Alice Schwarzer schreibt

Ukraine: Bröckelt deutsche Waffenfront?

3. Oktober: Friedensdemo in Berlin
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Am 25. Februar 2023 standen beim „Aufstand für Frieden“ tapfere Veteranen der traditionellen Friedensbewegung noch alleine auf der Bühne mit Sahra Wagenknecht und mir. Diesmal kommen auch mindestens zwei VertreterInnen von Parteien dazu, die bisher durch eine Einheitsfront pro weitere Waffenlieferungen glänzten: die SPD und die Linke.

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Für erstere wird Ralf Stegner sprechen, für letztere Gesine Lötzsch. Beide sind persönlich schon länger für Verhandlungen statt Waffengerassel, waren damit aber in der Minderheit im eigenen Lager und durften es bisher kaum laut sagen.

Der SPD-Kanzler hatte im Juni überraschend seinen Europa-Wahlkampf mit dem Thema Frieden bestritten. Und er weigert sich auch weiterhin standhaft, einer Lieferung des Taurus zuzustimmen (womit Kiew weit nach Russland hinein zielen, den Kreml und auch Abfang- und Abschussstationen für Raketen vernichten könnte). Er wolle Taurus auch dann nicht liefern, wenn internationale Partner das forderten, bekräftigte jetzt der Kanzler. Immerhin. Eine Haltung, die der SPD vermutlich die zwei Prozent plus in den letzten Tagen bei Umfragen in Brandenburg gebracht hat. Geht also.

Kanzlerkandidat Merz ist leider fast noch strammer auf Kriegskurs als die Grünen

Der schwächelnden Linken hatte ihre Absage an der Teilnahme bei der Wagenknecht/Schwarzer-Kundgebung endgültig das Genick gebrochen. Sie wird bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde wohl nicht mehr schaffen. Auch das hat wesentlich mit der Abwesenheit der dogmatischen Wissler-Linken an der Antikriegsfront zu tun.

Nicht zuletzt der überragende Erfolg von Sahra Wagenknechts BSW zwingt die anderen linken und halblinken Parteien zur Besinnung. Denn der Kern von Wagenknechts Politik ist - neben sozialer Gerechtigkeit und Anti-Globalismus - ein klares Ja zu Friedensverhandlungen, inklusive Kompromissen auf beiden Seiten.

Der dritte bemerkenswerte Redner an diesem Tag ist - neben Sahra Wagenknecht und Reiner Braun von der Friedensbewegung - Peter Gauweiler. Das Enfant Terrible der CSU ist im Herzen schon lange für Verhandlungen statt Eskalation durch immer mehr Waffenlieferungen und macht aus seinem Herzen nun keine Mördergrube mehr.

Wäre also von einem Kanzlerkandidaten Söder eine Kehrtwende zu erhoffen gewesen? Zu spät. Unions-Kandidat Merz ist leider fast noch strammer auf Kriegskurs als die Grünen.

Aber nur fast. Die einstige Friedenspartei ist - unter anhaltender Fassungslosigkeit auch so mancher Grünen-AnhängerInnen - weiterhin voll auf Kriegskurs. Und ihre geschichtslose Außenministerin hält sich mehr denn je nicht etwa für die designierte Diplomatin Nr. 1 des Landes, sondern für die Kriegsministerin.

Dabei spielt die Haltung von Deutschland zum Ukraine-Krieg gerade jetzt eine zunehmend wichtige Rolle innerhalb von Europa. Vielleicht sogar die entscheidende!

Gerade hat eine INSA-Umfrage ergeben, dass zwei Drittel der Deutschen für Friedensverhandlungen und Waffenstillstand sind (siehe die aktuelle EMMA). Und die VolksvertreterInnen im Bundestag?

Die Haltung Deutschlands spielt eine zunehmend wichtige Rolle in Europa

Selbst Amerika - das seinen Machtkampf mit Russland auf dem Rücken der geschundenen Ukraine austrägt - zieht sich allmählich zurück. Die USA wollen nicht riskieren, den Konflikt bis zum Weltkrieg eskalieren zu lassen. Denn Putins Warnung, eine Zustimmung des Westens zur Nutzung der an die Ukraine gelieferten Langstreckenraketen bis ins Herz Russlands würde die „Natur des Konfliktes“ verändern und schwere Konsequenzen haben, sei ernst zu nehmen, erklärte die Biden-Regierung.

Die Demokraten rieten Großbritannien von deren Zustimmung zur unbegrenzten Nutzung der an die Ukraine von Frankreich und Großbritannien gelieferten Langstreckenraketen ab (das können die!). Und Frankreich ist aufgrund des hohen Wahlsieges der Partei von Marine le Pen, des Front National (FN), und dessen Sperrminorität erst mal raus: Der FN ist entschieden gegen die Fortführung des Krieges und für Verhandlungen.

Immer stärker rückt im Ukraine-Krieg nun also Deutschland an die vorderste Front. Der Krieg kostet täglich an die tausend Menschenleben. Täglich. Und er könnte eines nicht allzu fernen Tages unser aller Leben kosten. Gegen diese Gefahr stemmen sich nun deutsche FriedensaktivistInnen erneut mit einem Sternmarsch und einer Großkundgebung am 3. Oktober an der Siegessäule in Berlin

ALICE SCHWARZER
 

Hier mehr zur INSA-Umfrage!
Hier das "Manifest für Frieden" unterzeichnen.

 

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