In der aktuellen EMMA

Unsere Geschichte ist unsere Zukunft!

(1.R.v.li) Chantal Louis, OB Henriette Reker, Alice Schwarzer, Hiltrud Kier. - 2. R. v. li Johanna Wanka, Barbara Schock-Werner und weitere.
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So schnell kann das gehen. Die Neue Frauenbewegung ist schon Geschichte. In Amerika wird der Aufbruch unserer Generation – Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre – „the second wave“ genannt, die zweite Welle (nach den historischen Frauenrechtlerinnen Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts). Diese zweite Welle hat vor einem halben Jahrhundert den Stamm gesetzt, an dem heute die Äste weiter wachsen – oder sich auch schon mal ins Abseits verästeln.

Etwa zehn Jahre nach Aufbruch, ab Anfang der 1980er Jahre, dämmerte einigen in meiner Feministinnen-Generation, dass wir unsere Geschichte selber sichern müssen: unsere Aktionen und Erkenntnisse, unsere Siege und Niederlagen. Damit die folgenden Generationen darauf aufbauen, sich auf unsere Schultern stellen und ­weiterblicken können.

Auslöser dieses Gedankens war etwas eigentlich Positives: Wir hatten die historischen Frauenrechtlerinnen entdeckt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zum Beginn des 20. Jahrhunderts (bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges) sehr aktiv waren – und bereits damals viel erkämpft hatten. So viel, dass sie nach dem Ersten Weltkrieg geglaubt haben, es würde reichen und sie könnten nun (fast) gleichberechtigt leben. Hausfrauen wurden berufstätig, wurden „Telefonistinnen“ oder „Stenotypistinnen“, Ärztinnen oder Künstlerinnen. Eine Welle kühner Schriftstellerinnen war im Gespräch. Und der Herrenanzug für die Dame mit Bubikopf machte Furore.

Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ab Anfang der 1930er Jahre marschierten die braunen Horden durch die Straßen. Im Visier, vom ersten Tag an: die Frauen und die Juden. 

Mit als erstes vernichteten die Nationalsozialisten das Erbe der Frauenbewegung; inklusive Dokumente, Schriften und Bücher. Radikalfeministische Vordenkerinnen – und Pazifistinnen! – wie Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann oder Helene Stöcker starben im Exil in der Schweiz bzw. in New York. 

Wir, die „neuen Feministinnen“, wussten bei unserem Aufbruch schlicht nichts von unseren klugen, mutigen Vorgängerinnen. Dabei hatten sie vieles, was wir uns in den 1970er Jahren mühsam wieder erarbeiten mussten, bereits voraus­gedacht und getan. So den Kampf gegen die Prostitution und für das Recht auf Abtreibung.

Allmählich trübte sich die Freude von uns „neuen Feministinnen“ über die Entdeckung der alten Feministinnen. Wir wurden zunehmend beklommen bei der Erkenntnis, dass man auch eine so umfassende, starke Bewegung wie die historische Frauenbewegung vollkommen in die Vergessenheit hätte stoßen können.

Daraus zog ich – ganz wie auch andere Feministinnen – den Schluss: Wir müssen unsere Geschichte selber dokumentieren und lebendig halten! Denn keine soziale Bewegung hat nach 1945 die Gesellschaft so tiefgreifend verändert wie die Frauenbewegung. Das sage nicht nur ich, da sagte einst auch zum Beispiel Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, der nicht im Verdacht steht, Feminist zu sein. Es darf nicht sein, dass alles, was wir „neuen Feministinnen“ in diesen vergangenen 50 Jahren gedacht, getan und erreicht haben, in Vergessenheit gerät – und unsere Töchter und Enkelinnen wieder mal bei Null anfangen müssen.

Aus dieser Erkenntnis heraus ist der Frauen­MediaTurm entstanden – ganz wie weitere feministische Facharchive in ganz Deutschland, vereint im Dachverband i.d.a., der mit Beiträgen der Archive das „Digitale Deutsche Frauenarchiv“ als „Fachportal zur Geschichte der deutschsprachigen Frauen- und Lesbenbewegungen“ betreibt. Der FMT beherbergt heute in seiner Präsenzbibliothek sowie FMTonline (www.frauenmediaturm.de) aus universalistischer Sicht die Geschichte der Neuen wie der Historischen Frauenbewegung in Deutschland, sowie international prägende Aktionen und Publikationen. Diese Geschichte wird seit 40 Jahren von engagierten Bibliothe­karinnen und Historikerinnen gesichert – und Tag für Tag aktualisiert, fortgeschrieben: Die Geschichte der Emanzipation der Frauen.

Ich habe das „Feministische Archiv und Dokumentationszentrum“ 1984 gegründet, mit einer großzügigen Anschubfinanzierung von Jan Phi­lipp Reemtsma (bei dessen Anfängen des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“ ich dabei war), und bin bis heute die ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende der gemeinnützigen Stiftung. 

Das autonome feministische Archiv konnte mit der Anschubfinanzierung 20 Jahre lang wirtschaften, bis Anfang der 2000er Jahre. Seither ist es ein ewiger, harter Kampf ums Geld. Denn ein Archiv kostet – das Material muss beschafft, gesichert, erschlossen und zugänglich gemacht werden; Gehälter, Computer, Räume müssen bezahlt werden und NutzerInnen beraten – aber das bringt kein Geld. Ein Archiv ist abhängig von langfristiger Förderung und Spenden.

Ich muss nicht erklären, dass sich über ein echt unabhängiges feministisches Archiv nicht jede und jeder freut. Denn es dokumentiert auch den Antifeminismus, den Widerstand von offenen oder verdeckten Patriarchen und falschen Feministinnen. 

Der Kampf um den Erhalt und die Mittel für ein autonomes Archiv wie den FrauenMediaTurm ist also mühsam, sehr mühsam. Darum freue ich mich ganz besonders, dass der FrauenMediaTurm nach 30 Jahren in Köln auch in der Stadtgesellschaft angekommen ist. In diesem Jahr hat sich ein „Förderverein FMT e. V.“ gegründet, in dem ein Dutzend der führenden weiblichen Persönlichkeiten der Stadt sich zusammengetan haben. Initia­torin: Die in Köln schon zu Lebzeiten legendäre Dombaumeisterin a. D. Prof. Barbara Schock-Werner, neben der Bundeswissenschaftsministerin a. D., Prof. Johanna Wanka, auch im FMT-Vorstand. Ehrenmitglied: die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie ist seit 2.000 Jahren die erste Frau an der Spitze der Stadt, seit der Stadtgründung von Colonia durch die römische Kaiserin Agrippina. Es geht voran mit den Frauen. 

PS: Hier begleite ich Sie auf einem drei-Minuten-Rundgang durch den Turm: frauenmediaturm.de

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