Der Kronprinz im Cockpit
Ich bin Arbeits- und Organisationsspychologin und habe mehr als zehn Jahre für verschiedene Fluglinien gearbeitet, dabei mehrere Katastrophen mit durchstehen müssen (9/11, den Concorde-Crash und andere). Ich schreibe also als jemand, der Gelegenheit hatte, viele Eindrücke zu sammeln.
Ich finde, viele Bereiche der Flugbranche sind gelungen und vorbildlich. Traditionell jedoch geht es dort streng hierarchisch zu. Das zeigt sich nicht nur beim Gehalt. Besonders bei den vergünstigten Flügen, den so genannten „Billigfluglinien“, steht das Bodenpersonal in der Hierarchie weit unten - und das im Contact Centre noch darunter. Bei den FlugbegleiterInnen wird zwischen Langstrecke und Kurzstrecke unterschieden, das Renommé ist abhängig von Erfahrung und in welcher Kabine sie arbeiten: der First-, Business- oder Holzklasse. Die Piloten stehen in dieser Pyramide sehr weit oben.
„Cockpit is called cockpit, because it is a pit of cocks.” (Cock ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für Penis, ein Cockpit hier also "eine Grube voller Penisse".) - "Was trennt zwei Alkoholiker von fünf NymphomanInnen?“ "Die Cockpittür." So tönt es in klassischen Branchenwitzen.
Die Flugbranche ist streng hierarchich. So entstehen blinde Flecken.
Auch diese Klischees der Branche sind nicht aus der Luft gegriffen. Es ist die klassische Konstellation, dass ER Pilot und SIE Flugbegleiterin ist. Und das verursacht mitunter auch ganz schöne Stutenbissigkeit. Den angehenden Piloten winkt nicht nur ein fettes Gehalt, sondern auch Status und freie Auswahl bei den Damen. Einer Pilotin hingegen mag zwar ein fettes Gehalt winken, plus Exotenstatus. Aber die freie Auswahl dürfte für sie etwas dünner ausfallen.
Es mag ja sein, dass beim Eingangstest jeder Einzelne auf Herz und Nieren geprüft wird. Aber hat mal jemand daran gedacht, inwieweit einem die Behandlung, als sei man „ein Kronprinz" (Zitat eines Piloten in Ausbildung) oder die "DNA der Fluglinie" (Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr), zu Kopf steigt?
Ich denke an ein Gespräch mit einem heterosexuellen männlichen Flugbegleiter. Er sagte, dass er sich jetzt für die Pilotenausbildung beworben habe, weil er „auch mal wieder ein Date möchte“. Neben den Piloten sei er einfach Luft, in der Hierarchie zu weit unten und daher uninteressant. Er bemerkte auch, dass er, nun da er eine Einladung zum Auswahlverfahren bekommen habe, prompt angebaggert wurde. "Jetzt bin ich ja zumindest potenziell Pilot", bemerkte er trocken.
All das sind Dinge, die beim Auswahlverfahren nicht berücksichtig werden und auch nicht von älteren, erfahreneren Piloten erkannt werden, da sie an dieser Stelle einen blinden Fleck haben (müssen).
In dieser Atmosphäre bleibt kein Raum für einen Piloten, irgendwie durchblicken zu lassen, dass er mit einer stigmatisierenden Krankheit bestückt ist. Er würde sich damit ins Aus katapultieren, zu den Verlierern gehören.
Mehr Frauen vorne im Flugzeug würden sicher helfen, diese Situationen aufzuweichen. Sie könnten eine andere Art aufzeigen, wie zum Beispiel Aggressionen kanalisiert werden können (ist ja nicht so, dass Frauen keine Aggressionen hätten). Mehr Pilotinnen wären also wünschenswert. Nicht nur um den Gendergap zu schließen, sondern auch, um einen anderen Umgang ins Cockpit zu bringen.