von 2,2 Kilometern überfuhr er Passanten und zielte dabei vor allem auf Frauen. Zehn Menschen wurden getötet, 15 weitere verletzt. Bevor er losfuhr, schrieb er auf Facebook seinen letzten Post:
Schon Eliott Roger erklärte Frauen den Krieg
„The incel rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys! All hail the Supreme Gentleman Elliot Rodger!“ zu Deutsch: „Die Rebellion der unfreiwillig Zölibatären hat begonnen. Wir werden die Chads und Stacys niederringen. Heil dem überlegenen Gentleman Eliott Rodger!« Eine wirre, von Frauenhass triefende Nachricht, die einen Frauenmörder zum Helden erhebt.
Eliott Rodger hatte im Mai 2014 in Santa Barbara auf dem Unigelände sechs Menschen getötet – zunächst seine Mitbewohner und dann wahllos Studentinnen. In einem Manifest hatte er erklärt, in einen „Krieg gegen Frauen“ zu ziehen, weil diese „ihm Sex vorenthalten hätten“. Der 23-jährige Rodger hatte sich als „Incel“ verstanden, genau wie der 25-jährige Alek Minassian.
Wer aber sind diese Incels?
„Incel“ ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus dem Englischen „Involuntary“ und „Celibate“ – zu Deutsch: „unfreiwillig zölibatär.“ Incels treffen sich im Internet, zum Beispiel auf der Plattform Reddit, auf der man anonym alles Mögliche posten und sich austauschen kann. Dort sprechen sie über »Stacys«, also attraktive Frauen, und »Chads«: Männer, die bei Frauen gut ankommen. Incels fühlen sich gekränkt und zurückgewiesen von Frauen und glauben – auch aufgrund intensiven Pornokonsums – sie hätten ein Anrecht auf Frauen. Da diese aber oberflächlich seien und deshalb nur auf muskelbepackte Erfolgstypen ständen, hätten sie bei ihnen keine Chance.
Das Motiv der Incels: ihr gekränktes Ego
Incels sind eine heterogene Gruppe, dennoch zeigen sich übereinstimmende Merkmale: Sie sind technikaffin und arbeiten oft in der IT-Branche. Ihre sozialen Kontakte sind gestört, oft leben sie noch bei ihren Müttern. Sie attackieren Frauen aus der feigen Anonymität des Internets und feuern sich gegenseitig zu Gewalttaten an, die sie dann gemeinsam feiern, etwa, wenn es einem von ihnen gelungen ist, Frauen Angst zu machen oder sie sogar zu verletzen. Zwar sind Incels vor allem englischsprachig organisiert, doch in den Diskussionssträngen finden sich zahlreiche deutschsprachige Nutzer.
In den Medien wird – wie bereits bei Elliot Rodger – das Bild des armen, bemitleidenswerten „guten Kerls“ befördert, der bei den oberflächlichen Frauen nicht landen kann. Auf diese Weise werden die entsetzlichen Bluttaten dieser Mörder nicht nur relativiert - den Frauen wird sogar noch eine Mitschuld daran gegeben.
Zwischen Incels und Pick-Up-Artists gibt es zahlreiche Verbindungen. Gemeinsames Merkmal ist ihr Frauenhass. Während Pick-Up-Artists Frauen zu Objekten degradieren, die es möglichst manipulativ zum Sex zu bringen gilt, ist der Hass, den Incels auf Frauen haben, noch viel intensiver. Auf Reddit tauchen immer wieder frauenverachtende und gewaltverherrlichende Postings auf. Sie beschreiben, wie sie Frauen und Mädchen nachstellen und stalken und ihre Angst genießen. Sie beschimpfen Frauen und fantasieren von brutalen Vergewaltigungen. Das Motiv dahinter: ihr gekränktes Ego.
Die Incels hoffen: Die Opfer sind hübsche Frauen
Bereits 2014, nach den Isla Vista Morden, bei denen Elliot Rodgers zuvor in einem Youtube-Video von seinem Frauenhass fantasierte, rückten die Incels in den Fokus des Interesses. Auf Reddit gibt es inzwischen zahlreiche Diskussionsstränge, auf denen Incels ihren Frauenhass und ihre Gewaltfantasien zelebrieren. Allerdings ist Reddit, sonst vor allem für seine Zensurfreiheit bekannt, seit einiger Zeit dabei, diese Stränge zu schließen. Erst Ende letzten Jahres schloss Reddit ein vor Frauenhass triefendes „Subreddit“ von Incels mit mehr als 40.000 Teilnehmern.
