Ukraine: Zerbricht die EU am Krieg?

Das Antikriegsepos "Im Westen nichts Neues" könnte aktueller nicht sein. Foto: Imago Images/Everett Collection
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Am 1. September gedenken wir des Zweiten Weltkrieges vor 85 Jahren, der mit dem Angriff von Nazi-Deutschland auf Polen begann. Er entwickelte sich zum grausamsten und blutigsten Krieg der modernen Geschichte, der etwa 75 Millionen Menschen das Leben kostete – verbunden mit unermesslichem Leiden und unvorstellbarer Zerstörungen. Wie schon der Erste Weltkrieg, ging auch dieser Krieg vom europäischen Boden aus und erfasste nach und nach die ganze Welt.

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Ist die EU-Resolution ein Aufruf zu einem „totalen Krieg“?

In der Ukraine herrscht nun wieder ein Krieg auf europäischem Boden. Es ist der weitaus größte und gefährlichste Krieg seit den beiden Weltkriegen, und auch er birgt das Risiko, sich zu einem Weltkrieg auszuweiten – dieses Mal gar zu einem Nuklearkrieg. Die Folgen für die Menschheit könnten noch verheerender werden. Und dennoch setzt die EU weiterhin ausschließlich auf eine militärische “Lösung" des Ukraine-Krieges und nimmt alle damit entstehenden Gefahren für uns Europäer und die gesamte Menschheit billigend in Kauf. Doch sie stößt damit nicht nur bei der Bevölkerung in Deutschland, sondern auch international auf immer mehr Ablehnung.

Eine im Juli 2024 im EU-Parlament mit großer Mehrheit angenommene Resolution „zur Unterstützung der Ukraine“ legt eine kompromisslose Ausrichtung der EU auf die Weiterführung des Krieges fest. In Zügen liest sich diese Resolution gar wie ein Aufruf zu einem „totalen Krieg“.

So wird in dieser Resolution von allen EU-Mitgliedstaaten eine „unerschütterliche“ Unterstützung der Ukraine bis zum Sieg über Russland verlangt. Dementsprechend werden alle EU- und NATO-Staaten aufgefordert, 0,25 % ihres jeweiligen BIP (Bruttoinlandsprodukt) der Ukraine für militärische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Laut einer Kalkulation der konservativen EPP-Fraktion würde sich das jährlich auf 127 Milliarden Euro summieren – was mehr als das Doppelte des diesjährigen Verteidigungshaushalts Deutschlands wäre und die bisherigen militärischen Unterstützungen weit überträfe.

Michael von der Schulenburg ist ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen
Michael von der Schulenburg ist ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen

Außerdem wird der Einsatz der vom Westen zur Verfügung gestellten Waffen „gegen militärische Ziele“ in Russland ausdrücklich befürwortet. Eine baldige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wird gar als „unumkehrbar“ bezeichnet. Weiterhin wird auch die Errichtung eines internationalen „Sondergerichts für russische Kriegsverbrechen“ sowie die Einziehung aller eingefrorenen russischen Vermögenswerte zugunsten der Ukraine gefordert.

In dieser dreieinhalbseitigen Resolution gibt es keinen einzigen Satz für Verhandlungen oder irgendwelche diplomatischen Bemühungen. Gespräche könne es erst dann geben, wenn Russland kapituliert und sich aus allen besetzten Gebieten zurückzieht, heißt es. In diesem Zusammenhang werden die Bemühungen des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán, Gespräche zwischen der Ukraine und Russland zu initiieren, in der Resolution auf das Schärfste kritisiert.

Im Juni 2024 hat der Europäische Rat die ehemalige estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas für das Amt der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik nominiert. Damit vertraut die EU dieses zentrale Amt einer der streitbarsten Anti-Russland-Politikerinnen an. Noch vor kurzen erklärte Kallas, dass eine Zerschlagung Russlands in mehrere kleine Staaten „keine schlechte Sache sei“. Sie forderte, sich bei der Unterstützung der Ukraine nicht von russischen Nuklearwaffen einschüchtern zu lassen.

Nur: Kann sich die EU eine solche Politik überhaupt leisten oder erliegt sie hier einer gefährlichen Selbstüberschätzung?

Das Problem der Ukraine-Resolution ist, dass die EU weder die Macht noch den Einfluss hat, auch nur eines der darin enthaltenen Ziele durchsetzen zu können. Denn dieser Aufruf zu einer kompromisslosen Weiterführung und Intensivierung des Krieges bis zu einem militärischen Sieg über Russland kommt in einer Zeit, in der die Ukraine gar nicht mehr in der Lage ist, diesen Krieg zu gewinnen.

Die EU will erst verhandeln, wenn Russland kapituliert hat.

Um dennoch eine Wende zu erreichen, müssten die EU und ihre Mitgliedsländer militärisch massiv in den Ukraine-Krieg eingreifen. Dazu haben sie aber weder die militärischen Ressourcen noch einen dazu nötigen geeinten politischen Willen.

Wenn überhaupt, könnte das nur durch eine enge militärische Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands geschehen. Natürlich sind beide Länder in der Lage, den Ukraine-Krieg durch die Lieferung von Taurus-Raketen oder die Entsendung der Fremdenlegion mächtig zu eskalieren. Aber damit würden sie der Ukraine nicht zu einem Sieg verhelfen, sondern nur riskieren, dass ganz Europa in einer nuklearen Gegenreaktion vernichtet wird. Es gibt so keine machbare militärische Option der Europäer.

