Dä Katalog is da!

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Maria wartete an der Treppe, lupfte das Vorderteil ihrer Bluse von der Haut weg. "Dä Katalog is da!", schwenkte sie mir das schwere Ding entgegen. "Dat Hanni backt schon Kuchen!" Kam ein neuer Katalog, breitete sich bei den Frauen eine Stimmung aus wie vor Zeiten, wenn sich der leibhaftige Wäschemann ankündigte. Jetzt kam der Wäschemann per Katalog. Per Selbstbedienung. Mindestens genauso verführerisch. Wenn auch anders. Was vom Wäschemann fehlte, die schmeichlerische Verwandlung der Hausfrauen in begehrenswerte Weiber, ­ersetzte der Katalog mit einem verlockenden Überangebot an Waren und der unbeschränkten Möglichkeit des Zugriffs, des unbeobachteten Zugriffs. Preise, klein­gedruckt am Ende der Größentabelle, konnte man erst einmal übersehen.

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Es klingelte. "Pst", Maria legte den Finger an die Lippen. "Da komme se." Dann, mich mit einem schnellen Blick von Kopf bis Fuß musternd und mir den Katalog ­zuschiebend: "En bisschen netter könntest du disch wirklisch anziehen. Schad, dat dir meine Sachen alle zu jroß sind. Komm, mir suchen dir jetzt mal wat aus. Kuck schon mal rein, isch mach uns mal ne Kaffe."

Es klingelte noch einmal.

"Offen", hörte ich Maria aus der Küche, dann die Stimmen der Mutter, der Tante und von Cousine Hanni. "Jeht schon mal nach oben, dat Hilla is auch da." - "Wat will dat dann he, hörte ich die Stimme der Tante auf der Treppe. "Seit wann liest dat dann im Quelle-Katalog und nit in seine Bööscher?"

"Ja, Hilla! Schön, dat de disch mal wieder blicken lässt!" Hanni war als Erste oben und stellte ihr Backblech, duftend nach Äpfeln, Zimt und Rosinen, ab. Maria deckte den Tisch, Hanni schnitt den ­Kuchen an, die Mutter streckte Hänsjen ihre Finger zum Knabbern in den Käfig, quietschte, als der zuhackte. Alle redeten durcheinander. Die Tante verlangte den Katalog. "Hanni räum ab. Mach dat Radio aus. Mir müsse uns konzentriere."

Ein Gefühl der Erwartung wehte über den Tisch, während die Tochter folgsam die Teller wegtrug. Wie sie so dasaßen, in ihren Ausgehblusen und Ausgehröcken und die hausfrisierten Köpfe zusammensteckten, hätte ich es nicht über die Lippen gebracht: Ich will nach Köln ziehen. Es wäre mir vorgekommen wie Verrat.

"Hier bei uns is et doch auch schön", sagte Maria, als hätte sie meine Gedanken erraten, und Hänsjen bekräftigte ihre Worte mit einem kunstvollen Triller.

Unterwäsche zuerst. So war es beim Wäschemann gewesen. Unterhosen und Unterhemden für Sie und Ihn. Dann die Kittel. Als Krönung die Nachthemden. Und alle zwei Jahre für die Tante ein Korsett. Damals. Der Katalog bot weitaus mehr. Doch die Reihenfolge hatte Bestand.

"Damen, Damen", die Tante fuhr mit dem Zeigefinger das Inhaltsverzeichnis entlang. Eine große rote Hand mit dicken blauen Adern, immer feucht und glänzend, als käme sie gerade aus dem Putzeimer.

"Hier", die Tante bohrte die Finger­kuppe ins Papier, klappte den Katalog zu, schob den Finger zwischen die Seiten und schnellte sie auseinander. "Modische Neuheit!", triumphierte sie. "Helanca Schlankform Schlüpfer!" Die Tante schürzte anerkennend die Lippen, stürzte sich in ihre Trikotagenlitanei wie der Pastor ins Halleluja, schlüpfte in eine Unterhose nach der anderen und wieder hinaus, es flutschte nur so durch Angora, Perlon und Velours mit echtem Drall und ohne. Und dann gab es Unterhosen, die hießen slip.

"Slip, slip, slip", die Tante schnalzte verächtlich mit der Zunge. "Et is un bliev en Ungerbotz."

"Eine Unterhose!" Die Mutter warf einen raschen Blick in meine Richtung. "En Ungerbotz", wiederholte die Tante ungehalten. "Dat Hilla wird jo wohl noch wesse, wat en Ungerbotz es!"

