Wacken Open Air: Heidrun regelt das!

Foto: Gunnar Sauermann/ ICS Festival Service GmbH
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Auf dem Kölner Reggae-Festival Summerjam steht das "Edelgard Mobil", eine Anlaufstelle für Frauen. Auf dem norddeutschen Hurricane-Festival und dem süddeutschen Southside sind alle MitarbeiterInnen vom Thekenpersonal bis zur Feuerwehr informiert. "Wo geht's nach Panama?" Wenn eine Frau diese Frage stellt, dann braucht sie dringend Hilfe. Das im Vergleich deutlich kleinere Festival Haldern Pop am Niederrhein hat "speziell geschultes Security-Personal"; das gleiche übrigens, das sich seit der verheerenden Kölner Silvesternacht 2015/2016 um die Kölner Domplatte kümmert. Wir haben Festival-Veranstalter gefragt, was sie in Zeiten von #MeToo zum Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt tun. Die Reaktionen kamen prompt. Seit das schwedische Bråvalla-Festival wegen massiver Vorfälle sexueller Gewalt für dieses Jahr sogar abgesagt wurde, kommen auch deutsche Festival-Betreiber nicht mehr an dem Thema vorbei. Einer hat uns sogar gleich ein Interview angeboten. Mit dem Security-Chef. Der ist nämlich eine Chefin. Heidrun Vogler kümmert sich seit 20 Jahren um die Sicherheit bei dem berüchtigten Metal-Festival Wacken Open Air, inzwischen hat sie das Sagen. Rund 75.000 Fans reisen jährlich an. Am 2. August ist es wieder soweit.

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Heidrun, hörst du Metal?
Heavy Metal. Death Metal ist mir einfach eine Nummer zu heftig.

Okay, jetzt für Nicht-Kenner: Was ist der Unterschied?
Man kann auch mal mitsingen.

Heidrun im Einsatz.
Heidrun im Einsatz.

Also nicht so hart …
Ja, nicht ganz so hart. Ich höre zum Beispiel gerne Aerosmith. Die haben nur leider noch nie beim Wacken gespielt.

Wie hält man 75.000 Metal-Fans im Zaum?
Die halten sich gegenseitig im Zaum. Das ist ganz faszinierend. Wir haben im vergangenen Jahr keine einzige Schlägerei gehabt.

Wie sieht dein Job dann so aus?
Wenn es ein Problem oder eine Frage gibt, sind wir da und helfen. Und die Vorbereitungen für das kommende Jahr laufen ja auch immer schon während des Festivals. Da halten wir fest: Was läuft gut, was läuft schlecht? Dann setzen wir uns im Verlauf des Jahres immer wieder mit den Veranstaltern und Behörden zusammen. Zurzeit plane ich zum Beispiel die Positionen der Security- Mitarbeiter. Das sind ja ein paar hundert Leute. Die kontrollieren am Eingangsbereich, ob gefährliche Gegenstände im Rucksack sind. Oder sie laufen über das Festivalgelände und sehen nach dem Rechten. Und dann gibt es ja auch noch das Bühnenpersonal.

Was läuft denn schlecht?
Na ja, die Herausforderung bei uns ist immer das Wetter. Das zieht sich wie ein roter Faden durch alle Jahre des Festivals. Da müssen wir Material aufschütten, die kürzesten Fluchtwege festlegen, das Rote Kreuz positionieren und so weiter … Das ist eine Menge Arbeit. Vor zwei Jahren hatten wir im August Bodenfrost.

Die Metal-Szene ist ja eine sehr männliche Szene …
… also, das hat sich mittlerweile schon geändert! Ich muss auch ein kleines Highlight erzählen: Wir haben sogar schon mal ein Wacken-Baby bekommen! Da ist einer Frau am Haupteingang die Fruchtblase geplatzt. Die ist dann aber mit einem Krankenwagen abgeholt worden.

Gut. Trotzdem: Du bist seit 20 Jahren Security-Mitarbeiterin bei einem Festival, das bis heute zu einem sehr viel größeren Anteil von Männern besucht wird. Inzwischen bist du sogar die Sicherheits-Chefin. Wie reagieren denn die Jungs auf dich?
Ich hatte noch nie Probleme, dass jemand meine Kompetenz angezweifelt hat. Auch nicht im Team. Wir kennen uns ja alle seit 20 Jahren. Die Jungs kommen sowieso lieber zu mir als zu einem Mann.

