US-Wahlen: Recht auf Abtreibung!

Kopf-an-Kopf-Rennen: Wer gewinnt die Wahl - Donald Trump oder Kamala Harris? Fotos: IMAGO
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Was Candi Miller in den letzten Stunden ihres Lebens durchmachte, bleibt auch zwei Jahre nach ihrem Tod bruchstückhaft. Angehörige berichteten von tagelangen Schmerzen und Schreien, bevor sie die Afroamerikanerin Ende 2022 tot in ihrem Bett fanden. Miller, 41 Jahre alt und Mutter von drei Kindern, hatte versucht, eine weitere Schwangerschaft mit Medikamenten zu beenden. Sie litt unter Diabetes, Bluthochdruck und der Autoimmunerkrankung Lupus. Eine Schwangerschaft, hatten die ÄrztInnen immer wieder gewarnt, könnte Miller das Leben kosten.

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Wie die amerikanische Website ProPublica jetzt rekonstruierte, entschloss sich die Friseurin aus dem Südstaat Georgia daher zu einer Abtreibung mit Medikamenten, die sie bei einem Unternehmen in den Niederlanden für 80 Dollar bestellt hatte. Dann setzten die Schmerzen ein. Bei der Obduktion entdeckten die RechtsmedizinerInnen in Millers Gebärmutter später fötales Gewebe. Eine Ausschabung hätte eine Blutvergiftung wohl verhindert. Aus Angst vor einer Strafe nach der Verschärfung der Abtreibungsgesetze hatte sich Miller aber nicht ins Krankenhaus getraut. „Wenn bekannt wird, dass eine Frau versucht, ein Baby loszuwerden, geht sie dafür ins Gefängnis“, fasste Christian Cardenas die Befürchtungen seiner Mutter nach ihrem Tod zusammen.

Candi Miller und Amber Thurman bezahlten die strikten Abtreibungsgesetze mit ihrem Leben.
Candi Miller und Amber Thurman bezahlten die strikten Abtreibungsgesetze mit ihrem Leben.

Die Angst, gegen Georgias rigide Abtreibungsgesetze zu verstoßen, endete auch für Amber Thurman tödlich. Nach einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch war die 28-Jährige im August 2022 in das Piedmont Henry Hospital in Stockbridge bei Atlanta gebracht worden. Eine Freundin erinnerte sich, dass Thurman nicht nur über starke vaginale Blutungen klagte. Sie hatte auch wiederholt Blut erbrochen und das Bewusstsein verloren. Bei der ersten Untersuchung diagnostizierten die MedizinerInnen eine Infektion und einen gefährlich niedrigen Blutdruck. Bei der gynäkologischen Untersuchung fiel ihnen ein übler Geruch auf. Ultraschallaufnahmen deuteten auf Überreste eines Fötus in Thurmans Gebärmutter hin. Es dauerte aber fast 20 Stunden, bis die Afroamerikanerin und Mutter eines sechsjährigen Sohnes für eine Ausschabung in den Operationssaal gebracht wurde. Ihr Herz hörte wenige Minuten später auf zu schlagen.

Als Todesursache vermerkten die ÄrztInnen einen septischen Schock. Die Recherchen von ProPublica weisen dagegen auf eine Mischung von gefährlichen Abtreibungsgesetzen, widersprüchlichen Formulierungen und die Angst vieler ÄrztInnen, auch nach lebensrettenden Eingriffen wie einer Ausschabung wegen eines angeblichen Schwangerschaftsabbruchs vor Gericht gestellt zu werden.

Ärzte haben Angst,  nach lebensrettenden Maßnahmen angeklagt zu werden

Nach dem Kippen des landesweiten Rechts auf Abtreibung durch den Obersten Gerichtshof im Juni 2022 hatte fast jeder zweite amerikanische Bundesstaat die Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche verschärft. Georgia, Candi Millers und Amber Thurmans Heimatstaat, gehörte damals zu den Hardlinern unter den Hardlinern. Ein Abbruch, bestimmten die Gesetzgeber des konservativen Südstaates in der sogenannten Life Act, war nur bis zur fünften oder sechsten Woche nach Beginn der letzten Regelblutung erlaubt. Ein Zeitpunkt, an dem so manche Frau selbst noch nicht einmal gemerkt hat, dass sie schwanger ist. Ende September, für Miller und Thurman zwei Jahre zu spät, kassierte ein Gericht im Bezirk Fulton schließlich das umstrittene Gesetz. „Erst wenn ein Fötus im Bauch einer Frau lebensfähig ist und die Gesellschaft die Verantwortung für das separate Leben übernehmen kann, darf die Gesellschaft auch einschreiten“, urteilte der Vorsitzende Richter Robert McBurney und verglich die „Life Act“ mit Margaret Atwoods dystopischem Roman „Der Report der Magd“.

