Çilem Doğan: die türkische Rächerin

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Dieser Blick. Kein bisschen demütig oder gar gebrochen, sondern stolz und klar. So schaut Çilem Doğan in die Kameras, als sie von zwei Polizistinnen abgeführt wird. Die Fotos von der 28-jährigen Türkin aus Adana gehen um die Welt. Eins der Bilder zeigt die Frau, deren Hände mit Handschellen gefesselt sind, mit hochgereckten Daumen. Was ist passiert?

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Çilem Doğan hat gerade ihren Mann erschossen. Nach der Tat hatte sie erklärt: „Warum sollen immer die Frauen sterben? Es ist Zeit, dass auch mal Männer sterben!“ Das finden offenbar auch viele türkische Frauen, die Çilem jetzt als ­Heldin feiern.

"Eine Pistole und sechs Kugeln - und Rache für alle erniedrigten Frauen!"

Der Hashtag #ÇilemDoğan läuft über vor Solidaritätsbekundungen und, ja, Bewunderung: „#ÇilemDoğan ist eine Heldin!!! Meinen Respekt, Mädchen!“ heißt es da. Oder: „Çilem Doğan: Eine Pistole und sechs Kugeln, um alle erniedrigten Frauen zu rächen!“ Oder: „100% einverstanden, nach allem, was du durchmachen musstest. Ich glaube, ich spreche für viele, wenn ich sage: Die Welt steht hinter dir!“

Was hat Çilem durchgemacht? Ihr Ehemann Hasan Karabulut, 33, war Mitte Juli tot in seinem Schlafzimmer gefunden worden. Sechs Kugeln steckten in seinem Körper. Bei ihrer Vernehmung gab Çilem Doğan die Tat sofort zu. Von Anfang an habe ihr Mann sie in der Ehe misshandelt, gab sie zu Protokoll. Mehrfach habe sie die Gewalttaten bei der Polizei anzeigen wollen, aber die habe sie nie ernst genommen. Und das nicht etwa in einem ostanatolischen Dorf, sondern in der südtürkischen Millionenstadt Adana. Am Tag der Tat habe Karabulut sie aufgefordert, ihre Koffer zu packen. Er werde sie nach Antalya bringen, wo sie sich prostituieren sollte. Als Çilem sich weigerte, habe ihr Mann sie wieder geschlagen. Da habe sie die Waffe, die er unter seinem Kopfkissen versteckt hatte, hervorgeholt und ihren Mann erschossen.

„Gut! Ich wünschte, mehr Opfer Häuslicher Gewalt würden so reagieren“, wird die Rächerin auf Twitter bestärkt. „Das wäre vor zehn Jahren noch nicht so gewesen“, weiß die deutsch-türkische Frauenrechtlerin Necla Kelek. „Die Frauen haben es einfach satt!“

Schon im Februar dieses Jahres war eine Frauen-Protestwelle durchs Land geschwappt. Die Studentin Özgecan Aslan war auf dem Nachhauseweg von dem Busfahrer vergewaltigt worden. Als sie sich wehrte, erschlug er sie mit einer Eisenstange. 5000 Frauen marschierten bei Özgecans Beerdigung mit und trugen den Sarg – was traditionell nur Männer tun. Unter dem Hashtag #sendeanlat (Erzähl auch du es!) twittern Türkinnen seither über die alltägliche Gewalt, der sie zu Hause oder auf der Straße ausgesetzt sind.

17 Frauen in der Türkei töteten ihre gewalt-
tätigen Männer.

Eine Petition auf Change.org, die mehr Schutzmaßnahmen und härtere Strafen für Täter fordert, hat inzwischen fast 1,2 Millionen UnterstützerInnen. „Die Türkei ­bewegt sich kein Stück nach vorne, um Femizide zu verhindern – und es wird immer schlimmer“, schreibt Initiatorin Gözde Salur. „Das ist das Resultat einer Politik, die Frauen zunehmend ­abwertet in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.“

Wenige Tage nach dem Mord an ­Özgecan Aslan schnitt Gönal S. im südtürkischen Isparta ihrem Mann Osman die Kehle durch. Auch er war „nach drei Wochen gewalttätig geworden“, erklärte die 49-Jährige. Außerdem habe er sie täglich gezwungen, „abartige Dinge“ aus deutschen Pornofilmen nachzuspielen. An diesem Tag, sagt Gönal S., drückte Osman ihr die Kehle zu. Da griff die Frau zum Küchenmesser.

