Europa wählt - und die Frauen?
Geht es um Frauenpolitik, heißt es oft: Frauen haben keine Lobby. Das stimmt nicht. In einem Büro in der Brüsseler Rue Hydraulique sitzt sie, die Lobby: die European Women’s Lobby (EWL). Eine Dachorganisation für 2.000 Frauenorganisationen aus allen EU-Mitgliedsstaaten. Sie kämpft seit nunmehr 24 Jahren für „Frauenrechte“ und die „Gleichberechtigung von Frauen und Männern“. Und zwar da, wo unsere Gesetze von morgen gemacht werden: auf EU-Ebene.
41 Frauen sitzen im Vorstand der EWL, sie kommen aus den Koordinierungsstellen der Lobby auf nationaler Ebene: In Deutschland ist das der Deutsche Frauenrat. Sieben gewählte Vorstandsfrauen bilden das „Executive Committee“: Sie treffen sich regelmäßig, um sich über das Tagesgeschäft der Lobby auszutauschen. Präsidentin der EWL ist derzeit die Belgierin Viviane Teitelbaum. Und wenn ein Mal im Jahr die Vollversammlung einberufen wird, kommen 100 Delegierte aus den 28 Mitgliedsländern – und aus drei weiteren assoziierten Staaten wie der Türkei – nach Brüssel, zum Beispiel um über Prostitution, Abtreibung oder die Quote zu debattieren.
Die professionellen Feministinnen haben für 2014 noch viel vor. Denn zwischen dem 22. und 25. Mai wählen die 28 Mitgliedsstaaten das EU-Parlament (Deutschland: 25. Mai). Im Juni werden erstmalig die 751 EU-Abgeordneten über den Präsidenten der Europäischen Kommission abstimmen, eines der mächtigsten Ämter in Europa. Es folgt die Ernennung der „Hohen VertreterIn für Außen- und Sicherheitspolitik“ und der PräsidentIn des Europäischen Rates.
„Die EU hat nach wie vor ein männliches Gesicht“, klagt Serap Altinisik, Mitglied der Women’s Lobby. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Catherine Ashton, die derzeitige Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und die neun Kommissarinnen (von 28), wie Viviane Reding für Justiz oder Cecilia Malmström für Inneres.
Die EU hat nach wie vor ein männliches Gesicht
„Wir müssen die Regierungen und Politiker also immer wieder an die Versprechen erinnern, die sie mit Unterzeichnung der Europäischen Verträge eingegangen sind“, sagt Altinisik. Schon 1957, zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, war die „Entgeltgleichheit“ der Geschlechter Thema der Römischen Verträge, seither wurden die Paragraphen für Gleichberechtigung kontinuierlich ausgebaut. Aber was de jure auf dem Papier steht und was de facto in den Mitgliedsstaaten umgesetzt wird, unterscheidet sich oft erheblich.
Serap Altinisik sitzt im Sekretariat der Women’s Lobby. Die gebürtige Hannoveranerin, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland kamen, hat davor fünf Jahre das Referat gegen Gewalt gegen Frauen bei Terre des Femmes geleitet. Heute koordiniert sie aus Brüssel mit acht weiteren Frauen die Arbeit der Lobby für die gesamte EU: Die Frauen schreiben an Gesetzesentwürfen mit, erstellen Studien zum Stand der Gleichberechtigung in den Mitgliedsstaaten und werden von EU-Institutionen als Expertinnen eingeladen. „Und wenn nicht, geben wir trotzdem unseren Senf dazu!“, sagt Altinisik. Der Einfluss der Frauenlobby ist seit ihrer Gründung 1990 stetig gewachsen, ihre Arbeit wird von vielen EU-PolitikerInnen aktiv unterstützt. Altinisik selbstbewusst: „Wir müssen heute nicht mehr bitten, wir fordern.“
Die 39-Jährige leitet außerdem die „50/50 Campaign“, die Kampagne für eine paritätische Besetzung aller EU-Ämter. Wie schon zur letzen Wahl 2009 stellte die Frauenlobby dazu Kampagneninstrumente zur Verfügung: Wie zum Beispiel Brief-Entwürfe an die Parteien in den Mitgliedsstaaten, in denen sie u. a. dazu aufgefordert werden, Wahllisten für das EU-Parlament paritätisch zu besetzen. Beispiel Deutschland: SPD, Grüne und Linke haben ihre Listen paritätisch besetzt. Die CDU schickt etwa ein Drittel Frauen ins Rennen. Bei den Republikanern ist nur einer der 20 Listenplätze mit einer Frau besetzt.