"Schlüpfer", suchte Hanni zu vermitteln. "Jo, dat sinn isch, dat dat ene Schlüp­fer es", ereiferte sich die Tante. "Äwer wat soll dat englische Zeusch? Nit nur, dat se im Radio alle naselang ­eng­lische Lieder spelle. Jitz dun se dat ­Eng­lische auch noch in dä Katalog!"

"Muss de doch zujeben", Hanni hatte Feuer gefangen, "is doch janz was anderes um da Bauch erum, so ne slip. Ne Un-ter-ho-se macht jenau viermal so dick!"

"Hier Girl Mode. Gierl! Dat soll wohl e Wiew sin. Ein Mäd-sche. Un hier, wat soll dat?" Die Stimme der Tante wurde schriller: "Sub-tehn-gierlmode! Hilla, wat soll dat?"

"Sabtiehn görl mode", deklamierte ich. "Wieso saptiehn? Hier steht subtehn und hier steht Gierl und nicht Göhrl", fiel mir die Tante ins Wort. "Das ist Englisch", sagte ich im höchsten Hochdeutsch. "Die sprechen anders, als sie schreiben."

Die Tante war nun nicht mehr zu halten. "Hier, die schöne Kleider! Un wie heißen die? Ladi lieke! Oder is dat auch schon widder nit rischtisch?" - "Nä", sagte ich. "Dat heißt Lädi laik."

"Lädi laik!" Die Tante klatschte auf den Katalog, dass die Damen in ihren eleganten Couplets aufflatterten. "Se bliewe jo doch bei Jröße fünfzisch, lädi laik. Un wat heißt dat?", fragte sie mit einer Stimme, als erkundige sie sich nach dem Preis einer Ware, argwöhnend, dass der zu hoch für sie sei. "Damenhaft", sagte ich und musterte die dicklichen Frauen in ihren, wie es hieß, "figurumschmeichelnden" Kleidungs­stücken.

Angesteckt von der Schwester wollte nun auch die Mutter ihren Spürsinn unter Beweis stellen. "Mach uns doch noch ene Kaffe, Berta", sagte sie schlau und zog den Katalog an sich, während die Tante nach unten in die Küche ging.

"Aber so Litzen, die sin und bleiben doch schön", wies die Mutter verträumt auf ein Dirndl, "Traunstein", mit "reichem Besatz". "Litzen. Dat haben die Engländer doch nit. Oder?"

Hanni zog den Katalog an sich. "Nu jib mal her. Der Rudi braucht ne neue Mantel. Warm co-ats" las sie vor. "Dat soll wohl warme Mäntel heißen. Wat ­anderes zeigen die ja hier nit. Aber warum schreiben die dann nit warme Mäntel? Warm co ats ..." Hanni lauschte den ­Silben hinterher.

"Worm couz", versuchte ich mich den Dondorfer Ohren anzunähern. "Worm couz", echote Hanni. "Worm couz", bestätigte ich. "Worm couz", probierte die Mutter, und schließlich nahm auch Maria ihre ersten englischen Wörter in den Mund: "Worm couz."

"Worm couz", Hanni erhob ihre Stimme aus dem Gemurmel. "Dat hört sich wirklisch anders an wie warme Mäntel. Irgendwie nit so steif, nit so nach Opa. Irgendwie zehn Jahre jünger hört sisch dat an: worm couz. Aber Sommerzeit – dat is doch jenauso schön wie ssammertaim. Un bei görl bin isch mir nit so sicher. Wat meins du, Hilla?"

"Kokolores!" Die Tante stellte den frischgebrühten Kaffee auf den Tisch. "Wat solle mer dann mit dem Driss? Erst war dat Platt nit mi jut jenuch. Un jitz kütt och noch et Huhdüksch, dat Hochdeutsch, dran! Nit mit ussereinem!"

"Mama", fiel ihr Hanni ins Wort, "nu näm et nit eso ernst. Is doch super, wenn du jitz bei 'lädilaik' nachkucken kannst un nit mehr bei 'für die starke Dame'. Da bis de direkt ein paar Pfund schlanker." Die Tante schnaufte.

"Auch, wenn de davon kein Jramm ­abnimmst", stichelte die Mutter.

