Nationaler Waldgipfel

Foto: Nautilusfilm/Universal
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Patient Wald: Der aktuelle Waldzustandsbericht hat ergeben, dass Trockenheit, Hitze, Schädlinge und Schadstoffe den Bäumen in Deutschland im Jahr 2019 stärker zugesetzt haben denn je. Zudem sind so viele Bäume abgestorben wie seit gut 20 Jahren nicht mehr. Insgesamt sei der Kronenzustand noch nie so schlecht gewesen wie jetzt, so der Bericht. Es muss also dringend was getan werden. Da schlägt die Stunde der Frauen.

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Bis Ende der 1970er-Jahre hatten Frauen im militärisch geprägten Forstwesen keine Chance. Über fast zwei Jahrhunderte hinweg waren Forstberufe von Vätern an Söhne vererbt worden, ganze Forstdynastien entstanden. Nur wer die Eignung zum Offizier nachweisen konnte und in Jägerbataillonen oder Schützenregimentern gedient hatte, war für die Laufbahn des höheren Forstdienstes befähigt. Und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1970er-Jahre hinein war ein absolvierter Wehrdienst äußerst hilfreich bei der Zulassung für den Beruf.

Angehende Fortbeamte wurde nach Kriterien der Wehrmacht auf Tauglichkeit getestet

Noch 1983 mussten sich in der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg alle Bewerber – Männer wie Frauen – seitens des Gesundheitsamtes für Forstbeamte anhand körperlicher Kriterien prüfen lassen, die auf Wehrmachtskriterien zurückzuführen sind. Zu den Disziplinen des Auswahllehrgangs gehörten außerdem: 1.000-Meterlauf, Kugelstoßen, Weitsprung und Fußballspielen. Waldforscherin Kühnel: „Auch Großstädter und Wehrdienstverweigerer wurden mit Vorliebe aussortiert, Forstmeistersöhne hingegen ausdrücklich bevorzugt.“

In den 1980er-Jahren versetzte das Waldsterben ganz Deutschland in Wallung, „Mein Freund, der Baum“ musste gerettet werden. Und Rettung ist bekanntlich Frauensache. Die ersten Frauen in Forstberufen tauchten in der BRD auf. In der DDR waren sie da übrigens schon da und sind bis heute selbstverständlich. Bis heute ist in Ostdeutschland jeder fünfte Förster weiblich. In Westdeutschland nur jeder zehnte.

Auf das Holz im Wald warten Sägewerke, Papier- und Zellstofffabriken, aber auch Großhandel und Bauhandwerk. Für 177 Milliarden Euro Umsatz im Jahr sorgen rund eine Million Beschäftigte. Die sind zu 90 Prozent männlich. Noch. Denn jeder dritte Studienplatz ist heute von Frauen belegt. Christiane Lorenz-Laubner, die zweite Vorsitzende des Vereins „Frauen im Forstbereich“ hat das im Blick. Die Revierförsterin im Harz ist zuständig für 1.700 Hektar Staatswald. Sie kämpft im Dauermodus gegen den Borkenkäfer, hin und wieder auch gegen sexistische Witze wie: „Was haben Frauen und Eichen gemeinsam? Ihren wahren Wert zeigen sie erst, wenn sie liegen.“

Von dem Wald, den wir kennen, müssen wir uns verabschieden

Nicht nur dem Wald geht es nicht gut. Die Übersäuerung aller Böden schreitet voran. Die hohen Stickstoffeinträge schlagen sich nieder. Der Klimawandel rast. Den Bäumen ist es zu warm. „Von dem Wald, den wir kennen, müssen wir uns über kurz oder lang verabschieden“, sagt Nicole Wellbrock. Die Forstwissenschaftlerin leitet im brandenburgischen Eberswalde den Arbeitsbereich „Bodenschutz und Waldzustand“ am Institut für Waldökosystem des Thünen-Instituts am Forschungsinstitut für ländliche Räume. Der Waldboden ist ihr Spezialgebiet – und gerade um den ist es nicht gut bestellt. „Wir bekommen das vom Borkenkäfer befallene Holz nicht schnell genug aus den Wäldern raus“, erklärt sie. Ein großflächiges Absterben stehe bevor. Die Fichte wird aus Mitteleuropa verschwinden. Die Kiefer hat mit der Nonne, dem Nachtfalter-Schädling, zu kämpfen auch die Eiche, eigentlich als sehr robuste Baumart bekannt, leidet unter Schädlingen.

„In Zukunft werden wir mediterrane Baumsorten pflanzen müssen, wenn wir überhaupt noch Wald haben wollen“, prognostiziert Nicole Wellbrock. Von Apokalypsen-Stimmung hält sie jedoch nichts: „Während wir in Deutschland mediterrane Bäume pflanzen, haben andere Länder ganz andere Probleme. Da wird es dann gar keine Bäume mehr geben.“ Alle drei Sekunden etwa verschwindet weltweit Wald in der Größe eines Fußballfeldes, macht in einer Stunde 1.200 Fußballfelder. Rund 80 Prozent dieser Flächen gehen in die landwirtschaftliche Nutzung, um Fleisch, Zellstoff, Kakao oder Soja zu erzeugen. Bis 2020 hätte sich das ändern sollen, versprachen 2010 rund 400 Konzerne. Doch nach wie vor steckt Waldzerstörung in den globalen Lieferketten.

Alle drei Sekunden verschwindet weltweit Wald in Größe eines Fußballfeldes

In Deutschland allerdings steht der Wind für den Wald gerade günstig. Jahrelang hat er einfach nur dagestanden. Das hat sich geändert, seit es Greta, „Fridays für Future“ und die Bestseller von Peter Wohlleben gibt. In seinen Büchern vermenschlicht der Förster die Natur, um sie den Menschen nahe zu bringen. Bei ihm haben Bäume Gefühle, sie kommunizieren miteinander. Und noch ein Beispiel. 1,3 Millionen Mal verkaufte sich Wohllebens Buch „Das geheime Leben der Bäume“, es ist ein internationaler Bestseller. „Waldbaden“ ist seither das neue Yoga.

An Wohlleben scheiden sich dennoch die (Wald-)Geister. Manche FörsterInnen sehen in ihm in erster Linie einen „geschickten Selbstvermarkter“ und lehnen die „Vermenschlichung“ der Natur ab. Andere hingegen finden, dass der deutsche Wald den schreibenden Förster gerade sehr gut gebrauchen kann. Und die Frauen auch. Die wollen jetzt wieder den Wald retten.

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