Wie das „Istanbul feminist Kollektif“ berichtet, haben allein in diesem Jahr 17 Frauen ihre gewalttätigen Männer getötet – und zehnmal so viele Männer ihre Frauen.

Als Çilem Doğan zur Vernehmung geführt wird, trägt sie ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Dear past, thanks for all the lessons. Dear future, I am ready.“ – „Liebe Vergangenheit, danke für all die Lektionen. Liebe Zukunft, ich bin bereit.“

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Alice Schwarzer schreibt

Obama & Erdogan: eine Katastrophe!

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Kommen die Amerikaner denn nie zur Besinnung? Seit rund 30 Jahren tragen sie – auf unterschiedlichste Weisen und mit vielfältigen Motiven – zum Erstarken der islamistischen Gotteskrieger bei. Und jetzt planen sie einen neuen Coup. Der wird ihnen zwar Militärbasen dicht beim Iran bescheren – aber die Islamisten in Nahost weiter stärken. Amerika will gemeinsam mit der Türkei den „IS bekämpfen“, in Irak wie Syrien. Denselben IS, den eben diese Türkei bis vor kurzem nicht nur hat wüten lassen von ihrem Terrain, sondern vermutlich auch direkt mit Waffen ausgestattet.

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Doch die Gotteskrieger vom „Islamischen Staat“ scheinen dem Gotteskrieger Erdogan jetzt über den Kopf zu wachsen. Nun versucht er, sie mit Hilfe Amerikas in Schach zu halten. Ein bisschen. Denn die „IS-freie Zone“, ein Streifen von 90 Kilometern in Syrien entlang der türkischen Grenze, soll sodann von sogenannten „gemäßigten Rebellen“ kontrolliert werden. Dabei weiß jeder, dass die Grenzen zwischen den „Gemäßigten“ und den „Radikalen“ fließend sind und am Ende immer die bestens organisierten und munitionierten Radikalen siegen.

Seit Jahrzehnten fördern die USA das Erstarken der Islamisten

Die Türkei wird die amerikanische Rückenstärkung vor allem nutzen, um in einem ersten Schritt die Kurden plattzumachen und in einem zweiten den syrischen Staatschef Assad. Das wäre dann der fünfte, zwar autokratische, aber immerhin weltliche Herrscher, der mit militärischer oder propagandistischer Hilfe des Westens in Nahost und Nordafrika gestürzt wird: nach Saddam Hussein im Irak (2003, Sturz durch westliche Bombardierung), Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien (2010, Sturz durch den sogenannten „Arabischer Frühling“), Muhammad Husni Mubarak (2011, Sturz durch den „Arabischer Frühling“) und Muammar al-Gaddafi in Libyen (2011, Sturz durch westliche Bombardierung).

Ägypten und Tunesien versuchen gerade mühsam - nach einem Zwischenspiel islamistischer Staatschefs - der islamistischen Terroristen Herr zu werden und führen dazu die alten autoritären Verhältnisse wieder ein. Irak und Libyen sind im Chaos versunken und zum Spielball der Islamisten geworden. Sie ringen mühsam ums Überleben. Jetzt also auch noch Syrien.

Gewiss, Baschar Al Assad – der aus London zurückgekehrte Augenarzt, der nach dem Unfalltod seines älteren Bruders als zweiter Sohn überraschend die Macht von seinem diktatorischen Vater übernehmen musste – hat die so dringlich nötigen Reformen nicht so rasch und konsequent umgesetzt, wie sein Volk gehofft hatte. Also hätte der Westen, wenn er es denn ernst gemeint hätte, die demokratische Opposition innerhalb Syriens stärken müssen. Damals, als die noch existierte und Religion Privatsache war und die Gotteskrieger das Land noch nicht in Geiselhaft genommen hatten.

