Was hat Harald gegen Medienstudien?
Ich muss diesen Text mit einer Art -Geständnis beginnen: Tief in meinem Inneren haust ein Mann. Ich glaube, seine Hautfarbe ist weiß, meistens ist er nett, aber manchmal hat er auch schlechte Laune. Dieser mein innerer Seelenmann hat eine gewisse Empathie, wenn es um das Gefühl geht, von Feministinnen bevormundet zu werden. Er mag es nicht, wenn man ihm Dinge vorrechnet, er hat etwas gegen Begriffe wie „Bewusstseinsveränderung“, „gesellschaftliche Strukturen“, und beim Wort „Patriarchat“ lacht er schnaubend auf. Er findet das alles ein bisschen albern, an der Grenze zum Paranoiden, er ist kein Aktivist.
Mein innerer Seelenmann ist nicht bösartig, ich glaube, er würde sogar von sich sagen, dass er Feminist ist. Er ist ein relativ reflektierter innerer Seelenmann. Er weiß zum Beispiel, dass es ein doofes Klischee ist, Feministinnen zu unterstellen, dass sie schlechtgelaunt und aggressiv seien. Aber dann wieder merkt er, dass er die jüngeren Feministinnen meistens sogar da am doofsten findet, wo sie lustig sein wollen. Dieser ganze Internethumor ist einfach nicht seins. Er mag gerne Thomas Bernhard und Neunziger-Jahre-Sitcoms, bei sowas kann er lachen. Er raucht, er seufzt. Manchmal denkt er, er wird alt.
Am 12. Juli saß ich vor dem Bildschirm in meiner Redak-tion und starrte auf die Homepage des ZDF, mein innerer Seelenmann war gerade aufgewacht und schaute mit. „Guten Abend, Frau Furtwängler“, sagte der ZDF-Heute-Moderator Claus Kleber. „Guten Abend, Herr Kleber, hallo“, sagte die Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler.
Ich bin, trotz meines inneren Seelenmannes, selbst noch recht jung und sehr digital, ich gucke selten Fernsehen und weiß nicht so genau, wie die Interviews beim „ZDF Heute Journal“ normalerweise ablaufen. Aber dieses hier erschien mir doch außergewöhnlich. Es ging um eine Studie, die Maria Furtwängler mit ihrer MaLisa-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. Ziel der Studie war es gewesen, herauszufinden, wie es um die Repräsentation von Frauen in Kino und Fernsehen bestellt ist. Die letzte große deutsche Untersuchung dieser Art ist anscheinend schon zwanzig Jahre her, in Bezug aufs Kinderfernsehen zehn Jahre.
In dem Gespräch zwischen Kleber und Furtwängler ging es kaum um die Ergebnisse der Studie, daher hier eine kurze Zusammenfassung: Frauen sind unterrepräsentiert. Statistisch kommt in Kino- und Fernsehfilmen aus Deutschland auf zwei männliche Protagonisten eine Frau in einer Hauptrolle. Nur in -Soaps und Telenovelas gibt es eine halbwegs gleichmäßige Geschlechterverteilung. Auch in Informationssendungen sind Frauen unterrepräsentiert. Männer überwiegen als Sprecher (72 Prozent) und in Expertenrunden (79 Prozent).
Am 12. Juli also saß ich vor dem Bildschirm, mein innerer Seelenmann streckte und reckte sich, gleichzeitig ging Claus Kleber in eine freundliche, aber forsche Investigativpose. Meinen inneren Seelenmann beeindruckt so etwas, er war auf einmal hellwach; ich sage ihm in solchen Situationen immer: „Harald, reiß dich zusammen! Hör dir lieber mal an, was die Frau zu sagen hat.“
Die Frau, also Maria Furtwängler, wurde aus Berlin zugeschaltet, neben ihr flatterte eine Deutschlandfahne im Wind, ihre Gesichtszüge wirkten entspannt, aber auch kriegerisch, wie nach einer Schlacht. Wusste sie, dass ihr die Schlacht erst bevorstand? Kleber drehte sich zum Furtwängler-Bildschirm, mit dem Rücken zu mir und dem Seelenmann, Furtwängler lächelte vertraulich, als würde man sich ganz gut kennen und es sei jetzt ein bisschen lustig, dass man diese Unterhaltung führt.
