Waren die Brüste schuld?

Sabeth Blank. Foto: privat
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Die Schwierigkeiten in der Pubertät haben für mich damit begonnen, dass ich Brüste bekommen habe. Und diese Probleme habe ich auf meine Brüste projiziert, die damit eigentlich gar nichts zu tun hatten.

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Ich kam in einer bayerischen Kleinstadt aufs Gymnasium und kam dort nicht klar. Die Schule war wahnsinnig leistungsorientiert, das Menschliche fiel hinten runter. Ich war immer sehr jungenhaft und bin damit dort heftig angeeckt. Die Jungen wollten nicht mehr mit mir spielen und nichts mehr mit mir zu tun haben. Mit den Mädchen kam ich aber auch nicht klar. Und ich dachte, ich werde beliebter, wenn ich femininer auftrete. Ich habe mir dann extra Mädchenklamotten gekauft und lange Haare getragen.

Offen lesbisch zu sein, das wäre ein zusätzliches Problem gewesen

Mit elf habe ich mich zum ersten Mal in ein Mädchen verliebt. An der Schule gab es niemanden, der oder die offen lesbisch, schwul oder bisexuell war. Offen lesbisch zu sein, wäre noch ein zusätzlicher Problemfaktor gewesen.

In dieser Zeit wurde ich magersüchtig. An manchen Tagen habe ich dann an mir runter auf meine Brüste geschaut und gedacht: Das ist zusätzliches Fett, das muss weg!

Ich hatte auch große Probleme mit BHs. Für mich gab es aber keine Erwachsenen, mit denen ich mich darüber austauschen konnte. Das wurde immer beiseite gewischt, es hieß immer: „Frauen müssen da halt durch!“

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Ich hatte eigentlich körperlich ein neutrales Gefühl zu meinen Brüsten. Aber der Effekt, den sie auf andere Leute hatten, der hat mich genervt. Ich kam ja eher wie ein Junge rüber. Dann wurden mir immer Technik-Sachen erklärt, also zum Beispiel, wie man Reifen wechselt oder was zusammenlötet. Und Technik interessiert mich total. Aber sobald die Leute gemerkt haben, dass ich eine Frau bin, haben sie damit aufgehört. Auch dafür habe ich meinen Brüsten die Schuld gegeben.

Ich habe dann mit 18 eine junge Frau aus Ungarn kennengelernt. Sie war lesbisch und deshalb bei ihrer Familie rausgeflogen. Sie lebte auf der Straße. Die erklärte mir, dass sie trans sei. Und das hat bei mir den Gedanken gesät, dass ich auch trans sein könnte. Weil es leichter wäre, den Alltag als Mann zu bestreiten.

Ich lebte inzwischen in Berlin und wollte mir dort einen Psychotherapeuten suchen, mit dem ich das besprechen kann. Es war aber eine echte Herausforderung, einen zu finden, und es ist mir nicht gelungen. Ich bin dann in eine Transmann-Selbsthilfegruppe gegangen und habe beim Gericht den Personenstandswechsel beantragt. Der erste Gutachter hat mich durchaus ausführlich zu meiner Kindheitsgeschichte befragt. Er kam dann zu dem Schluss, dass mir eine Vornamensänderung womöglich helfen würde, war aber dagegen, dass ich chirurgische Eingriffe machen lasse. Das hat er aber nicht in das Gutachten geschrieben.

Nachdem ich zwei Jahre Testosteron genommen hatte, dachte ich, es müsste jetzt der nächste Schritt der Transition sein, auch die Mastektomiezu machen. Die Transmänner in der Selbsthilfegruppe haben immer sehr begeistert von ihrer Mastektomie geredet. Der eine Teil der Gruppe hatte die Mastektomie schon machen lassen und der andere plante sie.

Für die Mastektomie habe ich versucht, eine Indikation zu bekommen, damit sie von der Krankenkasse bezahlt wird. Ich habe dann aber keinen Therapeuten gefunden. Eine Klinik hat mir trotzdem einen Termin gegeben und für die Krankenkasse ein Vorgespräch bescheinigt, das gar nicht stattgefunden hatte. Die Krankenkasse hätte sehr wahrscheinlich abgelehnt, die Kosten zu übernehmen, weil ich keine Therapie gemacht hatte. Ich habe deshalb die Klinik gefragt, ob sie auch Selbstzahler akzeptiert. Die 5.000 Euro für die OP musste ich im Voraus überweisen.