Wie zu erwarten, verschärfte die Nachricht über die Todesfälle in Georgia auch den Ton vor der Präsidentschaftswahl am 5. November. Je näher die Wahl rückt, umso stärker rückt das Thema Abtreibung ins Zentrum der Wahlkampagnen. Die traditionellen WählerInnen der Demokraten sind in der Regel für das Recht auf Abtreibung, die der Republikaner dagegen. Aber es gibt eben auch viele RepublikanerInnen, die dafür sind – aus eigener Lebenserfahrung. Ihnen gegenüber stehen die schriftgläubigen Evangelikalen, die glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat, und die bei den Wahlen 2016 zu 80 Prozent Trump gewählt haben. Der musste als Präsident also liefern.

Die von Trump eingesetzten konservativen Richter kippten "Roe v. Wade"

Kurz vor der Wahl wird der Ton schärfer. Bei einem Aufenthalt in dem hart umkämpften Wechselwählerstaat wies die Kandidatin der Demokratischen Partei, Kamala Harris, das strikte Abtreibungsgesetz als „unmoralisch“ zurück. Immer wieder spielte Harris auch auf die Mitverantwortung des Republikaners Donald Trump an. Während seiner Amtszeit im Weißen Haus hatte er drei konservative RichterInnen für den Supreme Court nominiert, um das in der Grundsatzentscheidung Roe v. Wade verankerte Recht auf Abtreibung nach fast 50 Jahren zu kippen. „Wir wissen inzwischen, dass allein in Georgia mindestens zwei Frauen wegen Trumps Abtreibungsverbot starben“, warf Harris dem 78-Jährigen vor. Wie bei den Zwischenwahlen 2022 setzen die Demokratin und ihr Running Mate Tim Walz für November auf „reproduktive Freiheit“ – nach Meinung ihrer KritikerInnen nicht zuletzt auch, um heikle Themen wie Einwanderung und Wirtschaft zu neutralisieren, bei denen viele Trump mehr zutrauen als Harris.

Das Thema Abtreibung gilt für den wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Politiker dagegen als Gratwanderung. Um ein zweites Mal ins Weiße Haus einzuziehen, muss er so unterschiedliche Gruppen überzeugen wie republikanische StammwählerInnen, Unabhängige, weiße Amerikanerinnen ohne Hochschulabschluss („suburban women“) und die streng gläubigen Evangelikalen, die ihm 2016 den Weg nach Washington ebneten. Sein Kurs in der Abtreibungsdebatte geht entsprechend im zickzack. Da hilft es auch nicht, dass seine Ehefrau Melania öffentlich für das Recht auf Abtreibung eintritt. Das klingt eher nach einer Aufgabenteilung: good guy – bad guy.

Demonstration im Juni 2024 vor dem Supreme Court in Washington für das Recht auf Abtreibung. - FOTO: IMAGO/NurPhoto
Demonstration im Juni 2024 vor dem Supreme Court in Washington für das Recht auf Abtreibung. - FOTO: IMAGO/NurPhoto

Nach früheren Bekenntnissen zum Recht auf Selbstbestimmung aller  Amerikanerinnen hatte sich Trump mit Blick auf seine politische Karriere bei den Konservativen angebiedert. Ende 2015 schlug er vor, der Planned Parenthood Federation of America (PPFA), eine gemeinnützige Organisation für reproduktive Gesundheitsvorsorge und Schwangerschaftsabbrüche, Bundesmittel zu streichen. Vor der Wahl 2024 spuckt er plötzlich andere Töne. Floridas Abtreibungsverbot (nach der sechsten Schwangerschaftswoche) sei zu strikt, ein landesweites, absolutes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen lehne er ab.

„Donald Trump ist pro-Eltern, pro-Babys und pro-Familie“, versuchte eine Sprecherin die Enttäuschung vieler AbtreibungsgegnerInnen abzufedern. Auch Trumps möglicher Vize J. D. Vance bemüht sich um die sogenannten Pro-Lifer. Nach einem Wahlsieg der RepublikanerInnen, ließ er Anfang Oktober wissen, würden PPFA selbstverständlich die Mittel gestrichen.

Trumps Vize Vance kündigte an, Planned Parenthood die MIttel zu streichen

Doch nicht nur die kalifornische Präsidentschaftskandidatin Harris könnte das Klima von Verboten, Strafen und Bevormundung nach zwei Jahren wieder ändern. In zehn Bundesstaaten werden die WählerInnen am 5. November auch via Referendum über Schwangerschaftsabbrüche abstimmen. In Montana entscheiden die BewohnerInnen beispielsweise, ob das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Big Sky Country aufgenommen wird. In Colorado votieren die WählerInnen für oder gegen die Übernahme der Kosten für einen Abbruch durch öffentliche Stellen. In weiteren Bundesstaaten, unter anderen Arizona, South Dakota und Nevada, stehen Abtreibungen von lebensfähigen Föten bei Gefahr für das Leben der Frau und das garantierte Recht auf freie Entscheidung während des ersten Trimesters auf dem Wahlzettel. Harris, die Tochter einer indischen Brustkrebsforscherin und eines jamaikanischen Wirtschaftswissenschaftlers, gilt dabei als Galionsfigur. „Sie beweist, dass ein Bekenntnis zu reproduktiven Rechten politische Siege ermöglicht“, meint Mary Ruth Ziegler, eine der führenden amerikanischen  AbtreibungsrechtlerInnen. „Kompromisslos und aus voller Kehle."

CHRISTIANE HEIL

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