Vom Gendern und Heldentum

Wegen Dreadlocks: Ronja Maltzahn durfte nicht bei Fridays for Future auftreten und kassierte einen Shitstorm.
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Fridays for Future demonstrierten am 25. März, einem Freitag, mal wieder für die Rettung des Klimas, diesmal in Solidarität mit der Ukraine. Beitragen dazu wollte in Hannover die Musikerin Ronja Maltzahn, das durfte sie aber nicht. Nein, sie ist keine Russin, wie man jetzt wegen des grassierenden antirussischen Rassismus denken könnte. Sie ist auch nicht gegen den Kohleausstieg oder für Putins Angriffskrieg. Sie hat nur eine Frisur.

Diese Frisur erlauben die Veranstalter nicht: Maltzahns Dreadlocks nämlich seien ein Widerstandssymbol der Bürgerrechtsbewegung schwarzer Menschen. „Wenn eine weiße Person also Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um kulturelle Aneignung, da wir als weiße Menschen uns aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen“, so die Weltretter*innen aus Hannover.

Sehr gut. Daraus lassen sich fünf Regeln ableiten.

Erstens: Wokeness ist das probate Mittel zur Weltrettung. Denn ohne, dass erstmal definiert wird, wer dazugehören darf und wer nicht, darf politisch nicht gehandelt werden. Zweitens müssen in guter totalitärer Tradition alle zivilisatorischen Kämpfe ausradiert werden, die historisch um die Menschenrechte und um die Gleichheit, nicht um die Ungleichheit gekämpft wurden. Drittens darf nicht Gemeinsames, sondern muss zwingend Trennendes hergestellt werden, das macht soziale Bewegungen stark. Viertens muss unbedingt selbst Rassismus und Ausgrenzung praktiziert werden, wenn man gegen Rassismus und Ausgrenzung ist. Es war Ronja Maltzahn übrigens nahegelegt worden, sich die Dreadlocks abzuschneiden, dann hätte sie mitmachen dürfen. Das ist schon ein Fortschritt gegenüber der kategorialen Ausgrenzung, wie sie die Nationalsozialisten praktiziert hatten – hier darf man immerhin versuchen, sich so zu verstümmeln, dass man wieder zugelassen wird. Und schließlich, fünftens, ist ganz egal, welche Gewalt gerade aus Gründen von Klimawandelsfolgen oder wegen eines Angriffskrieges ausgeübt wird, gegen die man demonstriert: Wenigstens ein bisschen Gewalt möchte man selbst auch ausüben dürfen, ganz so wie 1945, als nach Kriegsende den Frauen etwa in Norwegen oder Frankreich die Haare geschoren wurden, die sich mit Deutschen eingelassen hatten.

Blenden wir damit über auf einen anderen Diskurs, der exakt zur selben Zeit stattfindet und der sich durch eine erstaunliche Absenz jeder Spur von Wokeness auszeichnet: Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich der Krieg auch der Sprache bemächtigt. Nur die Wenigsten finden offenbar etwas dabei, wenn jetzt martialisch vom „kämpfen bis zum Ende“, „vom Sterben für mein Land“, von „Tapferkeit“, „Heldentum“ usw. usf. die Rede ist. Es entsteht der Eindruck, dass viele Akteure der Medienlandschaft jetzt ein gewisses Kribbeln der Kriegslüsternheit verspüren.

Jedenfalls ist der Sound des medialen Mainstreams der Sound des männlich ausgefochtenen und weiblich erlittenen Krieges, und einmal mehr darf man erstaunt zusehen, wie zuvor vernunftbegabte Leute wie Sascha Lobo nun „Warfluencer“ feiern. Die böten über die sozialen Medien „in ihrem eingeübten Zwang zu Kürze und beiläufiger Prägnanz und von echten Personen als Absendern sogar die bessere Art, einen Krieg zu fühlen.“

Da stockt einem dann schon der Atem, und man erinnert sich, wie noch vor wenigen Wochen um jede symbolisch zu wenig repräsentierte nicht-binäre Person in Texten, Filmen und Schauspielhäusern Skandal gemacht wurde, ganz in der Weise, in der die Fridays For Future-Fraktion in Hannover die falschen Frisuren auszumerzen bestrebt ist. Aber wo sind deren Stimmen in der plötzlichen Revitalisierung der traditionellen Geschlechterrollen, wo die Männer hart blickend an die Front gehen und die Frauen und Kinder weinend in die Züge gehoben werden? Wo die kulturwissenschaftlich hochgerüstete Sprachkritik am Sound of war? Wo, übrigens, die Kritik an Kolonialismus und Imperialismus und Diskriminierung, die symbolpolitisch so gut eingeübt war, dass den Zugehörigen alle Akronyme wie BiPoC’s oder LGBTQIA+ glatt und ohne Nachdenken über die Lippen gingen?

