EMMAs geschlechterbewusster Blick
Über das Ergebnis des TV-Spiels Unsere Besten ließe sich eine Doktorarbeit schreiben, von den vielen klugen Artikeln ganz zu schweigen. Denn so ein Traum-Datenmaterial gibt es so rasch nicht wieder: 90.000 im Herbst 2003 abgegebene Stimmen (per Telefon/SMS, E-Mail, Fax oder Postkarte), repräsentativ aus Ost wie West, nur etwas nordlastig (allen voran wählten Bremen, Berlin und NRW). Und leicht weiblich: die Frauen waren mit 55 % aktiver als die Männer. Aber unseriös? Unsinn. Die Handvoll organisiert von Fanclubs Reingedrückter lässt sich ganz rasch rausfiltern: vom Superstar Daniel Kübelböck (Platz 16), über Marienverehrer Pater Kentenich (Platz 17) bis hin zur Sängerin Nicole (Platz 72).
Der Rest ist zwar kein Resultat streng wissenschaftlicher Erhebung die ja so streng auch nicht immer sind aber ein aufschlussreicher Ausdruck von Stimmungen, Neigungen und Interessen der Deutschen. Und die sind siehe unsere Top-Ten-Liste von Männern und Frauen in so manchem Fall ganz anders gelagert, als die Medien es gerne hätten. Keineswegs landeten die plakatierten ZDF-Favoriten, wie Bohlen, Becker, Schröder oder Feldbusch (die überhaupt nicht mehr vorkommt) vorne. Es gibt also eine Kluft, zwischen dem, was die Medien gerne hätten, und dem, was die Menschen wirklich interessiert. Das ist die erste interessante Erkenntnis von Unsere Besten. Genau das aber wollen die Medien nicht wahrhaben bis hin zu dem Versuch, sogar noch die so eindeutigen Ergebnisse zu ignorieren oder gar zu manipulieren. Wir kommen noch darauf.
EMMA interessiert natürlich vor allem der geschlechterbewusste Blick auf die Top Hundert. Und siehe da: unter den ersten hundert sind nur zwölf Frauen. Und von diesen zwölf standen vier noch nicht einmal in der 300er Vorschlagliste vom ZDF, sondern sind von den Menschen reinvotiert worden: so die Kategorie der tapferen Trümmerfrauen (Platz 88), die Schauspielerin Romy Schneider (Platz 78) und die vor zwei Jahren so früh gestorbene kämpferische ostdeutsche SPD-Politikerin Regine Hildebrandt die mit Platz 22 die allererste Frau wurde! Dicht gefolgt von Alice Schwarzer, die mit Platz 23 die erste lebende Frau auf der Liste der Top Hundert ist.
Alle zwölf Frauen haben ihre Wahl nur den Frauenstimmen zu verdanken - bis auf Beate Uhse.
Die Unterrepräsentation der Frauen ist kein Zufall, sondern historisch gewachsen. 5.000 Jahre Männerherrschaft bleiben nicht folgenlos. Denn mindestens solange war es Frauen oft schlicht verboten, außerhalb ihrer vier Wände zu existieren oder gar ein öffentliches Vorbild zu werden. Und auch in freieren Zeiten wurden Frauen systematisch behindert und schnell wieder vergessen. Auch darum hat EMMA ihre Besten aufgestellt: die zehn ersten Männer und Frauen (plus die Geschwister Scholl, die unter den ersten zehn landeten). Alle zehn wurden mit einer so überwältigenden Mehrheit von Frauenstimmen gewählt, dass sie ohne die Frauen keine Chance gehabt hätten, überhaupt unter die ersten Hundert zu kommen. Nur Marlene Dietrich erhielt fast gleich viele Frauen- und Männerstimmen (55 bzw. 45 %). Und die elfte, Pornohändlerin Beate Uhse, wurde von mehr Männern (56 %) als Frauen gewählt. Wen wunderts.