"Ja", nickte ich dankbar und begeistert. "Kuckt doch mal in den Katalog. Da gibt et kein 'billig' und kein 'teuer'. Was billig ist, heißt 'preiswert' und 'günstig', und statt 'teuer' steht da 'hochwertig, ­anspruchsvoll, exklusive'."

"Un immer klitzekleinjedruckt am Ende, wat es kostet", ergänzte Maria. "Jenau!" Auch die Mutter wollte gegen die Tante mithalten.

"Is doch wahr", lenkte die Tante ein. "Wat Hänsje? Du bis un bleibs doch en Vöjelschen!" Und der Vogel schien zu wissen, wer jeden Morgen seinen Napf füllte, und jubilierte.

Die Tante nahm sich den Katalog wieder vor. "Wo waren mir denn bei? Bei de Unterhosen." "Slips", murmelte Hanni.

"Wollen mer doch mal kucken, wie dat bei de Männer heißt!" Die Tante blätterte, die Seiten flogen, flatterten, rissen ein, dann falteten sie sich vor uns auseinander: die Herren in Unterhosen. Mit entschlossenen Mienen, seitlich geballten Fäusten die einen, die Arme vor der bloßen Brust gekreuzt die anderen, sahen sie an uns vorbei in eine Zukunft, die anzupacken und zu bestehen sie, selbst derart spärlich bekleidet, keine Zweifel aufkommen ließen.

"Futter-Unterwäsche", las die Tante vor. "Erprobte, dicht gewirkte, strapazierfähige Baumwolldecke mit wollig warmem Futter, reichlich im Schritt und gut verarbeitet. Innenseite mit dickem Henkelplüsch, tadellose Verarbeitung, äußerst strapazierfähig. Für hohe Ansprüche."

"Äußerst strapazierfähig", kicherte Hanni. "Wofür dat denn?" - "Für hohe Ansprüche!", gluckste Maria. "Hörs de doch!" Die Tante tat, als habe sie nichts gehört. "Äwer hier!" Sie schlug dem Mann auf dem Photo zwischen die Beine. "Herrenslip mit Deckverschluss! Und hier!", wieder ein Schlag, "noch ne Slip! Doppelripp! Formbeständig. Mit Deckschlitz!"

Hanni lachte laut heraus; Maria ­prus­tete hinter vorgehaltener Hand. "Un so wat für minge Schäng!", krakeelte die Tante. "Ne Doppelrippslip met Deckschlitz! Wenn ich dem saje, dat sing Unterhos jitz slip heißt, mät da sesch en de Botz! So. Un jetzt kucke mir mal bei die Korsetts. Hier! 'Wunderflock Elastik Schlüpfer.'"

Die Frauen verstummten. "'Leib- und Gesäßpartie sind vollkommen beflockt'", so die Tante gewichtig, "'die Befleckung hält Leib und Gesäß zurück und verbessert so die Figur erheblich bei größter Bequemlichkeit.'"

"Befleckung?", foppte Hanni. "Wat soll dat denn sein? Und warum soll denn dat Jesäß zurückgehalten werden? Isch jlaub, die so wat schreiben, sind selber beflockt!"

Ich prostete Hanni mit der Kaffeetasse zu. Die Tante kniff den Mund zusammen, bis er klein und hart aussah. Sie machte ernst: "Maria", sagte sie, "schreib auf: Nummer fünfzehn, Größe einhundertvier. Hüftgürtel mit dreifach verstärkter Magenpatte, zweiundvierzig Zentimeter hoher Rückenschnürung, elastische Einsätze aus Elastinova-Gummi um Taille, Schenkelpartie und Schritt. Das reich garnierte Vorderteil ist gefüttert und mit Kombinationsspirale sowie fester Feder versehen. Seitlich Hakenverschluss. Farbe: lachs. Kostet misch dreiundzwanzig Mark neunzig."

"Mein Hüfthalter bringt misch um." Die Mutter strich sich über die schlanken Schenkel. "Da jehs de am besten in Deckung, wenn die Mama die anhat." Hanni grinste mich an. Und zu ihrer Mutter: "Bis de sischer, dat dat Ding nit scharf schießt?" - "Scharfschießen? Wat soll da Kokolores?", giftete die Tante. "'Aller Chic fängt bei den Miedern an.' Steht hier."

"Ach wat", sagte die Mutter, "auch die Oma muss mit der Zeit jehn. Die kriescht von mir eine Spenzer. Un wenn sie den nit will, zieh isch dä an. Zarte Spitze am Halsausschnitt, jut anliegend." Raffiniert von der Mutter.

