U-Bahn-Fahren ist Vätersache
„Wie machst du das, ohne Auto?“ Die Genossin in unserem Bauprojekt sah mich entgeistert an, als ich erklärte, keine Tiefgarage zu benötigen: Ich besaß kein Auto und hatte auch nicht vor, mir eins anzuschaffen. Sie hatte zwei kleine Kinder, ich hatte zwei kleine Kinder. Wir wohnten beide in Berlin-Mitte. „U-Bahnfahren mit Kinderwagen klappt super!“ sagte ich, „Und das nervige Anschnallen bei diesen komplizierten Kindersitzen fällt auch weg.“
U-Bahnfahren wird zur Genderfrage
Aber das war natürlich gelogen. Wenn es einen Aufzug gibt und der auch funktioniert, ist U-Bahnfahren super. Das kommt aber zumindest in Berlin eher selten vor. Wenn es eine Rolltreppe gibt, ist das auch super – abgesehen von den Klugscheißern, die die EU-Richtlinie kennen, die besagt, dass man mit Kinderwagen nicht auf die Rolltreppe darf.
Bist du aber darauf angewiesen, dass dir jemand hilft, den Wagen die Treppe runterzutragen, wird U-Bahnfahren zur Genderfrage. Der Vater meiner Kinder tut es gern. Er braucht sich nur dem Eingang zu nähern, da wenden sich ihm besorgte Frauen zu: Ob er Hilfe brauche? Er brauche doch ganz gewiss Hilfe! Und schon packen sie an. So einen Mann kann man ja nicht mit einem Kinderwagen allein lassen!
Wobei dieses Vorurteil keines ist. Einmal hatte der Kindsvater Pech. Eine ältere Dame wies ihren Enkel an, dem jungen Vater zur Hand zu gehen. Der Junge griff beherzt zu, kippte das Ding steil nach vorn, und ehe der Kindsvater etwas sagen konnte, löste sich auch schon die Babytasche (das Ding, was man rausnehmen kann), rutschte auf die Treppe und dann mit dem Baby darinnen, ratatatat, auf den U-Bahnsteig. Das Baby ist nicht einmal aufgewacht. Der Vater stand kurz vorm Herzinfarkt.
Papa wird
sehr gern
geholfen
Ich konnte bei seiner Beichte nur lächeln. Mit unfähigen Kinderwagenträgern hatte ich ständig zu tun. Stand ich an einer U-Bahntreppe, eilten die Leute vorbei. Blickte ich hilfesuchend um mich, erbarmten sich meiner keine kompetenten Mütter, sondern junge Männer. Denen musste ich erstmal die Statik eines Kinderwagens erklären.
Das war natürlich ärgerlich für die jungen Helden. Doch auch mit Erklärung schaukelte der Wagen meist so bedenklich, dass das Baby fast herausfiel. Es waren unerquickliche Hilfsversuche. Kein herzlicher Babytalk am U-Bahngleis, wie ihn der Kindsvater mit jungen Müttern erlebte. Junge Mütter finden das ganz toll, wenn so ein Vater, so ganz allein...
Meine Co-Kinderwagenträger stammelten Entschuldigungen, bevor sie davonhasteten. Mancher war – ob von der Peinlichkeit oder doch von der Anstrengung? – puterrot angelaufen.
Ich habe mir dann doch irgendwann ein Auto angeschafft.