Journalistinnen an der Front
Wenn ein Krieg ausbricht, verlassen wir uns darauf, dass uns die Medien über die Geschehnisse vor Ort auf dem Laufenden halten. Wir konsumieren Informationen. JournalistInnen riskieren dafür ihr Leben.
Die Aufgabe, aktuelle Fakten zu liefern, ist schwierig und gefährlich. Sie arbeiten in Konfliktgebieten, in denen Informationen nur schwer zu überprüfen sind, das Geschehen von Tragödien und Traumata geprägt ist und jeder Moment tödlich enden kann.
Immer mehr Frauen dringen in die ehemalige Männerdomäne vor, nehmen diesen Job auf sich und berichten von der Frontlinie. Durch ihre Arbeit bringen sie die mehr denn je nötigen vielfältigeren Blickwinkel ein und bereichern unsere Informationswelt. Sie erzählen Geschichten durch eine weibliche Linse und mit einer weiblichen Stimme. Sie sorgen dafür, dass die Kriegsberichterstattung nicht nur ein männliches Gesicht hat.
In diesem Artikel stellen wir mehrere Journalistinnen vor, deren Karrieren sie in Kriegsgebiete auf der ganzen Welt geführt haben, darunter auch die aktuelle Krise in der Ukraine.
Wer sind diese Frauen, die für Texte, Bilder und Fernsehberichte ihr Leben aufs Spiel setzen und den vielen Opfern ein Gesicht verleihen?
Katrin Eigendorf, internationale Reporterin ZDF
Die erfahrene Reporterin Katrin Eigendorf studierte Journalismus in Dortmund und in Paris am Institut Français de Presse (IFP). Seit den 1990er-Jahren ist sie als Auslandskorrespondentin tätig und berichtete vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion und dem Tschetschenienkrieg.
In den letzten zwei Jahrzehnten etablierte sie sich als außenpolitische Reporterin mit Schwerpunkt auf dem Nahen Osten, Russland und dem Kaukasus.
Eigendorf wurde in Deutschland geboren und spricht Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch. Im Jahr 2021 erhielt sie den Hans-Joachim-Friedrichs-Preis für ihren Film „Return of the Taliban“. Außerdem wurde sie von Medium–Magazin für Journalistinnen und Journalisten zur „Journalistin des Jahres 2021“ gekürt. „Sie gibt denen eine Stimme, die sonst nicht gehört werden, schaut hin, wo andere wegschauen, macht komplexe Probleme verständlich – kurzum, sie hat alles, was ein außergewöhnlicher Reporter braucht“, so die Jury über ihre langjährige Berichterstattung über die Situation in Afghanistan. Katrin Eigendorf berichtet live über den Krieg in der Ukraine aus Winnyzja, einer Stadt im westlichen Zentrum des Landes, 200 km von Kiew entfernt.
Lyse Doucet, Chefkorrespondentin international BBC
Die gebürtige Kanadierin Lyse Doucet berichtet seit mehreren Jahrzehnten über Konflikte in einigen der härtesten Kriegsgebiete, unter anderem aus Afghanistan, Syrien und dem Jemen.
Die mehrfach preisgekrönte Journalistin wurde erst kürzlich mit dem „Shifa Gardi Award 2022“ ausgezeichnet, der das Talent von Journalistinnen an vorderster Front hervorhebt, die mutig über Realitäten berichten, über die oft nicht berichtet wird.
Doucet ist bekannt für ihren Mut, ihre Professionalität und ihre mitfühlende, aber stoische Haltung. „Einfühlungsvermögen ist eine gute Sache. Aber die Zuschauer wollen nicht sehen, wie ich oder andere zusammenbrechen. Es geht nicht um uns“, sagte sie The Guardian 2014.
Doucet ist ihrem Geburtsland Kanada und ihrer Wahlheimat London sehr verbunden, hat aber eine außergewöhnliche Karriere hingelegt, indem sie in die gefährlichsten Gebiete der Welt gereist ist. Zurzeit ist sie in Kiew und berichtet für BBC World News, wo sie während einer Live-Sendung eine kugelsichere Weste anziehen musste, als in der Stadt Warnsirenen zu ertönen begannen.
Olga Tokariuk, unabhängige ukrainische Journalistin (u. a. für die Washington Post)
Olga Tokariuk ist eine Mitarbeiterin des Zentrums für Europäische Politikanalyse (CEPA) und eine unabhängige Journalistin und Forscherin mit Sitz in Kiew.
Sie schreibt über ukrainische Politik, internationale Angelegenheiten und die Auswirkungen von Desinformation auf Demokratien weltweit. In einem kürzlich erschienenen Gastbeitrag für die Washington Post beschrieb sie ihr Leben in der Ukraine, von der Kindheit bis heute, als sie miterlebte, wie ein Konflikt nach dem anderen ihr Land und ihre Identität prägte.
„Als Kinder haben wir die Unabhängigkeit vielleicht als Geschenk betrachtet, aber später im Leben wurde uns klar, dass sie uns nicht einfach geschenkt wurde, sondern dass wir sie mit unserem Leben verteidigen müssen.“
Während sie miterlebt, wie eine weitere Krise über ihre Heimat hereinbricht, kommentiert sie für ausländische Nachrichtensendungen wie CNN und twittert Live-Updates auf ihrem Account: ein mutiger, ehrlicher Kommentar aus erster Hand von einer Journalistin, deren Land sich im Krieg befindet.
