Alice Schwarzer schreibt

Romy: Bis heute ein Frauenidol

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Ich komme aus einer kinosüchtigen Familie, in der Mutter und Großmutter am liebsten zwei-, dreimal die Woche ins Kino gingen. Und ich eiferte ihnen nach. Doch Romys Sissi-Filme gehörten nicht zum Familien-Repertoire, die fanden wir „kitschig“. Erst nach Romys Tod habe ich die damals 16-Jährige als Kaiserin Sissi gesehen und begriffen, dass diese Rolle zu Recht ihren Weltruhm begründet hat: diese Präsenz, diese Frische, dieser Charme! Ich habe also nie für Romy Schneider geschwärmt. Was es mir vermutlich leichter gemacht hat, zwar mit Mitgefühl aber doch auch der nötigen Distanz auf sie zu blicken.

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In den Jahrzehnten darauf wurde Romy Schneider einer der drei deutschen Weltstars des Cinemas, nach Marlene Dietrich und Hildegard Knef. Wobei alle drei nicht etwa in Deutschland, sondern erst im Ausland zu wirklichen Stars wurden – und alle drei lebenslang an Deutschland gelitten haben.

Von Anbeginn an habe ich Romys Weg mit Interesse und Sympathie verfolgt. Denn sehr schnell wurde klar, dass Romy die projektierte Verkörperung aller deutschen Frauenklischees der Nachkriegs-Jahrzehnte ist: von der Jungfrau über das Luder bis hin zur reuigen Mutter. Das hatte auch sie klarsichtig erkannt und immer wieder versucht, sich davon zu befreien. Ihre mit sich selbst so schonungslosen Interviews und hinreißend sarkastischen Briefe legen Zeugnis davon ab.

Ab den 60er-Jahren sah ich, trotz aller Unterschiede, gewisse Gemeinsamkeiten: unsere Liebe zu Frankreich, das schwere deutsche Herz – und später den Zorn über den Umgang der Medien. „Wir sind die beiden meistbeschimpften Frauen Deutschlands“, hat Romy 1976 in einer unserer durchredeten langen Nächte zu mir gesagt. So war es – und so wäre es vermutlich immer noch, auch für sie, wäre sie nicht so bedrückend jung gestorben. Ihr überraschender Tod im Alter von nur 43 ist nun schon über 30 Jahre her.

Doch noch immer laufen die Filme mit Romy Schneider im Fernsehen, gibt es keine deutsche Weihnacht ohne Tanne & Sissi, und schlagen zu ihrem 75. Geburtstag am 23. September 2013 die Wogen im TV und in den Feuilletons vielleicht ein letztes Mal hoch. Dabei schwingt noch immer viel Kitsch mit. Genau der Kitsch, vor dem Romy ein Leben lang geflohen ist, aber den sie auch selber immer wieder produziert hat. Denn wahr ist ja: Romy Schneider war mutig und ängstlich zugleich; sie war revoltiert und angepasst, sie war hochbegabt und von Selbstzweifeln zerfressen.

Und genau diese Zerrissenheit, ihr offenes Leiden daran und dessen Umsetzung in ihren Rollen ist es, was ihren Mythos begründet. Da ist Romy durchaus mit Marilyn Monroe vergleichbar. Nicht zufällig schwärmen vor allem Frauen für sie. Was nicht nur an Romys erotischer Ausstrahlung liegt, die sich von Anfang an an beide Geschlechter gerichtet hat, sondern auch an ihrer so modernen Zerrissenheit als Frau: Romy Schneider ist sehr früh und sehr öffentlich den Weg gegangen, auf den sich so viele Frauen erst heute und klammheimlich machen.

Die junge Rosemarie Albach, nach ihrer Mutter Schneider genannt, hatte sich schon in den 50er-Jahren von einer besitzergreifenden Mutter und einem übergriffigen Stiefvater emanzipiert; sie hat immer wieder den Bruch und Ausbruch gewagt, doch nie ihre Sehnsucht nach Kontinuität und Sicherheit stillen können. Sie war Schauspielerin in der vierten Generation und entdeckte noch vor der Leidenschaft für die Liebe die Leidenschaft für den Beruf. Doch bis zu ihrem Tod sollte es ihr nicht gelingen, beides zu vereinbaren. Im Gegenteil, sie hat auf beiden Seiten Konzessionen gemacht, hat die meist windigen Männer an ihrer Seite mit fest geschlossenen Augen idealisiert und auch so manchen Film gedreht, der sein Niveau ausschließlich ihrer außergewöhnlichen schauspielerischen Leistung zu verdanken hatte.

Wir hatten erstmals im Jahr 1971 Kontakt. Damals ging es um ihre Unterschrift zu dem Appell der 374 („Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu“). Sie hat dabei sehr selbstverständlich und sehr mutig mitgemacht. Doch erst 1976 sind wir uns auch begegnet. Ich habe – nicht zufällig – Romy für die erste Ausgabe von EMMA porträtiert. Wofür ich damals nicht nur vom Kölner Frauenzentrum äußerst herb gerügt wurde: Statt mit so einem „Star“ zu sprechen, hätte ich gefälligst mit Fließbandarbeiterinnen zu reden (Was ich natürlich auch schon längst, und nicht nur einmal, getan hatte). Damals war eben im Feminismus die Reflektion über die Funktion von Idolen noch nicht angesagt. Hinzu kam die dogmatische Ausblendung der so genannten „bürgerlichen Frau“.

Ne me trahis pas! Romy zu Alice

Nach Romys allseits gefleddertem Tod am 29. Mai 1982 habe ich dann 15 Jahre gewartet, bis ich mich wieder auf ihre Spuren begeben habe. Doch ihr Leben wie ihr Mythos haben mir keine Ruhe gelassen. Sie scheint mir die Inkarnation von allem, was wir Frauen waren – und was wir sein wollen. Sie ist ein Exempel für die Chancen und Grenzen der „weiblich“ identifizierten Frau.

Romy verfolgte mich übrigens über dieses Buch hinaus. Gerade hatte ich damals die letzten Zeilen geschrieben, da entdeckte ich nur Stunden später in den Tiefen einer Schublade das zuvor vergeblich gesuchte Tonband mit unserem Gespräch vom Dezember 1976 wieder. Nicht ohne Beklommenheit drückte ich auf die Abhörtaste – und der erste Satz, der mir mit tiefer, melodischer Stimme entgegenschlug, lautete: „Ne me trahis pas!“ Verrate mich nicht. (Wir sprachen Deutsch und Französisch miteinander.)

Ich muss gestehen: Der Satz ist mir bis ins Mark gedrungen. Mit klammem Herzen habe ich alles stehen und liegen lassen und mein Manuskript noch einmal in einem Zug durchgelesen, von der ersten bis zur letzten Seite. Hatte ich Romy verraten? Gab es eine Stelle, an der ich ihr Unrecht tat? Mir scheint: Nein. Dennoch höre ich seither nicht auf mich zu fragen: Was hätte sie wohl zu meiner Biografie über sie gesagt?

Alice Schwarzer: "Romy Schneider - Mythos und Leben" (Kiepenheuer & Witsch, TB, 10 €). Im EMMA-Shop kaufen

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