Felix Lobrecht: Unter aller Kanone
Die ARD mag es selbst nicht glauben, aber die Erwartungen an sie sind hoch. Die vergangenen Wochen zeigten am Beispiel der Moderation der Kultursendung Titel, Thesen, Temperamente (die seither plötzlich als wichtigste im Land gilt, dabei ist sie nur eine der sehr, sehr wenigen): Dort, wo die ARD selbst ihre Ansprüche herunterreguliert, weil sie glaubt, in einer jüngeren, digitaleren Zielgruppe seien die eh nicht so hoch, führt das zu Problemen.
Zunächst: Wer ist jung? Sind Menschen über 50 besessen von den Hauptnachrichten um 20 Uhr und haben noch keinen Internetanschluss? Dann: Auch jüngere Menschen zahlen ihren Rundfunkbeitrag, sie tun das in der Annahme, dass damit ein Programm bezahlt wird, das der private Medienmarkt nicht bieten kann. Deshalb gibt es die Öffentlich-Rechtlichen seit bald 80 Jahren, weil die deutsche Geschichte zeigt, dass es ganz gut ist, ein paar Sender zu haben, die sich weder politischen Befehlen noch den reinen Prinzipien des Kapitalismus beugen müssen. Sender, die nichts als mehr Zuschauer, mehr Quote, mehr Klicks suchen und inhaltliche Bedenken beiseiteschieben, brauchen keine öffentliche Finanzierung.
Felix Lobrecht, zum Beispiel, braucht keine öffentliche Finanzierung. Zusammen mit Comedy-Autor und Moderator Tommi Schmitt betreibt er den erfolgreichsten deutschen Podcast, „Gemischtes Hack“, mit Millionen Hörern und Werbedeals mit Aldi, alles gut von der Seite. Als Stand-up-Comedian spielte er im September zwei Abende in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin, der Rapper 50 Cent hatte nur einen Abend, sagt Lobrecht konsequenterweise am Anfang seiner Show, von der es nun ein Fernsehspecial gibt. Und wenn zusammengerechnet 24. 000 Leute in Berlin, über die ganze Tour hinweg 400 .000 Menschen einen Abend lang live abgelacht haben und Lobrecht gutes Geld verdient hat, dann fällt das unter unterhalterische Vertragsfreiheit.
Da, wo aber das Erste dieses Special am Ende der Tagesthemen am Freitagabend in Gestalt Jessy Wellmers ankündigt: „Wir ma-chen Platz für All You Can Eat“, so heißt das Programm „des erfolgreichen Comedians Felix Lobrecht!“, darf man genauer hinsehen. Auch im Wissen, dass Lobrecht die ARD nicht wenig gekostet haben dürfte. Wieder zu Netflix habe er nicht gewollt, sagte Lobrecht bei „Gemischtes Hack“, da man ihm weniger Geld als für sein erstes Comedy-Special geboten habe. Der ARD scheint Lobrecht also mehr wert zu sein als Netflix.
Es geht nach den Tagesthemen so los: „Ich hab ne Nachricht bekommen von so nem Mädel bei Instagram und sie hat geschrieben so: (mit quäkender Stimme) ‚Hey Felix, ich bin auch in Berlin dabei, und für dich würd ich sogar Koks von deinem Schwanz ziehen.‘“ Lachen. „Und da dacht ick mir och: Na, hoffentlich haste jenug Koks dabei.“ Lobrecht kreist mit den Hüften. „Für dich würd ich ‚sogar‘? Als ob sie mir damit nen Gefallen tut, als ob ich der Gewinner in dem Szenario bin?“
Der Gewinner im Szenario ist bei Lobrecht, merkt man bald, immer er selbst. Das unterscheidet ihn von größeren Comedians, Conan O’Brien, der eine ganze Karriere mit Witzen über sich selbst bestritten hat, oder auch von Ali Wong oder Ricky Gervais, die versaut sind, mit ihrem Reichtum prahlen und sämtliche Mitmenschen beleidigen, dabei aber das Entsetzen über sich selbst stets unterm doppelten Boden haben – das ist der Unterschied. Bei Lobrecht geht es um Frauen, die ihn wollen, Geld, das er hat. Das geht über 70 Minuten, die laut ARD-Ankündigung „teils derbe, aber immer lustig“ seien und aus denen hier unter dem Vorbehalt zitiert wird, dass Comedy im Kontext und nicht nur auf der Wortebene, sondern auch mit Gestik und Mimik funktioniert.
Zunächst die Absurdität, wie das in der Umsetzung mit dem Koks und dem Penis wohl aussehen würde, wenn „dann einfach so ne random Olle mit der Kreditkarte auf meinem Pimmel rumratscht (Ratschgeräusche, Nasenlochaufpenisgeräusche)“. Die meisten würden ja denken, dass nur Männer eklige Nachrichten schreiben, „aber Frauen sind ja gar nicht besser“. Die nächste eklige Nachricht: „Mir hat mal n Mädl geschrieben: ‚Hey Felix, bin eng!‘ Schon mal aufgefallen, eng ist nur im Kontext mit Frau ein positives Wort?“
Der Unterschied zwischen Felix Lobrecht und Mario Barth ist, dass Felix Lobrecht Begriffe wie „toxisch“ oder „alte weiße Männer“ benutzt oder auch auf „Rechte“ abhebt. Wer im Publikum doch mal Bauchschmerzen bekommt wegen der Frage, worüber man hier gerade lacht und warum es eigentlich ständig die „random Olle“ ist, für den können diese Verweise lindernd wirken – hier steht man schon irgendwie auf der richtigen Seite, diesen Balanceakt beherrscht Lobrecht. Er sichert sich in Kenntnis und in Genervtheit von gutmenschigen, feministischen, lehrerhaften Nörgeleien ab. Der Vorwurf, er reproduziere Abwertendes über Minderheiten, ist nicht neu, er wird aber auch nicht falsch, weil Lobrecht dann selbst anführt, wie „irgendwelche Leas aus dem dritten Semester“ sich beschweren.
