Trudeau & Merkel: die Traumkombi

Tina Brown und Justin Trudeau beim "Women in the World Summit" in Toronto.
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Der Auftritt endet mit einem Showdown. Justin Trudeau steht von seinem Stuhl auf, spannt die Schultern, hebt Kinn und Mundwinkel und verlässt die Bühne. Allerdings nicht nach hinten, wo die Sicherheitsleute auf ihn warten. Nein, Trudeau schreitet nach vorn, mitten in sein Publikum hinein. Er schüttelt Hände, lässt sich umarmen, macht Selfies. Kanadas Staatschef wird gefeiert wie ein Popstar. Und er lässt sich feiern wie einer.

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Wir befinden uns auf dem ersten Women in the World Summit in Kanada. Und Prime Minister Trudeau hat es sich nicht nehmen lassen, an diesem Tag im voll besetzten Saal der Art Gallery of Ontario in Toronto seine Vision einer gleichberechtigten Welt zu diskutieren.

"Wenn wir Frauen fördern, werden Männer einen Teil der Macht verlieren"

Für mich ist es Tag 42 in Kanada und meine Beziehung mit dem Land verläuft so, wie kurze aber heiße Affären nun mal so laufen. Nach einigen Wochen trunkener Leidenschaft für jedes noch so kleine Detail in diesem sehr großen Land, sitze ich seit einigen Tagen mit einem leichten Kater auf der Couch und versuche Ordnung in meine doch recht widersprüchlichen Eindrücke zu bringen. Justin Trudeau kommt da gerade recht.

Ich erinnere mich gut an meine naive Begeisterung für Kanada und seinen Premier, als ich am 31. Juli 2017 aus dem Flugzeug stieg. Die Popzeitschrift Rolling Stone hatte gerade mit Trudeau und der koketten Frage „Why can’t he be our president?“ getitelt und damit ein Gefühl ausgedrückt, das nicht nur die Trump-geplagten US-Amerikanerinnen teilen, sondern auch viele andere Frauen aus der westlichen Welt. In Zeiten, in denen die Machos marodieren, erklärt Trudeau die Sache der Frauen zu seiner. Wie schön.

„Wir müssen den Menschen klar machen, dass es nicht nur darum geht, das Richtige zu tun, sondern auch das Klügste“, sagt Trudeau mit dieser warmen und ruhigen Stimme. „Ein paritätisches Kabinett trifft einfach bessere Entscheidungen.“ Und er verspricht für das Freihandelsabkommen NAFTA zwischen Kanada, USA und Mexiko ein Gender-Kapitel, so wie es ja auch schon mit Chile ausgehandelt wurde.

Und die Männer? Ja, die werden „einen Teil ihrer Macht verlieren, wenn wir Frauen fördern wollen“, plaudert Trudeau weiter. Eine Macht, die sie ja ohnehin „zu Unrecht haben“. Ob er denn für seine Familie seinen Beruf aufgeben würde, will Moderatorin Tina Brown wissen. „Na ja, diesen Job jetzt vielleicht nicht...“ . Die Frauen im Publikum lachen. 30 Minuten Justin Trudeau – und er hat nur richtige Dinge gesagt. Frau stelle sich vor, Kanzlerin Merkel würde so reden.

Das Misstrauen gegenüber dem charmanten Justin ist groß.

Doch das ist nicht nur eine Freude, sondern auch ein Problem für die Kanadierinnen. "Er kümmert sich zu viel um sein Image und handelt zu wenig“, lautet die einhellige Antwort auf die T-Frage. Egal, ob ich meine hippe kulturschaffende Vermieterin, die feministische Bloggerin oder die indigene Sonderbeauftragte der Provinz Ontario frage - sie alle sind misstrauisch mit dem charmanten Justin. Die KanadierInnen wollen nach zwei Jahren Amtszeit der liberalen Regierung endlich konkrete Fortschritte sehen. Trudeau aber liefert ihnen vor allem Selfies und Entertainment.

Kurz nach dem Frauengipfel treffe ich meine Vermieterin. Sie fragt mich, warum die Europäerinnen eigentlich so Trudeau-fixiert seien, Deutschlands Staatschef hätte ja schließlich „sogar eine Vagina“. "Na ja, mit Merkel und den Frauen ist das manchmal auch nicht so einfach ...“ setze ich zu einer Antwort an - und in diesem Moment fällt mir eine Parallele zwischen den beiden auf. Die Kanadierinnen werfen Justin Trudeau vor, es gehe ihm zu viel um Repräsentation. Die deutschen Frauen klagen, Merkel repräsentiere sie zu wenig.

Während Justin Trudeau hier als „Justine“ mit den „schönen Haaren“, also als weiblich und deshalb inkompetent verunglimpft wird, wird Merkel mangelnde Weiblichkeit angekreidet. "Das" Merkel tönt es hinter vorgehaltener Hand oder "wie ein Mann" klagen manche. Beide StaatschefInnen haben also das gleiche Problem: den Bruch der Geschlechterrolle.

Der "feminine Mann" & die "maskuline" Frau ergeben
ein Ganzes

Ist das der Grund, warum Trudeau sich auf dem Frauengipfel anfangs noch zaghaft, dann aber uneingeschränkt als Merkel-Fan outet? Merkel sei eine „außergewöhnliche Anführerin, die so viele Dinge bedenkt, ohne dabei den Blick für das Wesentliche zu verlieren“, findet Trudeau. Der "feminine" Mann und die "maskuline" Frau, das ergibt eben ein Ganzes.