„Ich bin zuversichtlich, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird“, sagte sie, „die Frage ist nur, wie hoch der menschliche Preis für diesen Sieg sein wird ...“
Sarah Rainsford, Korrespondentin Osteuropa BBC
Die britische Journalistin Sarah Rainsford arbeitet seit 1999 für die BBC und berichtet aus Russland, Spanien, der Türkei, Kuba, Afghanistan und dem Irak.
Im Jahr 2021, nach mehr als 20 Jahren Berichterstattung aus Moskau, wurde Rainsford aus Russland ausgewiesen, nachdem der Kreml Druck auf Journalisten ausgeübt und kritische Stimmen im Land zum Schweigen gebracht hatte. Ihr wurde eine Frist von drei Wochen eingeräumt, um ihr Leben zusammenzupacken und das Land zu verlassen. „Mir wurde gesagt, dass ich nicht zurückkommen kann – niemals“, schrieb sie in ihrer letzten Nachricht aus der Stadt, die sie ihr Zuhause nannte.
Heute berichtet sie immer noch über Russland – aus der Ferne. Während das Land in die Ukraine einmarschiert, ist sie in Dnipro, einer Stadt in der Ostukraine, an vorderster Front dabei.
In einem aktuellen Twitter-Post schreibt sie: „In Dnipro, gerade als wir mit Menschen sprachen, die vor den Kämpfen weiter östlich geflohen sind, ging in dieser Stadt zum ersten Mal die Sirene los. Die Menschen hier sind erstaunlich stark, aber viele mussten in diesem achtjährigen Krieg bereits zweimal ihr Leben neu aufbauen. Und jetzt das.“
Nataliya Gumenyuk, unabhängige ukrainische Kriegsreporterin (u. a. für The Guardian)
Natalyia Gumenyuk, 38, aus Kiew ist eine ukrainische Journalistin, Autorin, Forscherin und Dokumentarfilmerin. Zusammen mit ihrer Kollegin Angelina Kariakina gründete sie das „Public Interest Journalism Lab“ – eine interdisziplinäre Koalition für besseren Journalismus im digitalen Zeitalter.
Von 2015 bis 2020 leitete Gumenyuk den unabhängigen ukrainischen Fernsehsender Hromadske TV und das englischsprachige Hromadske International Project. Ihr jüngstes Buch „The Lost Island. Tales from Occupied Crimea (2020)“ berichtet über ihre sechsjährige Berichterstattung von der von Russland annektierten Krim.
Als Journalistin hat sich Gumenyuk auf Außenpolitik und Konfliktberichterstattung spezialisiert und schreibt für internationale Medien wie die Washington Post und The Guardian. Sie hat aus fast 60 Ländern über wichtige politische und gesellschaftliche Ereignisse berichtet.
Hier ein Guardian-Bericht aus erster Hand über den Beginn des Krieges in der Ukraine.
Clarissa Ward, Chefkorrespondentin international CNN
Die britisch-amerikanische Fernsehjournalistin Clarissa Ward hat für CBS News in London gearbeitet und war vor ihrer jetzigen Tätigkeit bei CNN Nachrichtenkorrespondentin für ABC News in Moskau.
Nachdem sie bereits über viele internationale Konflikte berichtet hatte, erhielt sie im Jahr 2012 – erst 32-jährig – den „George Foster Peabody Award“ für ihre Berichterstattung über den Aufstand in Syrien.
Ward spricht fließend Englisch, Französisch und Italienisch und beherrscht auch Russisch, Arabisch und Spanisch.
Im Jahr 2020 schrieb sie einen Artikel für Glamour, in dem sie ihre Entschlossenheit zum Ausdruck brachte, ihre Arbeit fortzusetzen, während sie zwei kleine Kinder erzieht, auch wenn ihre Entscheidung anders als bei vielen männlichen Berufskollegen viel Kritik hervorrief. „Da wir ein neues Zeitalter erleben, mit einer größeren Vielfalt an Stimmen, die ein breiteres Spektrum an Geschichten erzählen, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir mehr Mütter brauchen, die über den Krieg berichten“
Normalerweise lebt sie in London, aber seit Beginn des Krieges ist sie in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und berichtet live im Fernsehen von den Straßen und U-Bahn-Stationen der angegriffenen Stadt.
Kate Tsurkan, Autorin und Übersetzerin
Kate Tsurkan ist eine amerikanische Schriftstellerin, Redakteurin und Übersetzerin, die seit einigen Jahren in der Ukraine lebt. Was als Freiwilligenarbeit in Czernowitz (einer Stadt in der Westukraine, nahe der rumänischen Grenze) begann, entwickelte sich zu einer starken Verbindung zur Ukraine – ihren Menschen, ihrer Kultur und ihrer Literatur.
„Czernowitz ist in den letzten zweieinhalb Jahren zu einem so wichtigen Teil meines Lebens geworden, dass ich mir nicht vorstellen kann, irgendwo anders zu leben“, sagte sie 2020 in einem «Spotlight»-Interview mit H-Ukraine.
Tsurkan, die an der New York University studiert hat, spricht Englisch, Französisch, Ukrainisch und Russisch. Im Jahr 2017 war sie Mitbegründerin von Apofenie, einer Online-Plattform, die Übersetzungen aus der mittel- und osteuropäischen Literatur veröffentlicht.
Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, konzentrierte sich Tsurkan darauf, die Stimmen ukrainischer Schriftsteller und Journalisten zu verstärken, indem sie wichtige lokale Nachrichten auf ihrem Twitter-Account teilte.