Aber Kleber war in einer anderen Stimmung, er hob an und schon im ersten Moment schwang, neben Vertrautheit, auch ein gewisser subtiler Hohn in seiner Stimme, als er sagte: „Sie schauen ja nicht nur Fernsehen, sie machen es auch. Sie kennen das Business. Wozu brauchten Sie Zahlen aus dieser Analyse oder haben Sie eine Agenda damit?“
So. Mit dieser Frage, mit dem dräuend betonten Wort „Agenda“, entstand die Schieflage des ganzen Interviews, denn Maria Furtwängler geriet, obwohl sie äußerlich völlig ruhig blieb, in eine rhetorische Eierei, indem sie beteuerte: „Nein, Agenda wär wirklich zu weit, zu hoch gegriffen. Ich würde definitiv sagen, wie viele andere hatte ich ein diffuses Gefühl, ein Gefühl, irgendwas ist hier, es gibt hier ne Unwucht, ein Ungleichgewicht, aber wie viele andere hatte ich einfach das Bedürfnis, dem mal Fakten und Zahlen gegenüberzustellen, ich bin ja sozusagen in meinem Vorleben als Ärztin durchaus als Wissenschaftlerin an Zahlen und Fakten interessiert und das war eigentlich der Anlass, zu sagen: Wie sieht es denn eigentlich tatsächlich aus?“
Das Interview haben seitdem einige kluge Kommentatorinnen analysiert. Die Feministin und Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski etwa schrieb, wenn man den Satz mit der Agenda ersetzt hätte durch die Frage „Haben Sie eine Ahnung, dass hier im Moment was schiefläuft?“, dann hätte Furtwängler antworten können: „Um Himmels Willen, natürlich!“ Und eine Journalistin des feministischen Onlinemagazins Edition F erklärte Klebers Strategie als „Framing“ – indem er Furtwängler Begriffe wie „Agenda“ (und, später im Interview) „Umerziehung“ entgegendrosch, ging sie in die Falle der Selbstverteidigung: Qui s’excuse s’accuse. Es war ein unwürdiges und erstaunliches Schauspiel, ich ärgerte mich für sie und über ihn: Wie kann er so borniert sein? Wie kann man überhaupt so drauf sein?
Gleichzeitig war da Harald, mein innerer Seelenmann. Er hatte natürlich Verständnis für Kleber, er ist überhaupt ein großer Kleber-Fan, seitdem der Moderator 2015 im Fernsehen geweint hat wegen des Busfahrers in Franken, der die Flüchtlinge mit „I have an important message for all people from the whole world in this bus. I want to say welcome. Welcome to Germany, welcome to my country. Have a nice day!“ begrüßt hatte.
Harald findet es stark, wenn andere Männer Gefühle zeigen. Emotionen sind für ihn eine harte Währung und er dachte, wenn der Kleber sich so aufregt, dann ist da doch irgendwas dran. Kleber kriegte Harald vor allem mit dem Argument, dass es in Kino und Fernsehen um „Traumwelten“ geht und dass man die ja schlecht einfach mit einer „Geschlechterproporzgeschichte überziehen“ kann.
Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn Furtwängler Gelegenheit bekommen hätte, ihr Argument besser zu entfalten, hätte sie Harald vielleicht überzeugen können, aber so blieb sie die Anschauung schuldig, warum genau das jetzt „eigentlich nicht in Ordnung“ ist, wenn Frauen so unterrepräsentiert sind. „Es geht doch hier um Fiktion“, sagte Harald, wo wären wir denn heute kulturgeschichtlich, wenn man den Künstlern und Künstlerinnen der Vergangenheit gesagt hätte, dass das jetzt aber wirklich nicht okay ist, wenn sie sich schon wieder einen Mann ausdenken. Dann sagte Harald noch, dass er es wirklich vollkommen lächerlich fände, Benjamin Blümchen zu gendern. Bei der Studie war nämlich auch rausgekommen, dass Monster und Tiere in Kinderfilmen überdurchschnittlich häufig männlich sind. Und warum man das jetzt in Zahlen zum Ausdruck bringen müsse? Sei das nicht eine unzuverlässige Verquickung zweier Sphären, die sich diametral gegenübergestellt seien? Harald ist eloquent.