Ich werde hier jedenfalls seit Tagen von einem Ohrwurm begleitet, der einfach nicht verschwinden mag: „Land of confusion“. Allerdings nicht in der Originalversion von Genesis, sondern als Cover von einer meiner Lieblingsfrauenbands: Katzenjammer. Es ist ein trotziger, aber auch stolzer und vor allem fordernder Song. Und der passende Soundtrack für das verheißungsvolle Kanada.

Alexandra Eul berichtet im Rahmen des Arthur F. Burns Fellowship aus Kanada.

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Im Exil vor den Islamisten

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Diese Woche habe ich in einer Wohngemeinschaft im französischsprachigen Montreal, mitten in dem alternativen Künstlerviertel Mile End verbracht. Zusammen mit einem Künstler aus Israel und einem Musiker aus Syrien. Der eine aus Haifa, der andere aus Damaskus. Zwei Städte, die eigentlich nur 270 Kilometer voneinander entfernt sind. Wären die beiden nicht nach Kanada ausgewandert, hätten sie sich vermutlich nie kennen- und vielleicht sogar hassen gelernt. Heute sind sie Freunde und leben gemeinsam in einer hellen Wohnung in einer wildblumengesäumten Nebenstraße. Die Haustür steht den ganzen Tag offen, so wie man sich das in Kanada immer vorgestellt hat. "Wir sind der lebende Beweis, dass es funktioniert", sagt der Israeli.

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In Montreal ist gerade CSD-Saison und die Stadt ist voll mit Menschen in bunten Outfits und mit bunten Ideen. Hier wird eine Regebogenfamilie geplant (zwei lesbische Frauen, ein schwuler Mann), dort über gender-neutrale Mode und fluide Geschlechterrollen diskutiert (von einem queeren Mann im schicken Blümchenkleid). Wer wie ich das frankophone Québec erreicht, der merkt aber auch, dass die weltoffene Idylle und das perfekte Image, das Kanada nach außen präsentiert, Risse hat. Manche der Jüngeren wünschen sich eine größere Souveränität des frankophonen Teils gegenüber dem anglophonen Kanada - bis hin zur Unabhängigkeit.

Niemand weiß das so gut, wie Djemila Benhabib, die ich vor drei Tagen besucht habe. Die in Algerien aufgewachsene Intellektuelle ist vor 23 Jahren als scharfe Kritikerin des radikalisierten Islams ins Exil geflüchtet. Erst nach Frankreich und dann nach Kanada. Heute lebt Djemila in Trois-Rivières, einer der ältesten Industriestädte Kanadas, hält Vorträge und Seminare, schreibt und ist politisch engagiert (u.a. in der Parti Québécois, die ein unabhängiges Québec fordert).

An dem Tag, an dem wir in ihrem Garten ein köstliches Mittagessen zu uns nehmen, ist Djemila bester Laune. Sie hat gerade einen Rechtsstreit gegen eine Koranschule gewonnen, die sie wegen angeblicher Beleidigung verklagt hatte. Die Feministin hatte in einem Radiointerview u.a. kritisiert, dass die Koranschule minderjährigen Mädchen vorschreibt, den Hidjab zu tragen - und "rein" zu bleiben. "Als ich nach Kanada gezogen bin, hätte ich niemals gedacht, dass ich mich auch hier mit solchen Themen rumschlagen muss - aber jetzt agitieren die Islamisten auch hier“, sagt sie fast resigniert.

Aber Djemila will nicht schweigen. Sie hat das ja alles schon mal erlebt, Anfang der 1990er Jahre in Algerien. "Mein Leben in Algerien war ein Traum. Ein schönes Land, eine tolle Familie, wir haben es geliebt zu essen und zu trinken“, sagt Djemila. „Und dann kamen die Islamisten - und das hat alles verändert. Ich frage mich bis heute: Wie kann es sein, dass wir diesen Tsunami, der da auf uns zugerollt kam, nicht rechtzeitig gesehen haben?“

Ensaf, Djemila und Alex.
Ensaf Haidar, Djemila Benhabib und Alex Eul.

Am nächsten Tag besuchen wir zusammen Ensaf Haidar, die Frau des seit fünf Jahren inhaftierten und gefolterten saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi. Ensaf und ihre drei Kinder haben in Sherbrook Zuflucht gefunden. Seither kämpft sie für Raifs Freilassung, Tag für Tag.

"Das Problem ist nicht nur die saudische Regierung. Sondern auch die kanadische. Theoretisch verteidigen sie Raif, aber in der Praxis tut sie zu wenig, um ihn zu befreien", klagt Ensaf. Sie und Djemila sind sich einig: Fünf Jahre reichen, es muss endlich etwas passieren.

"Raifs Zustand ist sehr kritisch", sagt seine Frau, und auch sie sieht sehr erschöpft aus. Währen des EMMA-Gesprächs (das wir demnächst veröffentlichen werden) klingelt ihr Handy, es ist Raif. Ensaf verschwindet kurz. Später wird sie auf Facebook posten: "Wenn der Mensch, den du liebst, dir sagt, dass er auf die grauenvollste Art und Weise misshandelt werden wird - was antwortest du dann?“

Alexandra Eul berichtet im Rahmen des Arthur F. Burns Fellowship aus Kanada.

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