Maria notierte den Spenzer und schlug die Nachthemden auf.

Mutter und Tante zeigten an der endlosen Parade wenig Interesse. Nachthemden gab es Weihnachten. Müsste man sich selbst eines kaufen, wusste ganz Dondorf, was das bedeutete: Krankenhaus.

Doch Hanni und Maria steckten die Köpfe zusammen über vierundsechzig Nachthemden gegen elf Schlafanzüge.

Die Frauen waren still geworden. Erschöpft saßen sie vor dem überwältigenden Angebot und wischten sich die Stirn. "Keine Müdischkeit vortäuschen", kommandierte die Tante. "Ihr wisst doch: 'Eine Entdeckungsreise im Quelle-Katalog lohnt sich.'"

"Jo, aber auch auf Reisen muss man mal ein Päuschen machen", sagte Hanni. "Noch ein Tässje?" Die Frauen brauchten Stärkung. Die Diskussion um die typgerechte Kittelschürze stand bevor. In Nachbarschaft und Familie ließen einzig die Großmutter Kittel kalt. Sie bestand auf ihrer umfäng­lichen Schürze. Werktags grau-blau ­ka­riert, sonntags hellblau, hohlsaumverziert; einzig dem Ohm trug sie in einer weißen Halbschürze auf.

"Aha", Hanni zog den Katalog zu sich heran. "Hier sind sie: 'Kleidsame Mode für Haus und Beruf. So angezogen macht die Hausarbeit noch mal so viel Spaß!'" Ich sah Hanni über die Schulter. Kittel, so weit die Seiten trugen, 'für moderne Hausfrauen', wurde Blatt für Blatt versichert.

Gut, dass der Wäschemann sich dieser Konkurrenz nie stellen müsste. Diese Schwemme "ansprechender Druckmuster", Blumen, Ranken, Schlingen, Schäfchen, Äffchen, Pferdchen, Mickymäuse, hätte selbst einen Schwadlapp (Quatschkopf) wie ihn hinweggespült.

Keine der gedruckten Frauen war über dreißig, eher um die zwanzig, und alle lächelten hocherhobenen Hauptes in die Kamera, als sei Hausarbeit im Müßiggang die selbstverständlichste Haltung der Welt. Ausnahmslos steckte eine Hand in der Kitteltasche, mal die rechte, mal die linke, wobei der Daumen kokett über den Kitteltaschenrand hinausragte oder locker abgespreizt schräg nach unten hinaushing, diskret dorthin weisend, wo die Frau gemacht, wie Gott sie schuf, jenseits von Kittelkleid, Wickelschürze, Hängerform und Kasack.

Eisig rein ragte in die ausgelassene Versammlung einzig eine einsame Frau in weißem Kittel. Gestraft mit einer dicken schwarzrandigen Brille, warnende Abschreckung vor den entstellenden Folgen akademischer Plackerei. "Und am Ende nimms de dann doch wieder die Wickelschürze, passend für jede Fijur", spottete Hanni.

"Wat wolle mir denn noch ankucke? Hier, lurens!" Die Stimme der Tante schwankte zwischen Empörung und ­Be­lustigung. "Lauter 'Hosen für die Dame". Sojar janze Anzüje!"

"Lass dat ja nit die Oma sehen!" "Ja", lachte Hanni. "Wenn die Frauen in Männerkleidern jehen, is dat Ende der Welt nahe! Wisst ihr noch, wie dat Hilla immer die lange Botz ausziehen musste, wenn der Ohm kam? Weiß de dat noch Hilla?"

Und ob ich das noch wusste! Aus dem letzten Quelle-Katalog hatte die Großmutter die Seiten mit den Mädchenhosen herausgetrennt und verbrannt. Dieses neue Exemplar musste man vor ihr in ­Sicher­heit bringen.

Zwar kamen auf fast siebzig Kittel nur fünf Hosenanzüge, doch diese "Frauen in Männerkleidern" waren ernstzunehmen. Sie brauchten keine Miniröcke und Negliges, um mit den "Waffen der Frau" nach Art listiger Sklaven Scheinsiege zu erringen. Die Eroberung von Sakko und Hose kündigte das Zeitalter der Ernsthaftigkeit an. Der Ebenbürtigkeit. Diese Frauen waren bereit und entschlossen, sich weit mehr anzueignen als ein Kleidungsstück. Diese kleine Minderheit war eine radikale.