„Ach Harald“, sagte ich. „Aber es ist doch 2017. Dinge ändern sich, und wenn die Menschen niemand darauf aufmerksam macht, dass Dinge anders sein könnten, dann können sie auch nicht umdenken. Und mit Zahlen kann man halt besser argumentieren. Dann musst du nicht immer nur sagen ‚Ich habe irgendwie das Gefühl‘.“
Harald wollte wissen, warum hier überhaupt davon ausgegangen würde, dass eine paritätische Besetzung per se sinnvoll sei – das mache doch noch lange keine gute und im Übrigen auch keine feministische Kunst. Ich sagte Harald, dass es darum doch gar nicht gehe und wenn er Frau Furtwängler zugehört hätte, dann hätte er auch gehört, wie sie über „Wonder Woman“ sprach und dass es ein riesiger Unterschied sei, ob es weibliche Figuren gebe, mit denen man sich identifizieren kann.
Dann flüsterte ich Harald aber noch zu, dass ich da auch nicht so streng wäre, ich würde mich nie irgendwo hinstellen und sagen: „79 Prozent Männer! Da läuft doch etwas schief.“ Aber ich sagte auch, dass ich froh bin, dass Frau Furtwängler es tut, denn irgendjemand muss es ja tun und gerade Kino und Fernsehen seien ja keine „reinen“ fiktionalen Räume, sondern es ginge hier um Arbeitsverträge, Gremien, Besetzungspolitik und so weiter und da sei es doch nur sinnvoll, wenn man eine objektive Argumentationsgrundlage habe. Harald schwieg. Das macht er manchmal, wenn ihm nichts mehr einfällt.
Fünf Tage später gehen Harald und ich zu einer Party im Kanzleramt, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters veranstaltet, um die Ergebnisse des Runden Tischs „Frauen in Kultur und Medien“ vorzustellen. Das Motto: -#weiles2017ist, die Abwandlung eines Zitats des kanadischen Premierministers Justin Trudeau, der auf die Frage, warum sein Kabinett zur Hälfte aus Frauen bestehe, einmal antwortete: „Weil es 2015 ist.“
Es hat auch eine Studie des Kulturrats gegeben. Harald und ich erfahren, dass der „Gender Pay Gap“ immer noch 24 Prozent beträgt, dass, je höher die Hierarchie, desto geringer der Frauenanteil ist. Wir erfahren, dass der Frauenanteil bei den Bühnenleitungen von 19 auf 22 Prozent gewachsen ist, bei Musikvorständen von 13 auf 22 Prozent, im Bereich Regie/ Spielleitung von 20 auf 30 Prozent, bei der Leitung von Zentral- und Landes-bibliotheken von 17 auf 43 Prozent.
Es ist eine schwungvolle Party, dutzende Kulturschaffende stellen sich in einer Art Bekenntnis- chor auf der Bühne am Fuß der amphitheatralischen Kanzleramtstreppe auf und verkünden, was sie alles zu tun gedenken, um Frauen in Kultur und Medien zu mehr Gleichberechtigung zu verhelfen. Außerdem will Frau Grütters ein „Kulturfrauenzimmer“ einrichten. Und weil sie so dynamisch ist und so gut gelaunt und so kämpferisch, gehen Harald und ich beschwingt nach Hause. Dort beginne ich langsam, mich zu fragen, ob ich gerade eigentlich irgendetwas gelernt habe und was genau jetzt verändert werden soll. Vor dem Einschlafen meint Harald zu mir, dass er Frau Grütters irgendwie lieber mag als Frau Furtwängler und dass er gerne mal im Kulturfrauenzimmer vorbeischauen würde. Ich sage ihm: „Ja, Harald, das machen wir!“ Wir schlafen ein, erschöpft, zufrieden. Wir sind beide nicht so die Kämpfertypen.
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