Warum stärkte der Westen nicht demokratische Kräfte?

In all diesen Ländern hat der Westen – unter Anstiftung Amerikas – den tödlichen Fehler gemacht, die weltlichen Autokraten zunächst gewähren zu lassen. (Und gleichzeitig hat er kräftig Geschäfte mit ihnen gemacht. So wie bis heute mit dem Gottesstaat Saudi-Arabien, dem Hauptgeldgeber der islamistischen Terroristen, und demnächst wieder mit Iran.) Und dann hat der Westen plötzlich zur Destabilisierung beigetragen – indem er die falschen Oppositionellen unterstützt oder gar einen Krieg angezettelt hat. Und das selten aus den vorgeschobenen Motiven, und schon gar nicht wegen der so gern angeführten Frauenrechte. Geopolitische und wirtschaftliche Gründe waren meist entscheidend. In das Desaster der kopflos gewordenen Länder stießen sodann die Gotteskrieger: mit Zuckerbrot und Peitsche.

Angefangen hatte die fatale Doppelstrategie des Westens in Bezug auf den politisierten Islam in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre mit dem „Grünen Gürtel“. Den legten die Amerikaner um die süd-westliche Grenze der Sowjetunion. Um die russische Weltmacht zu Fall zu bringen, rüsteten sie die Taliban in Afghanistan ebenso auf wie die Gotteskrieger in Tschetschenien. Der Plan ging auf.

Es folgte 2003 die Entmachtung und Ermordung von Saddam Hussein, der kurz zuvor noch bei Hofe verkehrt hatte. Ganz wie Gaddafi in Libyen. Letzter war allerdings nicht nur ein Terrorist, u.a. verantwortlich für blutige Anschläge in Europa. Gaddafi war gleichzeitig der Wüsten-Prinz, der selbsternannte „König der Könige von Afrika“, der über Jahrzehnte von dem schwarzen Kontinent bewunderte Rebellenführer. Gaddafi hatte die Eigenständigkeit von Afrika im Visier, inklusive einer ökonomischen Eigenständigkeit mit eigener Währung, unabhängig vom Dollar. Und er war ein Gegner des Rassismus.

Heute werden die Schwarzen von weißen Libyern ins Meer geworfen oder auf Boote Richtung Europa gestoßen. Europas Flüchtlingsproblem würde so nicht existieren, wenn die Menschen heute nicht vor den Gotteskriegern und ihren Folgen fliehen müssten.

Erdogans Plan: der Kampf gegen die Kurden und der Sturz Assads

Und es werden zweifellos noch mehr werden. Denn die Herrschaft der Islamisten in Nahost und Afrika wächst. Geht Erdogans Plan auf, wird er nicht nur die (weltlichen) Kurden plattmachen, sondern endlich auch den gehassten Konkurrenten Assad zum Teufel jagen. Der Weg zur Islamisierung Syriens wäre bei einem Sieg des Bündnisses Obama/Erdogan frei. Und aus dem einst zwar autokratisch, aber immerhin weltlich regierten Land würde dann ein Gottesstaat.

Und die Türkei? Erdogan hatte schon als Bürgermeister von Istanbul 1998 im Gefängnis gesessen: wegen islamistischer Umtriebe. Da hatte noch das Militär das Sagen. Jetzt ist der – trotz oder wegen seiner offenen Islamisierung? – mehrheitlich gewählte Gottesstaatler am Drücker.

Erdogan wird nicht nur die Türkei weiter Richtung Gottesstaat treiben, sondern auch versuchen, in der Region die Nr. 1 zu werden. In nicht allzu weiter Ferne würden dann TürkInnen nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, sondern auch aus politischen. Allen voran die Frauen.

Amerika und seinen Verbündeten sei Dank.

Alice Schwarzer

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Alice Schwarzer (Hg.): "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz" (2002) und "Die große Verschleierung - für Integration, gegen Islamismus" (2011), beide bei KiWi. mehr

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