Primaballerina mit Haaren auf der Brust

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Transvestiten ziehen, so glaubte bisher die Wissenschaft, aus dem Kleiderwechsel eine erotische Befriedigung oder wollen, so meint neuerdings ein Teil der Sexualforscher, mit dem Tausch von Anzug und Kleid die Rolle überhaupt tauschen, wollen Frau sein.

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Wie auch immer, diese Transvestiten, über die da gelacht wird, sind eigentlich gar keine, sondern spielen sie nur: es sind die "Folies Parisiennes" (die verrückten Pariserinnen), die auf der Bühne des "Senftöpfchens", einem Kölner Kabarett, zeigen, wie gut eine Transvestiten-Show sein kann. Nämlich eine Show ohne Härte und mit Freude am Spiel.

In der Pause wird am Büffet getuschelt, was denn nun wirklich mit diesen verrückten Pariserinnen los sei, ob sie einen Freund hätten oder eine Freundin, ob sie auch auf der Straße "so" rumlaufen würden und wie das überhaupt alles ginge. Nun, Daniel Sander, der einfallsreiche Regisseur dieser Show, gibt gerne Auskunft: zwei Männer seiner Truppe leben mit Frauen, sind Väter, andere sind homosexuell - aber auch im Leben Transvestit ist nur einer.

Ich treffe Daniel - auf der Bühne kokette Ballerina und tödlich parodistische Regine - am Nachmittag nach der Show. Im Leben hat er sichtbar genau den gegengesetzten Part wie auf der Bühne: da spielt er nämlich fast prüde, mädchenhaft-zarte Rollen -und er tritt mir als Kerl in schwarzem Leder gegenüber . . . Es stellt sich heraus, dass der Franzose Daniel mehr oder weniger zufällig zu den Transvestiten gekommen ist: als Tänzer und Schauspieler hatte er irgendwann keine Lust mehr, so schlecht bezahlt zu arbeiten und nahm im Dezember 75 eine Rolle in der berühmten Pariser Transvestiten-Show "La grande Eugene" an. Zunächst sehr zögernd. Peinlich war es ihm. Seinen Eltern mochte er nichts davon sagen und Freunden auch nicht.

"Am Anfang war es mir schon sehr komisch", erzählt er. "Aber schließlich habe ich mir gesagt: das ist eine Rolle wie jede andere." Aber es ist eben doch nicht ganz so. Ein Mann, der eine Frau spielt, wird von einer Gesellschaft, die Frauen insgesamt verachtet, ebenfalls verachtet. So ist auch die Hierarchie bei homosexuellen Männern: an der Spitze stehen die Supermänner, ganz unten die "Tunten", die, die sich weiblich geben.

Eines ist Daniel bei dieser Arbeit klar geworden: "Ich bin zufrieden, dass ich ein Mann bin. Ich könnte in Kleidern nicht leben. Das ist so unnatürlich. Man kann sich gar nicht bewegen. Frauenkleider sind richtige Sklavenkleider . . ." Und da ist Daniel ganz allein drauf gekommen, denn Feminismus kennt er nur vom Hörensagen.

Beim Gespräch wirkt dieser kräftige Leder-Mann manchmal fast kindlich. Ich frage ihn, ob er seinen beeindruckenden Männerpart im Leben so ungebrochen spielen kann, weil er abends auf der Bühne ein Ventil für das so genannte "Unmännliche" in sich hat, es da ausspielen kann? Daniel lächelt verlegen. Darüber hat er noch nicht nachgedacht.

Die anderen Schauspieler, erzählt er, geben sich, seit sie in der Show mitarbeiten, draußen zum Teil eher noch männlicher als früher: Sie wollen so, sicherlich meist unbewusst, die "Schande" der weiblichen Rolle kompensieren. Sie alle - Deutsche, Franzosen und Amerikaner - sind übrigens nur aus äußerster Not in die Frauenkleider geschlüpft: Die meisten waren unterbezahlt oder arbeitslos so wie der Berliner Tom, der über das Transvestiten-Lokal Romy Haag zu den Folies Parisiennes kam: "Wenn Du da einmal am Arbeitsamt auf dem Gang rumgelungert bist, dann biste bedient..."

Das Haus ist ausverkauft. Transvestiten-Shows sind in Mode. Und wie immer, wenn was in Mode ist, ist es kein Zufall, ist es nicht nur lanciert von ein paar Geschäftstüchtigen, sondern entspricht auch einem tieferen Bedürfnis der Menschen, entspricht dem Lauf der Zeit.

In einer Zeit, in der die Künstlichkeit und die Zwänge der Frauen- und der Männerrolle immer deutlicher werden, in einer solchen Zeit werden auch die Übergriffe häufiger: Frauen erlauben sich "männliches" Verhalten, Männer "weibliches". Da wären diese anderen Gefühle schon immer, nur durfte man sie bisher nicht zeigen, durfte sich nur in Ausnahme-Situationen - so wie im Karneval - einmal nach Herzenslust austoben.

Wie wenig angeboren und wie anstudiert weiblicher Hüftschwung und kokettes Klimpern mit der Wimper sind, dafür sind die Folies Parisiennes das beste Beispiel: in seiner Imitationsnummer ist der Franzose Sylvestre von Mimik und Attitüde her eine perfektere Piaf als es Piaf je sein konnte, und Bob ist eine wiederauferstandene Marylin Monroe - zumindest was die als weiblich deklarierten Attribute angeht. Marylins ganz besondere Anziehungskraft bleibt unimitierbar, weil sie nicht von ihr als Frau, sondern von ihr als Mensch ausging.

Aufregend, das wird gerade bei dieser Transvestiten-Show deutlich, ist am Wechsel der Rolle vor allem die Tatsache, dass sie eigentlich gar nicht ganz gewechselt wird: Männliches paart sich mit Weiblichem, und das ist es, was es spannend macht - denn die Reduzierung auf nur das eine oder nur das andere ist und bleibt fad.

So ist Daniel als vieldeutige Primaballerina mit behaarter Männerbrust allemal erotischer, als als eindeutiger Kerl im schwarzen Leder...

Sophie Aust, EMMA 2/1978

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