Von der Leyen: Die Top-Kandidatin!
Seien wir mal ganz ehrlich: Wer kannte denn schon wirklich Manfred Weber – bevor der Arme als „Spitzenkandidat“ abgemeiert wurde?! Niemand, außer seinen Nachbarn in Ingolstadt und seinen Bazis in der CSU. Seien wir noch ehrlicher: Wer hat denn bei den EU-Wahlen sein Kreuz bei der SPD gemacht wg. Spitzenkandidatin Katarina Barley?! Niemand, die Wenigen wohl vor allem mit dem Motiv, die SPD nicht so ganz ins Nirwana abrutschen zu lassen. Das nun plötzlich von manchen PolitikerInnen so hochgehaltene Spitzenkandidaten-Prinzip ist also für uns EuropäerInnen noch höchst gewöhnungsbedürftig.
Nun ist also eine, die zwar keine Spitzenkandidatin war, dafür aber eine Topkandidatin ist, Europas Nr. 1: Ursula von der Leyen oder „Ürsüla“, wie unsere französischen Freunde zu sagen pflegen. Denen, genauer Präsident Macron, verdanken wir ja auch, dass diese herausragend qualifizierte Politikerin überhaupt ins Rennen als EU-Präsidentin geschickt worden ist. Über ihren Sieg ist der Jubel in fast ganz Europa groß; nicht nur bei den Franzosen, die diese Art von weltgewandter, tüchtiger, gebildeter und gutaussehender Frau zu schätzen wissen. Nur ein Land mault: Deutschland. Und zwar nicht nur die beleidigte SPD, der offensichtlich nicht mehr zu raten bzw. zu helfen ist, sondern auch viele Frauen, ja sogar Feministinnen. Was ist los?
Von der Leyen weckt höchst ambivalente Gefühle - gerade bei Frauen
Was ist falsch an der 60-jährigen von der Leyen, die als Familienministerin, unterstützt von der Kanzlerin, eine quasi feministische Politik gemacht und Pro-Quote gekämpft hat? (Und die für die EU-Spitze eine geschlechter-paritätische Besetzung angekündigt hat!). Was ist falsch an der Frau, die als Verteidigungsministerin zumindest versucht hat, dem in Teilen rechtslastigen und sexistischen Männerbund sowie der traditionellen Korruption durch die Waffenlobby den Kampf angesagt hatte (Was ihr viele Feinde eingebracht hat und einen verschärften Blick auf hohe Beraterverträge, von denen sie persönlich, das ist inzwischen gesichert, nichts wusste). Und was ist falsch daran, dass eine geborene Europäerin (in Brüssel zur Schule gegangen), eine Kosmopolitin (in Amerika Ärztin und Hausfrau gewesen) und erfahrene Familienfrau jetzt an der Spitze der Europäischen Union steht? An einer Frau, die schon seit Jahren vor der Klimakatastrophe warnt - und die sich als Ministerin auf Staatsbesuch in Saudi-Arabien offensiv nicht verschleiert hat?!
Von der Leyen sind in Deutschland von Anbeginn an höchst ambivalente Gefühle entgegengeschlagen, nicht nur von Männern, gerade auch von Frauen. Ich vermute, der Grund ist nicht, dass sie „die schwächste Ministerin im Kabinett“ war (zumindest nach Martin Schulz) – nein, im Gegenteil: Der Grund ist, dass sie zu stark ist. Seiteneinsteigerin, Blitzkarriere, Mutter von sieben Kindern - und trotzdem noch nie öffentlich ein Tränchen gedrückt.
Es ist unübersehbar: Deutschland hat ein besonderes Problem mit starken Frauen. Mit unverhüllt starken Frauen. Darum sind auch die aktuell niedrigen Sympathiewerte der Kanzlerin ausgerechnet nach dem Zitteranfall in die Höhe geschnellt, um 20 Prozent. Endlich schwach.
Doch während ein Teil der Männer gerade beginnt, Spaß an starken Frauen zu finden (die coolsten Kommentare zu vdL stehen zurzeit in der FAZ), klammert sich so manche Frau weiterhin an ihr gutes altes Frauenbild. Motto: Gemeinsam sind wir schwach.
Immer haben solche Frauen etwas zu nörgeln an Frauen, die vorausgehen. Statt sich einmal einfach von Herzen zu freuen! Sich zu freuen, dass manche es schaffen - und so Ermutigung und Vorbild für viele sind. Statt sich zu freuen, dass es nun auf der internationalen Bühne noch ein weibliches Vorbild aus Deutschland gibt! Auch Kanzlerin Merkel wird ja - unabhängig von punktueller Sachkritik - weltweit bewundert. Vor allem von Frauen. Sie gilt international als Rolemodel Number One.
Warum sich nicht einfach mal von Herzen freuen über das Vorbild?
Und über Christine Lagarde, die jetzt vom IWF-Chefsessel auf den Posten der quasi obersten Finanzministerin der EU wechselt, mault in Frankreich niemand. Im Gegenteil: Die Franzosen sind stolz, eine so tüchtige (und elegante!) Landsmännin auf diesem Posten zu haben. Es herrscht uneingeschränkter Respekt. Kritisiert werden von manchen höchstens konkrete Positionen ihrer Geldpolitik, wie es bei einem Mann auch der Fall wäre. Ist das Starke-Frauen-Bashing also eine deutsche Spezialität?
Selbstverständlich kann und wird in der Amtszeit von EU-Chefin von der Leyen dieses oder jenes Thema auftauchen, das EU-Bürgerin Schwarzer anders sieht als sie. So wie ich auch ihre Interventionsstrategie als Verteidigungsministerin höchst kritisch gesehen habe. Doch ich erwarte nicht, dass eine PolitikerIN so handelt, wie ich mir das wünschen würde, nur weil sie eine Frau ist. Die Kritik in der Sache ist eine andere Ebene.
Also selbst auf die Gefahr hin, dass meine eigenen Leserinnen mir einen Shitstorm liefern: Ich freue mich jetzt erst einmal uneingeschränkt darüber, dass eine so höchst qualifizierte Frau wie Ursula der Leyen auf dem Posten gelandet ist! Ich bin stolz auf sie!! Und ich gratuliere ihr von Herzen!!!
Alice Schwarzer
PS: Nachfolgend ein Auszug aus einem Gespräch, das ich Anfang 2006 mit ihr geführt habe. Da war sie gerade ein paar Wochen Familienministerin – und redet noch ungewöhnlich offen über sich und ihre Situation als Frau.