Warum?
Ich glaube, die vermuten, dass ich so eine Art Helfersyndrom habe. Da kommen dann so Fragen wie: „Heidrun, kannste mir helfen? Während meiner Schicht hat es geregnet und jetzt ist mein Schlafsack nass.“ Oder die haben bei dem Matschwetter keine Klamotten zum Wechseln dabei. Und wenn dann welche ins Team nachrücken, die mich nicht kennen, dann bekommen die von den Älteren erklärt, dass ich das Sagen habe. Ich muss natürlich Ansagen machen, die sind konsequent und die werden auch umgesetzt. Und wenn ich merke, da pariert jemand so gar nicht, dann hole ich mir noch weitere Ansprechpartner dazu. Wir arbeiten mit vielen Subunternehmen zusammen und in der Regel ist das dann der Chef.

Kein doofer Spruch, niemals?
Nein. Eher so ein Hinterfragen im Sinne von: „Wer bist du denn?“

Und was sagst du dann?
Das wirst du noch erleben!

Frauen sind ja immer wieder in der Situation, dass sie sich in einer Männerwelt durchsetzen müssen. Hast du Tipps?
Das ist doch ganz einfach: Egal um welche Branche es sich handelt, Frauen müssen immer vollständig integriert sein. Das ist das Tolle an Wacken: Wir werden gleichberechtigt behandelt. Bei uns sitzen unglaublich viele Mädels im Produktionsbereich, was ich von anderen Veranstaltungen so nicht kenne. Ich habe ja selbst eine immense Verantwortung. Ich bin die erste Ansprechpartnerin von Polizei und Behörden. Und das funktioniert nur deswegen so gut, weil ich von Anfang an voll integriert war.

In Schweden findet in diesem Jahr das erste Mal ein Festival nur für Frauen statt, das Statement Festival. Hintergrund sind massive Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung auf dem Bråvalla-Festival im Vorjahr. Was hältst du von solchen Schutzräumen für Frauen?
Für das Wacken würde das nicht funktionieren, da reisen ja ganze Freundes-Gruppen an und die wollen auch gemeinsam feiern. Aber natürlich gibt es bei uns zum Beispiel Anlaufstellen für Mädels, die ein Problem haben, das ist unser Seelsorger-Team. Da werden Festivalbesucher auf Wunsch auch von unseren Mitarbeitern hinbegleitet.

Auf anderen Festivals gibt es so etwas wie ein Codewort, mit dem Frauen das Sicherheitspersonal auf Übergriffe aufmerksam machen können.
So etwas gibt es bei uns noch nicht. Es gab aber auch nie die Notwendigkeit. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in 20 Jahren einen Fall sexueller Belästigung gegeben hat, geschweige denn eine Vergewaltigung.

Oft trauen sich die Frauen ja einfach nicht, etwas zu sagen.
Na klar. Aber weder an uns noch an die Polizei ist etwas durchgedrungen.

Ist das Thema sexuelle Gewalt denn in den Vorbereitungen auf das Festival Thema?
Selbstverständlich. Das ist doch wichtig! Wir haben schon im Vorfeld Besprechungen mit dem Produktions-Team, der Polizei und den Seelsorger, damit alle wissen, was im Notfall zu tun ist. Ich habe auch den Eindruck, dass die Behörden inzwischen sensibler geworden sind. 

Fast die Hälfte eurer Security ist weiblich. Warum?
Alleine durch die Anwesenheit dieser Frauen haben die Männer mehr Hemmungen, sich aufzuspielen. Ein einfaches Beispiel: Am Ende des Tages wird das Innenfeld vor den Bühnen geräumt. Da sind ungefähr 60 Prozent Männer und 40 Prozent Frauen im Einsatz, die angetrunkene Männer und Frauen dazu auffordern, das Festivalgelände zu verlassen. Und die Männer, die hören eher auf eine Frau, die sagt: „Komm, morgen ist doch auch noch ein Tag!“ Das finden die dann Klasse, dass da eine Frau als Security arbeitet und dann gehen die. Bei den Männern ist es eher so, dass dann die Diskussionen losgehen. Stil: „Lass mich doch das Bier noch austrinken!“

Das weiß man ja nicht nur vom Wacken, sondern auch aus der Sozialforschung: Ausgeglichene Teams haben ein hohes Deeskalationspotential.
Auf jeden Fall! Mir fällt auch schon länger auf, dass der Frauenanteil bei Festivals in allen Bereichen zunimmt. Im Produktions-Team genauso wie bei der Polizei, die vor Ort ist. Oder beim Roten Kreuz. Alle schwenken seit Jahren zu den Frauen rüber.

Warum?
Das sind einfach Erfahrungswerte. Es funktioniert besser. Außer im Bühnengraben. Wenn da ein Mann Stage-Diving macht, also sich mit seinem vollen Gewicht ins Publikum wirft, dann kann ich das die Mädels nicht auffangen lassen.

