Warum nicht früher?
Die von uns geforderten Verhandlungen wird es wohl sehr bald geben. Aber nicht etwa, weil die Ukraine nicht noch mehr vernichtet werden darf. Und auch nicht, weil Europa - allen voran Deutschland - wirtschaftlích schwer erschüttert ist durch den Ukraine-Krieg. Nein. Ganz einfach, weil der neue amerikanische Präsident es so wíll. Denn dieser Krieg war von Anbeginn an ein Stellvertreterkrieg: zwischen zwei Weltmächten, Amerika und Russland, auf dem Rücken der Ukraine und ganz Europas.
Trump bezichtigt jetzt seinen Vorgänger Biden, es sei die von ihm betriebene Erweiterung der NATO in die Ukraine gewesen, die zu einer Gegenwehr Putins geführt habe, zu dem „Angriffskrieg“. Er, Trump, könne "Putin sogar verstehen". Und an Selenskyj kritisierte Trump, dass der nicht von Anbeginn an die Verhandlung mit der Atommacht Russland gesucht habe.
Die Interessen, Russland und die Ukraine tiefer in den Krieg zu hetzen, waren stärker
Doch die Interessen scheinen stärker gewesen zu sein, Russland und die Ukraine immer tiefer in den Konflikt zu hetzen. Und das nicht nur bei der Waffenindustrie aller Lander, sondern auch bei allen, die an einem geschwächten und mit Russland entzweiten Deutschland interessiert sind.
Seit Beginn des Krieges liegen auf dem Schlachtfeld zwischen einer und anderthalb Millionen Tote. Dazu zehntausende tote Zivilisten und vergewaltigten Frauen, die Anzahl der Einwohner einer Metropole. Dabei sind die seelisch und körperlich Traumatisierten noch nicht mitgezählt. Die Ukraine liegt in Trümmern und ist flächendeckend vermint. Und Deutschland ist in eine schwere ökonomische Krise gestürzt.
Die Behauptung der Kriegsbefürworter schließlich, Russland wolle über die Ukraine hinaus NATO-Länder angreifen, war von Anfang an fragwürdig und ist im vergangenen Jahre von gleich sieben Geheimdiensten in den USA zurückgewiesen worden: Ein russischer Angriff auf ein Nato-Land sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (siehe auch den Text von Schulenburg hier auf EMMAonline).
Seit Beginn des Kriege liegen anderthalb Millionen Tote auf dem Schlachtfeld
Aber der Westen hat weitergemacht. Resultat: Über eine Million Tote. Tăglich hunderte. Das alles hätte den Menschen erspart werden können, wenn der Westen und die Ukraine die vor über drei Jahren von Putin noch Wochen vor dem Angriff angebotenen Verhandlungen wahrgenommen hätte. Denn dass dieser Krieg einer Atommacht gegen ein kleines Land wie der Ukraine nicht militärisch gewonnen werden konnte, auch nicht mit der Unterstützung des Westens, und eines Tages verhandelt werden müsse, das war doch von Anfang an klar. Warum also die Verhandlungen nicht sofort?
Über die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist seit langem für Verhandlungen. Das belegen immer wieder die Umfragen. Doch sie hatten keine Stimme in den Medien. Unser Manifest durchbrach das Schweigen. Endlich wurde öffentlich und kontrovers debattiert. Doch jetzt wird wieder geschwiegen. Wahlkampf. Darum hier noch einmal der Text. 935.000 haben schon unterschrieben. Zur Million sind es nur noch wenige Schritte. - Nachfolgend das so heftig kritisierte Manifest im Wortlaut:
Das Manifest für den Frieden
Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?
Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
Hier das Manifest unterschreiben.