Trotzdem gibt es für die Incels genug Möglichkeiten, sich auszutauschen. Bereits kurz nach dem Massaker fanden sich auf Reddit zahlreiche Posts bekennender Incels, die Alek Minassian als „Helden“ und „Heiligen“ feiern. Einige der Postenden schreiben, dass sie hofften, es handele sich bei den Opfern vor allem um junge, gutaussehende „Cunts“ – das englische Wort für „Fotze“. Häufig werden diese Postings schnell gelöscht, doch das kritische Subreddit »IncelTears« sammelt Screenshots der Äußerungen und dokumentiert damit das ganze Ausmaß des Frauenhasses.
Sie sehen Sex als die Bringschuld der Frauen
Ein bezeichnendes Merkmal der „Incels“ ist, dass sie sich selbst als Opfer betrachten. In einer oberflächlichen, auf das Äußere bedachten Gesellschaft kämen sie nicht zum Zug bei Frauen. Gerne geben sich Incels so, als seien sie die »netten Kerle«, die auf der Suche nach romantischer Liebe seien, aber in der oberflächlichen Wahrnehmung der Frauen durch ein Raster fielen. In Wirklichkeit zeigt sich in ihren Postings knallharter Frauenhass. So schreiben sie etwa von ihrer unfreiwilligen Jungfräulichkeit und erhalten dann Tipps, wie es ihnen gelingen kann, eine Frau zum Sex zu manipulieren oder sogar mit Gewalt zu zwingen. Dahinter steckt die Auffassung, dass Frauen Männern Sex »schuldig« seien.
Schon jetzt gibt es die ersten Interviews mit amerikanischen Forschern, die den Hass in diesen Foren relativieren. Dort ginge es nur um Austausch und Selbsthilfe. Doch selbst ein oberflächlicher Blick in diese Foren zeigt, wie oft dort zu Gewalt gegen Frauen aufgerufen wird.
Eine Zielscheibe des Hasses der Incels sind Feministinnen. Ihnen geben sie die Schuld daran, dass Frauen über sich, ihre Sexualität und ihr Leben selbst bestimmen. Ohne Feminismus, so die Incel-Logik, hätten Frauen gar keine andere Wahl, als auch sie, die Incels, als potenzielle Partner zu betrachten.
Incels: Frauen verdienen Vergewaltigung
Incels sind nicht einfach ein paar traurige, picklige Jungs vor dem Computer, sondern, das zeigen die Attentate von Isla Vista und Toronto, potenzielle Terroristen, die nicht im Namen der Religion, sondern des Frauenhasses agieren. Es geht ihnen nicht um Liebe, sondern um Sex und Dominanz. Sie degradieren Frauen, weil diese es angeblich mit jedem treiben, der Muskeln oder Geld hat, nur mit den hässlichen Incels nicht, und die es deshalb nicht anders verdienen, als gestalkt, vergewaltigt oder online belästigt zu werden. Die Lobeshymnen, die in den Incel-Gruppen erst auf Elliot Rodger und nun auf Alek Minassian gesungen werden, lassen befürchten, dass ihre Taten zum Vorbild für andere werden. Das Ziel: Angst und Schrecken unter Frauen zu verbreiten und sie für ihre Selbstbestimmung zu bestrafen.
Wie immer, wenn Terrorismus versucht, Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken, ist es wichtig, zusammenzustehen und Solidarität zu zeigen. Unsere Gesellschaft hat Frauenhass weithin akzeptiert und toleriert sogar Hassrede, wie die aktuelle Debatte um die Rapper Kollegah und Farid Bang zeigt. Die Sensibilisierung für Frauenhass muss gestärkt und diesem entschlossen entgegengetreten werden. Das Attentat aus Toronto zeigt auf furchtbare Weise: Aus Worten werden Taten. Das gilt auch und vor allem, wenn sich diese Worte gegen Frauen richten.