In der aktuellen EMMA

Was passiert in den Kitas?

Mit diesen Puppen zum Anfassen sollen kleine Kinder die Körper von Transmenschen kennenlernen. FOTO: Waltraud Grubitzsch/dpa
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Eine Kita in Duisburg, Sommer 2023: 15 Eltern sind entsetzt. Ein sechsjähriger Junge hat Kinder genötigt, anderen Kindern in den Mund zu urinieren und Käfer, Stöcke und Pflanzen in Penis, Po und Scheide einzuführen. Das jüngste Opfer soll gerade mal drei Jahre alt sein. Zunächst heißt es von der Kita-Leitung, das seien „normale Doktorspiele“. Doch Sabine M., Mutter eines fünfjährigen Jungen, der auch betroffen war, sagt: „Hier geht es nicht um Doktorspiele, wir reden über sexualisierte Gewalt. Aber weder die Kita noch der Träger ist bereit, diese Vorfälle aufzuarbeiten.“ Sabine M. und die anderen Eltern haben das Jugendamt eingeschaltet, das Verfahren läuft.

Eine Kita in Leipzig, Winter 2023: In einer sogenannten „Kuschelhöhle“ ist es mehrfach zu sexuellen Übergriffen von älteren Kindern an jüngeren gekommen. Drei sechsjährige Jungen haben kleineren Kindern ihre Finger und Bleistifte in Po und Scheide gesteckt. Das jüngste Kind, ein Mädchen, ist zwei Jahre alt. Bei einem vierjährigen Jungen wurde der Darm perforiert. Auch hier läuft ein Verfahren. Und Eltern fragen: „Warum muss eine Kita eine Kuschelhöhle haben, die von den Erziehern scheinbar nicht im Auge behalten werden kann?“ Dies sei Teil des „sexualpädagogischen Konzepts“, heißt es von der Kita-Leitung.

Warum müssen Kitas plötzlich sexualpädagogische Konzepte vorweisen?

Eine Kita in Kerpen, Januar 2024: Ein Kindergarten gerät in die Schlagzeilen, weil er seinen Kindern einen „Masturbationsraum“ angeboten hatte. Genau wie die Leipziger Kita führte auch die Kerpener Kita das „sexualpädagogische Konzept“ als Begründung für die aufgebrachten Eltern an. Einzelne Kinder durften sich „ihren Bedürfnissen entsprechend in einen geschützten Raum zurückziehen, um sich körperlich zu entdecken und zu befriedigen“, hieß es. Auf Seite 13 des „sexualpädagogischen Konzepts“ (das der Redaktion vorliegt) heißt es explizit über Zweijährige: „Das Kleinkind erforscht seine Genitalien und auch die Genitalien der Bezugsperson (Mutter, Vater, Geschwister). Dieses Verhalten entspricht dem kindlichen Neugierverhalten und sollte in der Auslebung nicht verhindert (verboten oder unterbunden) werden.“

Ähnliche Formulierungen finden sich im „sexualpädagogischen Konzept“ einer Kita der Arbeiterwohlfahrt in Hannover, die im Mai 2023 einen „Körpererkundungsraum für sexuelle Spiele“ angekündigt hatte und in letzter Minute vom Jugendamt gestoppt wurde. Und auch im Konzept des katholischen Kindergartens „Maria Königin“ in Tennenbronn im Schwarzwald schreibt das „sexualpädagogische Konzept“ solche Räumlichkeiten vor. Im Schwarzwald gingen Eltern so lange auf die Barrikaden, bis die Kita-Leitung von dem Konzept abrückte. In einem aktuellen Kita-Konzept aus dem Erzbistum Köln heißt es: „Das Zulassen von Selbstbefriedigung ist für den Aufbau der Ich-Identität und für ein gutes Körperbewusstsein von großer Bedeutung.“

Richtig. Sie sollte möglich sein und nicht sanktioniert werden. Aber muss sie bei Kindern aktiv gefördert oder sogar gefordert werden? Dass Kitas Rückzugsräume für Kinder haben, ist nicht neu. Auch ist ein zugrunde liegendes „sexualpädagogisches Konzept“ kein Novum. Doch warum sind sie zurzeit in aller Munde?

