Die Muschi-Masche
Noah Sow könnte kotzen. Und das nicht nur wegen Jennifer Lopez.
Hab ich wo gefehlt? In der Pubertät oder in der Videoclip-Evolution? Mir scheint ganz, als hätte ich Entscheidendes verpasst, nämlich so ziemlich alle Zwischenstufen von Sexy-Dinger-gegen-die-Linse-Schaukeln bis zu Unterhose-in-Nahaufnahme-Zeigen. Häh?
Damit das Teeniepublikum das Gequatsche erträgt und was so geboten ist, auch wenn der Regisseur keine Idee hat, gabs doch bisher in Videoclips immer DINGER.
Das hatten Brüste zu sein. BUSEN. Große, mittlere, gemachte, echte, mit kaum was drüber oder unter jemandem oder von rechts ins Bild.
Mal abgesehen davon, dass ich mich frage, was die weiblichen Teenie-Zuschauer der Musiksender denn eigentlich immer dann machen, wenn so ein Clip läuft BHs kaufen? Sich langweilen? Lesbisch werden? , schocken DINGER in Videos ja keine mehr.
Klar, dass irgendwann der Gewöhnungseffekt eintritt. Ist schon okay, dass da was Neues hermusste, was Krasseres, damit überhaupt noch einer guckt. Aber, hey, muss es denn gleich der Unterhosen-Zoom sein?
Ich glaube, den ersten dauerhaften Einsatz des Unterhosen-Zoom (auch U-Zoom genannt) gabs in einem Video von Jennifer Lopez: Sie robbt im Badeanzug durch die Gischt und ist schon ganz nass, und da hah passiert es plötzlich. Unglaublich, unverschämt und totaaal gewagt: ein Unterhosen-Zoom! Direkt auf den bereits brandungsdurchweichten Bikini-Slip!
Damals war ich nur leicht verwundert, dass die Nahaufnahme von JayLos Unterhose tatsächlich den Schnittplatz passiert hatte. Als Vorsatz erkennen konnte ich das Ganze erst, als es dann im nächsten Video nur noch zwei Prozent Einstellungen von JayLos Gesicht gab, der Rest bestand aus Becken-Shots, wie gehabt in Nahaufnahme von vorne. Okay, mag man sagen, bei Frau Lopez gibt es vielleicht Körperteile, die äh eignen sich mehr zum Filmen, und solche, die eignen sich mh weniger. Doch selbst wenn ihr Hintern das Hübscheste an ihr ist, warum sieht man dann ständig nur ihre Muschi? Was soll der Scheiß?
Frau Lopez lebt inzwischen unverhohlen davon, ein wandelndes Da-gehts-rein-Schild zu sein. Auf jedem lebensgroßen Pappaufsteller, Poster, Aufkleber und sogar beim Schauspielen (wir erinnern uns, auch wenns schwerfällt, an The Cell) posiert sie in der Unterhose und tarnt die inzwischen noch nicht mal als Bikini. Meistens kniet sie dabei vor irgendwas und kuckt nach rechts oben.
Sicher, dafür eine Platte nach der anderen aufgenommen zu kriegen und die Rolle des Lebens als Sängerin spielen zu dürfen, dabei noch reich und glücklich zu werden und weltweit gefeiert, dafür würden wahrscheinlich viele Frauen einiges tun. Nur, behaupte ich einfach mal, schmälert es den Erfolg möglicherweise doch ein bisschen, wenn man dafür komplett die Würde an der Garderobe abgeben und auf Geile-Unterhose als Markenzeichen machen muss.
JayLo könnte so cool sein: eines der Mädels, die sich nicht unterkriegen lassen. Als Puertoricanerin in Hollywood hat man denkbar schlechte Karten. Entsprechende Scheißjobs und -rollen hat sie auch jahrelang mitgemacht. Jetzt hat sies geschafft und sich durchgebissen. Sie ist Mitte dreißig und damit zirka zwanzig Jahre älter als die Sternchen, die gleichzeitig mit ihr auf Playback-Shows auftreten. Eigentlich könnte sie sich jetzt ne Zigarre anstecken und souverän an ihrer Gesangskarriere basteln: mit sexy, frischen, coolen Videos.
Und was macht JayLo stattdessen? Seit Jahren ist sie die Sklavin der 1a-Marketingidee vom Unterhosen-Zoom. Das ist bitter für sie, aber noch bitterer für den Rest des weiblichen Entertainments. Denn da die Nummer mit der Muschi in Nahaufnahme bestens funktioniert, müssen Britney Spears und sogar deutsche Popsternchen aus Detmold und unzählige Girls in der Werbung jetzt genau so posen. Eben noch gerade so damit abgefunden, als Abziehbild statt als Persönlichkeit dazustehen, und jetzt auch noch damit klarkommen, dass man gaaanz nah den Schritt von vorne filmt. Prostmahlzeit.
Da lob ich mir doch nen alten Softporno mit Ilja Richter und bete, dass der darin auch schon rudimentär sich abzeichnende U-Zoom-Trend nie breitflächig das männliche Showbiz erreicht. Wir sehen uns sonst auf dem nächsten Sasha- Konzert.
Noah Sow, EMMA März/April 2003
Die Autorin war Moderatorin (früher bei EinsLive) und ist Musikerin. Sie lebt zwischen Nippes und Manhattan.