Und das ist auch gut so – oder nicht?
„Bevor ich den Löffel abgebe, ist Schwulsein eine Selbstverständlichkeit“, hat Guido Westerwelle soeben in einem Interview mit dem Stern verkündet. Das klingt gut. Es bedeutet aber auch: Noch ist es das nicht. Und das weiß gerade der Außenminister a.D., der während seiner Amtszeit seinen Partner Michael Mronz heiratete, sehr genau. „Da fehlen noch Kilometer“, erklärte Westerwelle, auch wenn Regierungssprecher Steffen Seibert das Coming out von Fußballer Thomas Hitzlsperger mit einer „sensiblen Einlassung“ kommentiert habe.
„Vergessen wir nicht das Ausmaß der Angst – vor den Eltern oder den Schulkameraden -, vergessen wir nicht bei so vielen das Ausmaß der Verzweiflung“, erinnerte Westerwelle. Dieser Mahnung versuchte das baden-württembergische Kultusministerium nun Rechnung zu tragen. Mit der Reform des Bildungsplans soll ab 2015 auch die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ auf dem Lehrplan stehen.
„Schülerinnen und Schüler reflektieren die Darstellung von Geschlechterrollen und sexueller Vielfalt in Medien und Werbung und entwickeln eine Sensibilität für Stereotype“, heißt es dort. Sie sollen verschiedene Familienformen kennenlernen: „Klassische Familien, Regenbogenfamilien, Single, Paarbeziehung, Patchworkfamilien, Ein-Eltern-Familien, Großfamilien, Wahlfamilien ohne verwandtschaftliche Bande“. Sie sollen sich mit „Diskriminierung und Menschenrechten“ auseinandersetzen und dabei unterstützt werden, „ihre eigene sexuelle Identität zu erkennen“ und andere „sexuelle Identitäten und Lebensentwürfe zu respektieren“. Das alles soll nicht in einem bestimmten Fach passieren, sondern als „Querschnittsaufgabe“, also in allen Fächern, in denen es passt: Trans- und Intersexualität im Biologieunterricht, Virginia Woolf in Deutsch, Familienformen in Soziologie.
Das allerdings ging dem Realschullehrer Gabriel Stängle aus Nagold im Kreis Calw entschieden zu weit. Er initiierte eine Petition gegen das Vorhaben: „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens!“
„Wir fordern die Orientierung an den Werten unseres Grundgesetzes, das den Schutz von Ehe und Familie als demokratische Errungenschaft verteidigt“, heißt es in der Protest-Petition. Der Plan aber stelle „die heterosexuellen Geschlechter von Mann und Frau in Frage“ und wolle „den Prozess des Coming out zu neuen ‚sexuellen Orientierungen’ pädagogisch propagieren.“
Gleichzeitig fehle eine ethische Reflexion der negativen Begleiterscheinungen eines "LSBTTIQ-Lebensstils“ (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell, Transgender, Intersexuell, Queer, Anm. d.Red.). Dazu gehöre, so die KritikerInnen, zum Beispiel die „höhere Suizidgefährdung unter homosexuellen Jugendlichen“, die „erhöhte Anfälligkeit für Drogen und Alkohol“ oder das „ausgeprägte Risiko psychischer Erkrankungen bei homosexuell lebenden Frauen und Männern“. Überhaupt würden im Bildungsplan „Rechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle abgeleitet, die es nach dem Grundgesetz nicht gibt.“
Inzwischen hat die Protest-Petition über 150.000 Unterschriften und massenhaft Kommentare, darunter einige, gegen die der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) Anzeige wegen Volksverhetzung stellte. Und etliche , die zeigen, dass Homosexuelle zwar als schrille Ausnahme geduldet, nicht aber als Gleiche akzeptiert werden.
„Ehe und Familie bleiben Grundpfeiler einer gesunden Gesellschaft unbenommen davon, dass es auch immer andere Lebensformen gegeben hat und geben wird“, schreibt zum Beispiel Dr. med. Gerd Kirn aus Aldingen. „Bei aller Toleranz gegenüber diesen anderen Lebensformen ist es die primäre Aufgabe der Schule, die Normen und Werte zuerst klarzustellen, bevor über den Umgang mit anders Orientierten gesprochen werden kann.“
Es ist eben offenbar - Hendricks hin, Hitzlsperger her - doch noch nicht „gut so“. Es ist gut, dass das auf den Tisch kommt. Und es ist ernst zu nehmen. Die Debatte ist eröffnet.
Hier zwei Gegen-Petitionen zu der Protest-Petition:
https://www.campact.de/vielfalt-gewinnt/appell/teilnehmen/