Das liegt am Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das 2021 verabschiedet wurde. Dadurch wurden Kitas und Jugendeinrichtungen verpflichtet, bis August 2024 Gewaltschutzkonzepte zu entwickeln und zu implementieren. Ein großer Bestandteil davon sind „Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt“. Viele Kita-Leitungen griffen daher auf „sexualpädagogische Konzepte“ zurück, die schon länger im Umlauf sind und zum Teil auch durch die „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ (BZgA) erstellt wurden, oder sie schrieben eigene Konzepte. Welche konkreten inhaltlichen Anforderungen die Konzepte zu erfüllen haben, wurde durch das Gesetz nicht festgelegt.

„Wir sehen also einen föderalistischen Flickenteppich und Kita-Leitungen, die sogenannte sexual­pädagogische Konzepte vorlegen müssen, ohne sich je tiefergehend damit befasst zu haben“, sagt die ­Präventionstrainerin Josefine Barbaric. Seit neun Jahren setzt sich die Pädagogin mit ihrem gemeinnützigen Verein „Nein, lass das!“ für Kinderschutz ein, betreibt Präventions- und Aufklärungsarbeit, berät bundesweit pädagogische Einrichtungen, Initiativen, Fachleute, PolitikerInnen. Sie kritisiert scharf, dass der Kern dieser sexualpädagogischen Ideologie, die den Konzepten zugrunde liege, darauf ausgerichtet sei, die natürlichen Schamgrenzen von Kindern abzubauen. Die seien aber wichtige Schutzgrenzen. „Wie sollen Kinder sexuelle Grenzüberschreitungen sonst noch erkennen können?“, fragt sie. Das sei absurd und gefährlich. 

Eine Gesellschaft, die Kinder sexualisiert, ist keine sichere Gesellschaft

In der Regel wird Barbaric immer dann gerufen, wenn es in Kitas zu sexuellen Übergriffen unter Kindern oder Gewalttaten gekommen ist. Nahezu wöchentlich wird sie dabei mit den Schicksalen von Kleinkindern konfrontiert, die als „Doktorspiele“ deklarierte Übergriffe durch Kinder oder Beschäftigte erleiden mussten. „Eine Gesellschaft, die Kinder permanent sexualisiert, kann für Kinder keine sichere Gesellschaft sein“, mahnt sie. Die Pädagogin ist entsetzt über die Anzahl sexueller Übergriffe in Kitas. „Ich mache diese Arbeit seit fast zehn Jahren. So schlimm, wie es jetzt ist, war es in all den Jahren noch nie!“, sagt sie. Schuld sei eine neue bedrohliche Gemengelage.

Wenn schon Dreijährige Wörter wie „Schwanz“, „Blasen“ oder „Ficken“ und deren Bedeutung kennen würden, gingen bei ihr die Alarmleuchten an, sagt Erzieherin Melanie M. „Ich erlebe bei meiner Arbeit, dass schon sehr kleine Kinder Zugang zu Pornografie haben und pornografische Wörter kennen. Sei es über das Handy älterer Geschwister oder durch die Eltern selbst.“ Die Erzieherin arbeitet seit 24 Jahren in einer Kita im Kölner Raum. 

In nahezu jeder Kita-Gruppe zeige mindestens ein Kind ein diesbezüglich auffälliges Verhalten. „Noch nie sind Kinder so schnell und so viel in Kontakt mit Sex, Pornografie und Gewaltvideos gekommen. Dazu kommt eine gesellschaftliche Obsession mit Sex und Gender, die auch vor ­Kindern nicht Halt macht!“, sagt Melanie M. 

„Kuschelhöhlen“ gibt es in ihrer Kita nicht. Das „sexualpädagogische Konzept“, das sie vorlegen müssen, hat das Team selbst geschrieben. „Wir waren von den gängigen Konzepten nicht überzeugt. Viele davon finden wir kontraproduktiv und sogar Missbrauch fördernd. Dass Kinder dann und wann ihren Körper und den Körper anderer Kinder erkunden, das ist völlig normal. Dass man sie aber proaktiv in einer Kita dazu ­auffordert, das ist kriminell!“, empört sie sich. 

Kentler: Sexualität kann nur erzogen werden, wenn etwas Sexuelles passiert

Das findet auch Josefine Barbaric. „Wären Kinder von Geburt an sexuelle Wesen, gäbe es die Paragrafen 174 und 176 nicht!“ Die durch das Gewaltschutzkonzept hervor­gerufene Renaissance post-68er „sexualpädagogischer Konzepte“ sieht sie mit Sorge. Und so manche Kita wüsste gar nicht, in welche Tradition sie sich da stellt.

