Krieg: Helden! Helden! Helden!
Als Feministin stehe ich in der stolzen Tradition von feministischen Pazifistinnen wie Bertha von Suttner (1843–1914) und Lida G. Heymann (1868–1943). Bei den Worten „Helden“ und „Krieg“ zucke ich zusammen. Denn ich weiß: Jetzt wird wieder gestorben. Selten sind das dann die großen Helden, die sterben, es sind eher die kleinen Leute.
Zur Zeit hat mal wieder die Stunde der Kriegshelden geschlagen.
Wolodymyr Selenskyj ist ein Held, da ist sich der ganze Westen einig. Diesmal meint der studierte Jurist und ehemalige Humorist es ernst. Der in der Ukraine geborene Sohn damals russischer Wissenschaftler ist bereit, für sein heutiges Vaterland, die Ukraine, zu sterben. Auch seine Kinder seien nicht außer Landes, beteuert er. Und seine Frau? Die fightet im Internet. Nach einer Woche Krieg forderte Selenskyj die Nato nun auf, für ein Flugverbot über der Ukraine zu sorgen. Weil die Nato sich weigert – da das unweigerlich einen Krieg mit Russland, also Weltkrieg, nach sich ziehen würde –, bezichtigt der neue Held die Nato der „Schwäche“.
Die Helden werden von Tag zu Tag mehr, die Waffen auch.
Vitali Klitschko ist ein Held. Der Boxer und studierte Philosoph, der lange in Deutschland gelebt hat, hält als Bürgermeister von Kiew die Stellung. Als Sohn eines hohen Militärs kündigte er an, jedes einzelne Haus in der Hauptstadt verteidigen zu wollen – und „wenn wir alle dabei sterben“.
Auch Wladimir Putin ist ein Held. Für die Seinen. Schurken sind immer nur die anderen. „Unsere Soldaten kämpfen unerschütterlich und im vollen Bewusstsein der Richtigkeit ihrer Sache“, erklärte der Präsident von Russland in seiner Rede an die „lieben Genossen“. Sie zeigten, so wörtlich, „ein wahrhaft großes Heldentum“.
Da gibt es dann kein Halten mehr. Und auch kein Anhalten. Sonst würden die Helden ja ihr „Gesicht verlieren“. Und das geht gar nicht.
Die Helden werden von Tag zu Tag mehr, die Waffen auch. Deutschland unterstützt die „heldenhafte Ukraine“ mit alten Beständen, die eigentlich verschrottet werden sollten. Aber auch die werden noch gut genug sein, Menschen zu töten.
Ist ja klar: Je mehr Waffen, desto mehr Tote.
War das unvermeidlich? Hätte man dem Drama nicht auch ganz anders begegnen können? Zum Beispiel, indem man die Wahrheit sagt. Die Wahrheit ist, dass die kleine Ukraine, so tapfer sie auch sein mag, unmöglich die Armee des großen Russlands besiegen kann. Die Wahrheit ist, dass der Westen sich bei allem Mitgefühl unter keinen Umständen in einen Krieg mit Russland ziehen lassen wird, denn das würde bedeuten: Weltkrieg!
Hätte nicht sofort nach einem Kompromiss gesucht werden müssen?
Ja, es ist eine Schande, dass Putin die Ukraine überfallen hat! Die war zwar über Jahrhunderte ein Teil Russlands und gilt als die Wiege der russischen Kultur, aber sie ist eben seit 1991 ein souveräner Staat. Empörung darüber ist also angebracht. Hilfe für die Überfallenen ebenso. Aber Krieg?
Hätte nicht sofort nach einem Kompromiss gesucht werden müssen, für die Ukraine wie Putin erträglich (und für den Westen und Amerika nicht minder)? Auch wenn es schwer fällt. Statt das Ganze mit dem vergifteten Lob für Heldentum auch noch anzuheizen?
Der Preis dafür wäre immer noch unendlich geringer gewesen, als er es nach Tausenden von Toten auf allen Seiten sein wird: auf Seiten der ukrainischen Zivilbevölkerung, deren Männer zwischen 18 und 60 nicht mehr ausreisen dürfen, also zwangsverpflichtet sind, und deren Frauen jetzt auch zu den Waffen greifen sollen – wie auf Seiten der russischen Armee, deren blutjunge Soldaten so manches Mal noch nicht einmal wussten, dass sie in den Krieg ziehen. Auch Umwelt und Wirtschaft nehmen Schaden (außer der Waffenindustrie), und die Preise steigen. Nicht nur im vollumfänglich sanktionierten Russland, sondern auch in Deutschland. Krieg kennt keine Gewinner.
Doch wer sind die wahren Helden? Zum Beispiel die RussInnen, die es in dieser Situation wagen, in ihrem Land gegen den von ihrem Präsidenten angezettelten Krieg zu demonstrieren! Auch sie riskieren viel.
Irgendwann wird der Kompromiss zwischen der Ukraine und Russland gemacht werden müssen – aber dann sind nicht nur die Städte zerstört, sondern auch die Helden sind tot, allen voran die wider Willen. Und die Hoffnungen dazu.
ALICE SCHWARZER