Die Klinik hat mir die OP-Risiken per Post zugeschickt. Ich habe die Zettel überflogen und unterschrieben. In der Klinik kam ich nochmal ins Nachdenken. Aber ich dachte: Du hast die 5.000 Euro schon bezahlt, du kannst jetzt nicht mehr zurück.

Am nächsten Morgen wurden vor der OP die Schnitte auf die Haut aufgezeichnet. Ich wurde gefragt, ob ich die großen oder die kleinen Schnitte haben will. Bei den kleinen Schnitten wird um die Brustwarze herum geschnitten. Sie wird gestelzt, das heißt, die Nervenenden werden nicht durchtrennt. Dann wird das Gewebe aus der Brust genommen. Bei den großen Schnitten wird unten an der Brust ein großer Schnitt gemacht. Dann wird das Gewebe rausgenommen und die Haut runtergezogen, damit die Brust ganz flach wird. Die Brustwarze wird abgeschnitten und dann an anderer Stelle wieder aufgesetzt.

Ich habe mich für die großen Schnitte entschieden. Was eigentlich absurd war, weil ich so eine kleine Oberweite hatte. Aber der Chirurg war dafür bekannt, dass er die großen Schnitte besser beherrscht als die kleinen. Und in der Transmann-Gruppe hieß es, dass sie für das männliche Erscheinungsbild besser wären.

Viele Transmänner berichten ja, dass sie nach der OP total euphorisch waren. Das Gefühl hat bei mir nie eingesetzt. Ich habe an mir runtergeschaut und fand es nicht gut und auch nicht schlecht. Bei meinen sexuellen Erfahrungen vor der OP hatten meine Brüste keine große Rolle gespielt, das habe ich also nicht wirklich als Verlust empfunden. Aber ich habe noch lange daranzu beißen gehabt, dass mir die Sensibilität in der Brust fehlte. Das hat bei mir schon eine Art Panikgefühl ausgelöst.

In der Nacht nach der OP musste ich dringend zur Toilette, bin ruckartig aufgestanden und habe eine Nachblutung bekommen. Das tut enorm weh und kann lebensgefährlich sein. Ich musste dann nochmal operiert werden. Als ich in der Transmann-Gruppe von der Nachblutung erzählt habe, haben plötzlich auch andere Transmänner von ihren medizinischen Problemen erzählt.

Plötzlich haben auch andere Transmänner von Problemen nach den OPs gesprochen

Ich habe nach der Mastektomie sehr schnell gespürt: Dadurch, dass ich mir ein Körperteil abgetrennt habe, geht es mir nicht besser. Ich habe zu dieser Zeit das Buch „Träume in den erwachenden Morgen“ von Leslie Feinberg gelesen (In dem Buch beschreibt Feinberg ihr Leben als Butch, also maskuline Lesbe in den USA der 1960er Jahre, Anm. d. Red.). Und ich dachte: Hättest du das mal früher gelesen! Ich hatte ja keine Vorbilder. Denn alle Butches, die ich in Berlin kennengelernt hatte, waren gerade dabei zu transitionieren.

Ich habe dann meine Personenstandsänderung wieder rückgängig gemacht. Seit vier Jahren lebe ich nun wieder als Frau. Ich trage jetzt wieder BHs, mit Schaumstoff-Einlagen. Erstens passt es für mich sonst mit der Optik nicht und zweitens komme ich mit dem Gefühl nicht klar, wenn das T-Shirt direkt auf der Haut reibt.

Die Mastektomie ist jetzt sieben Jahre her, aber ich habe in der einen Seite immer noch Schmerzen. Wenn ich Menschen sexuell begegne, sage ich vorher nicht, dass ich eine Mastektomie hatte. Bisher war das in Ordnung. Wenn er oder sie da komisch reagieren würde, dann wäre die Person halt falsch für mich. Wenn ich meine Brüste zurückhaben könnte, dann nur, wenn das Gefühl wieder da wäre.

Mir hätte es damals geholfen, meine Brüste zu mögen, wenn ich über das Thema Brüste hätte offen reden können. Vom BH bis zu den Typen, die einem draufstarren. Und wenn man mir gesagt hätte, dass ich so, wie ich bin, als Frau in Ordnung bin, dann hätte ich die Transition nicht gemacht.

Ein Streifzug durch die Kulturgeschichte der Brüste und durchs Leben in unserem 17-seitigen Dossier der aktuellen EMMA!

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