Denn der Fokus auf die vermeintliche Sexualität eines Kindes, „Kuschelhöhlen“, „Erkundungsräume“, „Masturbationsräume“ – das alles geht in der pädagogischen Welt auf niemand Geringeren als den Reformpädagogen Helmut Kentler zurück (siehe Seite 40). Der inzwischen als pädokrimineller Missbrauchstäter entlarvte Kentler wurde in den 1970er und 80er Jahren als „Befreier der kindlichen Sexualität“ bejubelt. Sein Prinzip der Sexualerziehung folgt der Regel: „Lernen durch Tun“ – heute wieder anzutreffen in der „sexuellen Bildung“. Sexualität könne nur erzogen werden, wenn auch etwas Sexuelles passiere. In Kindergärten müssten also sexuelle Handlungen geschehen bzw. provoziert werden, damit Kinder sexuell gebildet werden können. Kentler war der Wegbereiter der sogenannten „emanzipatorischen Sexualpädagogik“. Diese wird bis heute von der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ (BZgA) und „pro familia“ in vorgeblich fortschrittliche „sexualpädagogische Konzepte“ gegossen und offiziell bereits in Schulen und Kitas als curriculare Grundlage von Sexual­erziehung angewendet.

Wie blind selbst Menschen, die in dem Bereich arbeiten, dafür sind, zeigte sich an Berlins Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Die referierte bei der Vorstellung des Abschlussberichts „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe“ am 23. Februar 2024 über dessen „unsägliche Experimente“, die während des „bedrückendsten Kapitels der Geschichte der Berliner Kinder- und Jugendhilfe“ durchgeführt worden seien. Da geht es um das „Experiment“ Kentlers, erziehungsschwierige Jungen in die Obhut pädosexuell aktiver Männer zu geben. Doch nahezu zeitgleich wurde unter der Verantwortung von Günther-Wünsch der Entwurf für ein neues „Berliner Bildungsprogramm für ­Kitas und Kindertagespflege“ öffentlich, das Kentler persönlich geschrieben haben könnte: „Kleinkinder im Alter von null bis sechs Jahren sollen lernen, Lustgefühle am eigenen Körper zu genießen. Sie lieben es, zu spielen und entdecken ­ihren Körper zum Beispiel über Rollen- oder ­Bewegungsspiele.“ Eine gegenseitige anale oder orale Penetrierung solle zwar, wenn möglich, vermieden werden – „aufgrund des Verletzungsrisikos“. Ziel sei es jedoch, dass die Kinder insgesamt „eine sexual-freundliche und sinnesfördernde Haltung“ entwickeln. 

Fast sämtliche sexualpädagogische Konzepte, inklusive Konzepte zur Missbrauchsprävention, die in deutschen Kitas kursieren, beruhen heute oft fast wortgetreu auf Kentlers „emanzipatorischer Sexualpädagogik“. Wie kann das sein? Jahrzehnte nach Kentlers Entlarvung und 16 Jahre nach seinem Tod? Antwort: Weil seine Ideen weitergetragen wurden und nicht ausgeschlossen werden kann, dass gruppeninterne Interessen bedient werden sollen.

Sielert: Heterosexualität, Kernfamilie und Generativität sind zu ent­naturalisieren!

Der Reformpädagoge Uwe Sielert hat Kentlers Thesen aufgegriffen. Sielert postuliert das „Kind als sexuelles Wesen von Anfang an“, wobei er betont, die kindliche Sexualität nicht mit der der Erwachsenen gleichsetzen zu wollen – sie aber faktisch in seinen praxisbezogenen Vorschlägen gleichsetzt. Schon Säuglinge sollten daher „sexuell“ von ihren Pflegepersonen stimuliert werden. Das übergeordnete Ziel „sexueller Bildung“ sei, die „gesellschaftliche heterosexuell normierende Dominanzkultur“ aufzubrechen; „Heterosexualität, Kernfamilie und Generativität sind zu ent­naturalisieren.“

Auch Sielert hat – vergleichbar mit Helmut Kentler – einen beispiellosen Marsch durch die Institutionen angetreten. Er ist Gründungsmitglied der „Gesellschaft für Sexualpädagogik“ (GSP). Als Berater, Ausbilder und wissenschaftlicher Beirat ist er in nahezu allen sexualpädagogischen Institutionen vertreten und arbeitet eng mit „pro familia“ und der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ zusammen, bei der er von 1989 bis 1992 gearbeitet hat. Von 1992 bis 2017 war Sielert Professor am Institut für Pädagogik (IFP) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Am ISP, dem „Institut für Sexualpädagogik“, ist er heute Wissenschaftlicher Beirat.