Wer aber hatte die stärkste Frauenmehrheit bei der Wahl? Die Antwort ist eine kleine Sensation: Es ist Marion Gräfin Dönhoff mit 91 % Frauenstimmen! Ausgerechnet. Ausgerechnet die Frau, die ihr Leben lang bestrebt war, vergessen zu machen, dass sie eine Frau ist, und die mitgemischt hat in den vordersten Männerriegen. Ausgerechnet die als Widerständlerin gegen die Nazis, Macherin der Zeit und quasi als Sonderbotschafterin chronisch einzige Frau in den Männerbünden, ist bei den Männern noch nicht einmal zwei Jahre nach ihrem Tod so in Vergessenheit geraten, dass sie ohne die Frauen gar keine Chance gehabt hätte, überhaupt noch unter die ersten Hundert, ja noch nicht einmal unter die ersten Tausend zu kommen.
Eine wahrhaft bittere Lektion für alle Frauen, die in der Männerwelt mitmischen. Und eine Lehre für die Zukunft: Ohne die Zustimmung und Unterstützung von Frauen schafft es auf Dauer keine Frau. Sie kann vielleicht gerade noch als Gast auf Zeit in der Männerwelt geduldet werden aber auf keinen Fall bleiben.
Die beiden nächsten Frauen, die ihre Wahl vor allem den Frauen zu verdanken haben, sind sehr unterschiedlich. Aber vielleicht hat ja nicht zufällig die eine über die andere eine Biografie geschrieben: Es sind Alice Schwarzer (Platz 22) und Romy Schneider (Platz 80). Für beide stimmten 86 % der Frauen. Was vermutlich sogar die Macher von Unsere Besten überrascht hat. Denn Romy Schneider hatten sie gar nicht erst unter den 300 Vorgeschlagenen nominiert.
Bei den Männern wählten die Frauen vor allem die besonders unmännlichen und die extra männlichen.
Die gewählten Männer haben ein Frauenübergewicht bei den zwei konträren Männertypen: den besonders unmännlichen und den extra männlichen. Mindestens zwei Drittel Frauen und maximal ein Drittel Männer stimmten einerseits für Daniel Kübelböck (Platz 16), Bischof Lehmann (Platz 86) oder Reinhard Mey (Platz 95). Einen ähnlichen Frauenüberschuss haben andererseits Maskulinisten wie Joschka Fischer (Platz 52), Gerhard Schröder (Platz 82) oder Joseph Beuys (Platz 83). Auch sie hätten es ohne die Frauen nicht unter die Top Hundert geschafft. Übrigens: Die wenigsten Frauenstimmen hat mit 21 % - Rennfahrer Michael Schumacher.
Zum Abschluss noch ein Wort zu der Reaktion der Medien. Die seriösen Medien berichten statt neugierig lieber pikiert über Unsere Besten und taten das ganze als Trash ab (mit dem sie ansonsten keine großen Berührungsängste mehr haben). Die Boulevardmedien wie Bild verschweigen die Frauen weitgehend und propagieren weiterhin tapfer, und gegen alle Fakten, Bohlen & Co. Klar, Darling Feldbusch fehlt ja auch auf der Liste. Es fehlt übrigens auch Angela Merkel was ihr zu denken geben sollte. Denn, wie gesagt, ohne Frauenstimmen...
Und alle miteinander verschweigen eisern die zwei ersten Frauen, die weniger von der Sorte sind, die sich über eine Falte mehr oder weniger Gedanken macht, und eher von der, die sich für den Zustand der Welt interessiert. Maximal Regine Hildebrandt wird ab und an kurz gestreift, aber keineswegs gewürdigt. Und dass ausgerechnet die Feministin, Alice Schwarzer, erste lebende Frau unter den Top Hundert ist, wird einfach nicht erwähnt. Wenn das nicht ebenfalls aufschlussreich ist.
EMMA Januar/Februar 2004