Etwa im Teil des Stand-ups, den die ARD zu Werbezwecken selbst als beispielhaften Ausschnitt ausgewählt hat: „Irgendwie, bei Frauen ist es nicht übergriffig, wenn die so offen mit ihrer Sexualität umgehen. Das ist, glaub ich, gerade so’n Empowerment-Ding, Frauen, die offen mit ihrer Sexualität umgehen. Leute feiern das (quengelige Stimme): ‚Uh, ist die stark, uh ist die sexuell, uh‘. Niemand will Männer, die offen mit ihrer Sexualität umgehen, völlig zu Recht auch.“ Da hätte es interessant werden können, aber es geht leider so weiter: Er habe auf Instagram ein Foto von einer jungen Frau gesehen, „wie sie son Dildo in die Kamera hält und dabei so bossy guckt (Lobrecht macht ein duckface) und darunter hat sie geschrieben: my new boyfriend. Und dann habe ich mir die Kommentare angeguckt, und das waren nur so andere Frauen, die sie so empowert und gefeiert haben. So ‚yeah, you go girl (quengelige Stimme): Zeigs ihnen!‘“ Und jetzt die Punchline: „Als wär das ne feministische Leistung, sich Silikon in die Muschi zu stecken.“
Die sei „ein Held“ gewesen, und dann die komödiantische Rollenumkehr: „Das ist witzig, weil kein Mann mit ner Taschenmuschi ist ein Held.“ Das wäre ganz witzig, gäbe es bei Lobrecht die Möglichkeit, ohne großes Moralzeugs darüber zu reden, dass Frauen sich heute für eine Sexualität mit Dildo feiern, weil der Taschenmuschi-Mann sie schon länger ganz selbstverständlich findet. Der Witz bei Lobrecht aber ist immer schlicht, hier: Die random Olle auf Instagram ist peinlich.
Der Witz: die „Escortschlampe“, die peinlich „Daddy, daddy“ herumstöhnt. Der Witz: „wie son dickes Pferdemädchen“. Der Witz: „Rihanna ficken“. Der Witz: „ne rotzevolle Annika“. Der Witz: gibt „nichts unästhetischeres als besoffene Frauen auf Higheels“, „richtiges Trauerspiel, die können kaum stehen“, „alles ist voller Muschi“. Der Witz: Weiber, die eng sind, Weiber, die sich Silikon in die Muschi schieben, Weiber mit falschen Wimpern, die Lobrecht anquengeln „fick mich, bin ich hot? Ich will beim Blasen nicht gesehen werden!“. Der Witz, dass auch die Töchter derer im Publikum ficken und eng sind und peinlich „Daddy, daddy“ rumstöhnen. Der Witz, dass Leute mit Chicken Nuggets im Tiefkühler und Ketchup im Pumpeimer „ne ungelenkige Quietsche-Moni“ mit Poledance-Stange im Wohnzimmer haben, „ne schlecht tätowierte, schlecht geschminkte Monika, igitt, igitt, es gibt so schlecht geschminkte Frauen“. Der Witz, dass Frauen eklig sind und Männer noch ekliger, weil die sagen „Loch ist Loch“, oder „mit ner Tüte überm Kopp kann man die schon machen“. Kennste?
Comedians spielen Figuren, es geht also nicht mal darum, was Felix Lobrecht über Frauen denkt. Wie sie in seiner Comedy dastehen, ist ziemlich klar. Ausnahmsweise noch ein alter Witz Lobrechts, der zeigt, wie Sexismus bei ihm zwar halb mitgedacht, dann aber ins Schlechteste verdreht wird. Er startet mit der Idee, wie unterschiedlich ausgefeilt Verhütung zwischen Frauen und Männern ist, bei Frauen sehr komplex und aufwendig, Pille, Spirale und so weiter, bei Männern „Tüte drüberpacken“. Lustige Idee, aber Lobrecht kriegt es nicht hin, ohne zu sagen: „abgefahrene Kupferspiralen, die man sich in die Fotze reinballert, neee Spaß“. Es gibt Lobrechts Comedy nicht ohne Schlampen, Muschis, Fotzen. Alles traurig, erlaubt und okay, bitte keine Verbote.
Nur: Was treibt die ARD um? Die Quoten im Linearen (0,76 Millionen Gesamt-Reichweite) waren nicht mal gut, in der Mediathek muss man sich erst mit Personalausweis registrieren, um die nicht jugendfreie Sendung vor 22 Uhr sehen zu können. Auf Nachfrage erklärt die ARD: „Mit der Zusammenarbeit mit Felix Lobrecht, der gerade in der jüngeren Zielgruppe einen großen Bekanntheitsgrad genießt, möchten wir einer breiteren Masse Zugang zu seinem mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichneten Bühnenprogramm“ geben. Humor sei Geschmackssache, der von Felix Lobrecht spare weder Themen noch gesellschaftliche Gruppen aus, sei „komplex und darf nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden“. Das führt zu neuen Fragen: Gibt es in der ARD noch Menschen, die sich Gedanken über den öffentlich-rechtlichen Auftrag machen? Oder möchte man Leute mit großem Bekanntheitsgrad nur noch breiteren Massen zugänglich machen?
Der Text erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung.
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