Auch würde ein solches militärisches Vorgehen nicht von der europäischen Bevölkerung mitgetragen werden. Während sich das Europäische Parlament einer Pro-Kriegspolitik verschreibt, verschieben sich die öffentlichen Meinungen in allen europäischen Staaten gegen weitere Waffenlieferungen und für Verhandlungslösungen. Auch in Deutschland, wo gerade eine repräsentative Insa-Umfrage ergab: 68 Prozent der Bevölkerung sind für Friedensverhandlungen! (Hier zur Umfrage!)

Selbst in der Ukraine hat sich eine Kriegsmüdigkeit breit gemacht, und es gibt Berichte von immer mehr ukrainischen Deserteuren. Westliche Diplomaten warnen, dass weitere zehn Millionen Ukrainer davorstehen könnten, das Land zu verlassen. Im Zuge des Krieges entvölkert sich die Ukraine drastisch, wobei mehrheitlich nur noch alte und verarmte Menschen zurückbleiben. Mit ihnen aber ist kein Krieg mehr zu gewinnen – auch nicht mit den geforderten jährlichen 127 Milliarden Euro an Militärhilfen.

Inzwischen gibt es auch Hinweise von ukrainischen Politikern und sogar von Präsident Selenskyj, dass dieser Krieg nicht mehr lange durchgehalten werden kann, es also eine Verhandlungslösung geben müsse. Daran wird die medienwirksame Attacke ukrainischer Militäreinheiten auf russisches Territorium auch nichts mehr ändern.   

Welche Rolle spielen eigentlich Deutschland und Frankreich?

Was will also die EU noch mit einer solchen Kriegs-Resolution erreichen? Sie scheint die USA als die dominierende Pro-Kriegspartei im Ukraine-Krieg abzulösen. Nur wird sich die EU damit außenpolitisch weiter isolieren. Denn in der Welt stehen die Zeichen anders.

Die USA werden versuchen, die enormen Kosten dieses Krieges – und der Frieden könnte noch teurer werden – auf Europa abzuwälzen. Hinzu kommt, dass der geforderte europäische Zusammenhalt in der Konfrontation mit Russland immer mehr Risse bekommt und dass das eine gemeinsame Außenpolitik in der Frage des Ukraine-Krieges zunehmend unmöglich machen wird. In vielen EU-Ländern erhalten politische Parteien, die für einen Verhandlungsfrieden eintreten, einen immer größeren Zulauf.

Aber die weitaus größte außenpolitische Herausforderung für ihre Kriegspolitik erwächst der EU vom sogenannten Globalen Süden. Am stärksten manifestiert sich das in der rasanten Entwicklung der BRICS+-Staaten, dem sogenannten „Globalen Süden“, der schon heute mit 45 Prozent der Weltbevölkerung und 37 Prozent der Weltwirtschaftsleistung die EU mit ihren 5,5 Prozent der Weltbevölkerung und 14,5 Prozent der Weltwirtschaftsleistung weit in den Schatten stellen. Nun suchen 30 weitere Länder Mitglieder der BRICS+ zu werden, darunter sogar das NATO-Land Türkei.

Die BRICS-Staaten teilen die Kriegshaltung der EU nicht und sehen im westlichen Versuch, die NATO in die Ukraine und ins Schwarze Meer auszuweiten, auch ihre Sicherheitsinteressen gefährdet. Sie sind durchweg für eine Verhandlungslösung. Es ist also von großer symbolischer Bedeutung, dass das nächste Gipfeltreffen der BRICS-Staaten unter der russischen Präsidentschaft im russischen Kasan im Oktober diesen Jahres – also schon in zwei Monaten – stattfinden wird.

Die EU-Politik könnte für alle Menschen fatale Folgen haben.

Wir könnten dort Zeuge einer wirklich epochalen Zeitenwende werden; einer Zeitenwende, die die EU, in ihrer Überheblichkeit, bisher weitgehend ignoriert. Trotz aller Großmachtfantasien einer Kommissionspräsidentin von der Leyen sollte uns also klar sein, dass Europa schon längst nicht mehr das Zentrum der Welt ist und wir demographisch, wirtschaftlich und teilweise auch technologisch in der Welt zurückfallen. Da hilft dann auch keine Militarisierung der EU. Eine friedlichere Außenpolitik wäre eine bessere Option.

Mit der Entscheidung, weiterhin ausschließlich auf Krieg zu setzen und sich diese Politik auch noch parlamentarisch bestätigen zu lassen, hat die Europäische Union ihren politischen Spielraum drastisch eingeschränkt und sich selbst geopolitisch ins Abseits gesetzt. Und obwohl der Ukraine-Krieg von existenzieller Bedeutung für die Zukunft ganz Europas ist, wird die EU bei der Lösung dieses Konfliktes wohl darum keine Rolle mehr spielen. Unabhängig davon, wie man die Schuldfrage des Ukraine-Krieges einschätzt, ist es eine unsägliche politische Dummheit, die verhängnisvolle Konsequenzen nicht nur für die Menschen in der Ukraine, sondern eben auch für die Menschen in der EU haben wird.

Dass die Europäische Union auch nach zweieinhalb Jahren eines der brutalsten Kriege auf europäischen Boden mit hunderttausenden an Toten immer noch nicht in der Lage ist, sich von den USA zu emanzipieren und eine eigenständige alternative Friedenspolitik für Europa zu formulieren, wird den europäischen Gedanken, der auf Frieden in Europa fußt, völlig zerstören. Die Europäische Union könnte so an ihrer martialischen Ukraine-Politik zerbrechen. 

Michael von der Schulenburg und Ruth Firmenich

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