Bisher sind 35 Prozent der EU-Abgeordneten weiblich, fünf Prozent mehr als 2009. Deutschland hat 99 Sitze (zukünftig 96), davon 38 mit Politikerinnen besetzt (macht 38 Prozent). Im Vergleich: Spitzenreiterinnen sind Finnland und Kroatien, hier liegt der Frauenanteil bei 62, bzw. 50 Prozent.
Wie es nach der EU-Wahl aussieht? Schwer zu sagen. Aber eines steht für Altinisik schon jetzt fest: „Die neu gewählten Politikerinnen dürfen auf keinen Fall als Hinterbänklerinnen im Parlament enden.“ Die Frauenlobby ist entschlossen, die Neuen zu pushen.
Einer der begehrten „Top Jobs“ ist das Amt des oder der PräsidentIn und der VizepräsidentInnen im Parlament. Es gibt davon 14, bisher drei Frauen. Oder der Vorsitz in einem der 22 ständigen Fachausschüsse, immerhin zehn haben bereits eine Frau an der Spitze. Im Sommer 2014 wird es schließlich um den Top Job unter den EU-Top-Jobs gehen: Die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das EU-Parlament. Die europäischen Parteien gehen deshalb im Mai 2014 erstmalig mit SpitzenkandidatInnen für die Parlamentswahl ins Rennen – es sind quasi ausschließlich Männer. Die europäischen Sozialdemokraten (PES) haben den deutschen SPD-Mann Martin Schulz auserkoren, die Europäische Volkspartei (EPP) nominierte den ehemaligen luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker, die Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) ihren Fraktionsvorsitzenden Guy Verhofstadt aus Belgien. Und die Europäische Linke (PEL) ihren griechischen Vizepräsidenten Alexis Tsipras. Nur die Europäische Grüne Partei (EGP) hat eine Kandidatin und einen Kandidaten: Die Deutsche Ska Keller und den Franzosen José Bové. Doch die haben keine Chance.
Die Frauenlobby reagierte prompt auf ihrer Webseite: „Mehr als 50 Prozent der europäischen Bevölkerung wird sich mit diesen Kandidaten nicht identifizieren können“. Für die Zukunft fordern die Frauen deshalb eine verbindliche Regelung: Sowohl bei der Wahl des Kommissionspräsidenten als auch bei der darauffolgenden Ernennung der Kommissare aus den Mitgliedsstaaten soll immer eine Frau und ein Mann vorgeschlagen werden. Die nächsten EU-Wahlen sind 2019. Die KommissarInnen werden schon diesen Sommer ernannt.
Entschlossen,
die Neuen
zu pushen
Einen Überblick ihrer Themen gibt die Women’s Lobby in ihrem „Manifesto“ zur EU-Wahl und unter „Take Action!“ auf ihrer Webseite: Sie fighten u.a. für ein Europa ohne Gewalt gegen Frauen (2016 soll zum Jahr gegen Gewalt gegen Frauen ernannt werden); für gleichen Lohn für gleiche Arbeit; für die gerechte Aufteilung der meist unbezahlten Wohlfahrtsarbeit zwischen Frauen und Männern; für eine Verbesserung der Anti-Diskriminierungsgesetze der EU; für mehr Beteiligung von Frauen mit Migrationshintergrund; für das Recht auf Abtreibung – und gegen Prostitution. Lobby-Präsidentin Teitelbaum: „Im 21. Jahrhundert sollten Gesellschaften vom System der Prostitution und der Gewalt gegen Frauen befreit werden.“
Schon im Jahr 2006 hat die Lobby u.a. mit „Mouvement du Nid“ ihre bisher bekannteste Kampagne gestartet: den so genannten Brussels’ Call, den Brüsseler Appell: „Zusammen für ein Europa ohne Prostitution“. 200 Organisationen aus allen Mitgliedsstaaten haben diesen Appell unterzeichnet, der u.a. Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte und die Bestrafung der Freier fordert.
Doch es sind nicht alle Frauenorganisationen immer einer Meinung. Der Deutsche Frauenrat zum Beispiel unterstützt den Brüsseler Appell nicht, er konnte ihn aber auch nicht verhindern: Die Mehrheit hat ja dafür gestimmt. Oder: Wenn das Brüsseler Büro eine Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor dem europäischen Parlament organisiert, dann sind die Malteserinnen nicht dabei. „Sie müssen wegen der rigiden Abtreibungspolitik in Malta einfach eine andere Strategie fahren“, versteht Altinisik. Doch in einem Punkt sind sich alle einig: Ein Europa ohne Gleichberechtigung hat keine Zukunft.
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