Du machst ja auch andere Konzert-Großveranstaltungen, von Iron Maiden bis hin zu Tokio Hotel. Gibt es da Probleme?
Nein. Ich habe bei allen Veranstaltungen eher das Gefühl, dass auf Frauen Acht gegeben wird. Da geht kein Mädel alleine durch eine riesige Menschenmenge auf Toilette. Die gehen zu zweit oder zu dritt oder es ist ein Mann dabei.

Hast du denn noch einen Wacken-Tipp für Frauen?
Ja. Packt Gummistiefel und Sonnencreme ein!

Das Gespräch führte Alexandra Eul

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Sexismus? Verpiss dich!

Sam Carter (li) und Drake machen es vor.
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Lange Zeit waren die Verhältnisse im Musik-Bizz noch in guter, alter Ordnung. Männer wie Frauen wussten Bescheid, wo ihr Platz ist. Letztere vor, erstere auf der Bühne. Der Schwanzvergleich in Songs war ein beliebtes Mittel von Rock bis Hip-Hop, um klar zu machen, wer hier - frei nach Rapper Haftbefehl - „der Babo“ ist. Also der Boss.

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Die Rocker soffen mit ihren „Rock Chicks“, wild und sexhungrig und am besten blutjung. Die Rapper kifften mit den „Hoes“, also mit ihren „Huren“. Ärsche und Titten in Nahaufnahme zählten zur Grundausstattung eines Musik-Videos in der Hauptrotation. In Clubs dancten Jungs und Mädchen ausgelassen zu Krachern wie „Lutsch meinen Schwanz!“ von Kool Savas.

Das alles sei natürlich ganz und gar nicht frauenfeindlich, sondern Kunst, fabulierten die Feuilletonisten unisono, die wahrscheinlich auch gerne mal so ein Babo wären.

Seit einigen Wochen nun ist dank #MeToo aus einer bösen Ahnung triste Gewissheit geworden: Alles, worüber die Babos so rocken und rappen, das machen die auch in echt. Aber das sind jetzt nicht nur Frauen leid, sondern auch manche Männer.

Plötzlich erleben wir Stars, die sich nicht etwa mit Chicks und Hoes brüsten, sondern sich als aufrechte Kämpfer gegen sexuelle Gewalt inszenieren. Zum Beispiel Sam Carter von der britischen Metalcore-Band „Architects“. Der Sänger hat im August auf dem Lowlands Festival im niederländischen Biddinghuizen seine Show unterbrochen. Und von der Bühne gebrüllt: „Ich bin es jetzt in meinem beschissenen Kopf ein paar mal durchgegangen, ob ich etwas sagen soll über das, was ich während des letzten Songs gesehen habe, oder nicht. Und wisst ihr was? Ich werde es verdammt nochmal sagen!“

https://www.youtube.com/watch?v=azMDukuPyT8

Und was sagte er? „Ich habe eine Frau beim Crowdsurfing gesehen, hier vorne. Und ich werde jetzt nicht auf dieses Stück Scheiße zeigen, der es getan hat. Aber ich habe genau gesehen, dass du ihr an die Brust gefasst hat. Das ist fucking widerlich und hier ist kein Platz für diese Scheiße!“

Die Fans jubeln, Frauen wie Männer. Und Carter legt nach, seine Stimme überschlägt sich jetzt fast. „Das ist nicht dein verdammter Körper, und du packst nicht einfach irgendwen ungefragt an! Nicht auf meiner beschissenen Show! Solltest du auf die Idee kommen, das nochmal zu machen, da hinten ist der Ausgang, verpiss dich und komm nicht wieder! Lasst uns alle dafür sorgen, dass das hier ein sicherer Ort für jede und jeden ist!“ Jubel!

Anti-Sexist Nummer 2 ist der kanadische Rapper Drake, ein Mega-Star, den besonders Mädchen toll finden. Auch ihm platzte jüngst während einer Show in einem Nachtclub in Sydney der Kragen. „Wenn du nicht sofort aufhörst, Mädchen anzutatschen, komme ich dahin und mach dich fertig!“, brüllte der Rapper ins Publikum und zeigte auf einen Typen. Ein Video davon geht durchs Netz. „I’m gonna fuck you up!“, droht Drake. Er wurde dafür von seinen Fans frenetisch gefeiert.

Nun munkeln kritische Stimmen, dass es sich bei dieser Drake-Nummer ja um bloße PR gehandelt haben könnte, nachdem die Jungs von den Architects so wahnsinnig gut weggekommen waren. Was soll frau da sagen? Umso besser! Wenn wir neuerdings in Zeiten leben, in denen Megastars die Welt nicht mehr mit Sexismus, sondern mit Anti-Seximus zupflastern, dann war‘s das hoffentlich für die Babos.

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