Nun zeigt sich, wie schon zuvor beim Schweigen über den offen vorgetragenen Imperialismus etwa von China, beim Schweigen über die Annektierung von Hongkong, beim Schweigen über die Arbeitslager von Xinjiang: das ist alles nur akademisches Mittelstands-Symbolgirlandendrehen, das sich für materielle Verhältnisse null interessiert. Aber die neue Macht der Symbole gern genutzt hatte, um sich Standortvorteile in Uni-Stellenplänen und Schauspielensembles zu verschaffen, weil man mit Recht darauf spekulieren durfte, dass die Uni-Leitungen und Intendanzen kuschten. Könnte ja sein, dass man sonst als kolonialistisch oder transphob oder irgendwas gelten könnte, was man allerdings als weißer Mensch, wie man ja zwischenzeitlich gelernt hatte, schon qua falscher Pigmentierung war.

Schon Elias Canetti hatte gesehen, dass Macht besonders für die verführerisch ist, die keine haben, und eben das zeigt sich jetzt in der plötzlichen Umstellung auf Sprachkriegswirtschaft. Das zugrundeliegende Narrativ des männlichen Helden, der sein Leben aufs Spiel zu setzen bereit ist, wenn es um die Verteidigung der Nation geht – es funktioniert sofort. Und mit ihm die stellvertretende Teilhabe an der Gewalt, weshalb man gleich für Waffenlieferungen ist, um die neuen Helden zu unterstützen.

Und mit ihm die Zuweisung, wer nach dem Drehbuch des Krieges welche Rolle einzunehmen hat, und wenn dabei dann die LGBTQIA+ unter die Räder kommen, weil die ukrainische Armee die nicht in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung hat und alles rekrutiert, was „männlich“ im Pass stehen hat – nun ja, dann ist das wohl das, was man schon im Jugoslawienkrieg als Kollateralschaden bezeichnet hat.

All das zeigt die fatale Verwechselung der Ebene des Symbolischen mit der des Materiellen. Wenn man keine vernünftige Relation mehr zwischen der Bedeutung einer Frisur und dem Handeln einer Person herstellen kann, dann mag man es für bedeutsamer halten, dass „schwarze Widerstandssymbole […] auf weißen Köpfen nichts zu suchen“ haben, wie die hannoverschen Fridays For Futures schreiben. Dann ist man zwar immer auf der sicheren Seite für sich selbst, aber depolitisiert alle Machtverhältnisse, in denen konkreten Menschen unter konkreten Bedingungen von konkreten anderen Menschen wegen konkreter Interessen Gewalt angetan wird. Oder etwas unfreundlicher formuliert: Dann ist man auf der antizivilisatorischen Seite, was ja durch die Aufforderung an Frau Maltzahn, sich die Haare abzuschneiden, folgerichtig gleich auch manifest wurde.

Und siehe da: der Übergang vom Wort zur Tat, er liegt so nahe. Perception is reality, weshalb die symbol- und identitätspolitische wokeness-Bewegung in der luxuriösen Welt kostbarer westlicher Befindlichkeiten eine erstaunliche Wirkmächtigkeit entfalten konnte. Aber eben auch dort, wo man gar nicht damit gerechnet hatte: denn der Kult um die von irgendeinem Leid Betroffenen und deren exklusiver Anspruch auf Gültigkeit ihrer Wirklichkeitssicht führt ja paradoxerweise auch dazu, dass ukrainische Politiker in europäischen Parlamenten und Talkshows in der Regel unwidersprochen direkte Forderungen an gewählte Politikerinnen und Politiker richten können und dafür schuldstolzen Applaus ernten. Die Rhetorik, die sie dabei verwenden, darf nicht kritisiert werden – schließlich sprechen sie als Opfer.

Doch die ganz und gar unwoke sprachliche Aufrüstung, die im Zusammenhang des Putinschen Angriffskrieges sofort eingesetzt und die Kommentarspalten der Qualitätspresse genauso wie die Talkshows durchsetzt hat, ist brandgefährlich. Denn die Sprache des Krieges wirkt invasiv, formatiert die Interpretationen und Analysen und übt damit Druck auf Entscheidungen aus. Anders gesagt: Wo man sich bei der Verwendung von Begriffen nicht mehr versichert, zu welcher Wirklichkeit sie gehören, gibt es keinen Halt. Dann denkt man nicht mehr, dann wird man gedacht. Und dann sind Andersdenkende eine Gefahr, die durch Ausschluss gebannt werden muss.

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