Die Beine bequem auseinandergestellt, fassten sie Fuß, eine wagte sogar einen Ausfallschritt wie beim Fechten. Nicht eine Hand verschwand in einer der Taschen. Frauenhände griffen energisch die Jacke über der Weste zusammen oder baumelten neben den Hosen, jederzeit zum Zugriff ­bereit. Posen, von denen der sieben "Gentle­men" im "International style" nicht zu unterscheiden. Die Großmutter hatte recht. Für einige Herren der Schöpfung, auch wenn noch allein sie es waren, die Zeitung und Zigarette halten durften, dämmerte in der Tat das Ende ihrer Welt herauf.

"Pass ja auf, wenn du so eine Anzug anziehst", warnte Maria. "In Hamburg, in die Bar vom Atlantic Hotel, lassen se disch nur im Rock rein." – "Rischtisch so!", pflichtete die Tante bei. "Die Fischköpp wisse noch, wat sisch jehürt. Mir bliewe bei de Rock. Maria, kuck mal, die schöne Unterröcke."

"Wenn dat hier vorbei ist", Hanni klopfte liebevoll ihren Bauch, "kauf ich mir auch ne Hose. Is doch viel bequemer, besonders zum Radfahren." – "Nit unter meinem Dach!", knurrte die Tante. "Als verheiratete Frau! Und Mutter!" – "Unter deinem Dach nit, aber unter meinem!", lachte Hanni unbekümmert. "Wat äff, wat da Rudi dazu sacht", wandte die Mutter ein. "Da hätt mir ja nix zu sajen!" Mutter und Tante seufzten und blickten einander vielsagend an.
"Un jetzt, komm neben misch Hilla, kucken mir mal nach wat Schönes!" Die Tante nahm wieder in der Mitte des Sofas Platz, drängte Maria in die Ecke und klopfte einladend neben sich. "Schlag mal auf, Seite hundertsiebzig!"

Mit freudig geröteten Wangen musterte sie einige sonderbar pelzige Gebilde, ähnlich denen, die die Tante aus Ruppersteg bei meiner Kommunion getragen hatte. Damals eine Rarität, waren sie bis in den Quelle-Katalog vorgedrungen.

'Schwarze und weiße Nerzkugeln, kombiniert mit weißer Lederschleife', las die Tante, das Fettgedruckte mit anschwellender Stimme betonend: 'Ein aparter Anstecker', zwei Mark fünfundneun­zig. Oder hier: 'kugelförmige echte Nerzrosette mit Perle'. Noch zwanzig Penne billiger."

'Hermelin-Gesteck', fuhr Maria fort, 'mit drei echten Hermelinschweifen als Rosette gearbeitet und mit Similisteinen', vier Mark fünfundsiebzig. Wat is dat: Similisteine?"

"So wat Ähnliches wie Diamanten", sagte Hanni. "Aber falsch!", konnte ich mir nicht verkneifen. "Falsch?" Die Tante hielt den Katalog vor die Augen. "Blinken tun se aber wie eschte!"

"Tja", sagte ich. "Ist ja auch Latein. Similis, das heißt ähnlich." – "Na, siehs de", triumphierte die Tante. "Ähnlich! Dat is doch besser wie falsch! 'Ein dekorativer ­Ansteckschmuck!'", triumphierte sie in Vorfreude auf das Gesicht der Ruppersteger Verwandten beim nächsten Familienfest.

"Un mir zwei", Hanni blinzelte mir zu, "mir nehmen die hier und teilen die uns". 'Anstecktierchen', las Hanni. 'Weißes Mäuschen, echt Hermelin und apartes Burundiki-Mäuschen. Zwei Stück im Cellophankästchen'. Nur zwei Mark fünfundneunzig. – "Schluss jitz!", fuhr die Mutter dazwischen, "mir müsse jehen."

Nirgends hatte ich mich in den vergangenen Monaten so wohl gefühlt wie heute bei Maria. Dabei sein und doch bei sich sein. Etwas von sich geben, das angenommen wird, und wenn es eine Handvoll Wörter sind. Colonia, Kölle, Köln: Ich war doch in Dondorf zu Hause. Und wollte am liebsten weg sein und blieb doch am liebsten hier.

Der Text ist ein gekürzter Nachdruck aus dem neuen Roman von Ulla Hahn: Aufbruch (DVA, 24.95 €). Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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