Durch die Zusammenarbeit mit der BZgA werden Sielert und die „sexuelle Bildung“ sogar in einer Teilausgabe der deutschsprachigen „WHO-Standards für die Sexualaufklärung in Europa“ erwähnt.

Alle institutionell verankerten (und damit meist staatlich mitfinanzierten) sexualpädago­gischen Institute sind auf Kentlers und Sielerts Theorien gegründet: BZgA, pro familia, ISP, GSP, FH Merseburg, IFP Kiel. Noch 1997 haben diese Institutionen auf einer gemeinsamen Tagung dessen Thesen explizit gewürdigt und in diesem Sinne weitergeführt.

Die BZgA, eine Behörde des Gesundheitsministeriums, spielt dabei heute eine Schlüsselrolle. 1992 übernahm sie die Hoheit über das Thema Sexualität. Gemeinsam mit der WHO verschrieb sie sich der „ganzheitlichen“ Sexualkaufklärung. Von der BZgA stammt auch die Formulierung von „Lustgefühlen“ bei Säuglingen, die sich in einigen der Landesprogramme findet. Die Bundeszentrale verwendet nahezu identische Sätze zu den Äußerungen Kentlers.

Von Kentler hat sich Uwe Sielert nie distanziert. Der aktiv pädosexuelle Reformpädagoge Kentler setzte das kindliche „sexuelle“ Verhalten gleich mit dem von Erwachsenen. Er leugnete den Unterschied zwischen Kind und Erwachsenen und somit auch das Machtgefälle.

Das kam ihm entgegen. Denn, wie man schon lange wissen konnte, aber ebenso lange leugnete: Das nutzte auch seinem ganz persönlichen Zugriff auf Kinder und Jugendliche. 

Kurz vor seinem Tod 2008 wurde Helmut Kentler von Uwe Sielert an die Uni Kiel für einen Vortrag eingeladen. „Da durfte Helmut Kentler noch einmal darüber referieren, wie bereichernd das Zusammenleben von 14-jährigen Jungen mit erwachsenen homosexuellen Männern sei“, erzählt Karla Etschenberg. Die Professorin für Humanbiologie, Gesundheitserziehung und Sexualerziehung an der Uni Kiel gehört seit den 1970er Jahren zu den raren KritikerInnen von Helmut Kentler und Uwe Sielert. In der Sexualpädagogik gilt sie als Vertreterin einer sexualfreundlichen, ideologiefreien, wissenschaftlich fundierten Sexualaufklärung von der Kita an mit Orientierung an sozialethischen Werten wie Selbstbestimmung, Partnerschaftlichkeit, Toleranz und Rücksichtnahme. Etschenberg war langjährige Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft für Geschlechtserziehung“ (DGG), die sich vor allem um Sexualerziehung in der Schule kümmerte. 

Etschenberg: Viele Behauptungen zur Sexualtät von Kindern sind Ideologie!

„Ich werfe Uwe Sielert seit vielen Jahren vor, dass er den Prozess der Aufklärung sexualisieren will. Genau wie Helmut Kentler es wollte!“, sagt Karla Etschenberg. Und sie fragt: „Was soll das eigentlich sein, die ‚Sexualität‘ eines Kindes?“ Natürlich hätten Kinder (stimulierbare) Sexual­organe, aber reiche das, um von „Sexualität“ im erwachsenen Sinne zu sprechen? Es fehle der hormonelle Hintergrund, es gebe noch keine „sexuellen“ Erfahrungen und Fantasien. Alle Aussagen über kindliche „Sexualität“ beruhen auf Beobachtungen und Interpretationen von Erwachsenen oder deren Erinnerungen an die eigene Kindheit. „Die Sexualität von Kindern ist nicht erforscht und prinzipiell nur ansatzweise erforschbar. Viele Behauptungen dazu sind reines Wunschdenken, reine Ideologie!“, sagt sie. Und weiter: „Pädagogen wie Kentler und Sielert haben es aber geschafft, diese Ideologie als wissenschaftliche Sexualpädagogik zu verkaufen!“

An die Kinder selbst hat Sielert seine Ideologie in Buchform herangetragen. Er hat den Kita-Klassiker „Lisa und Jan – ein Aufklärungsbuch für Kinder und ihre Eltern“ für Vier- bis Achtjährige geschrieben. Darin finden sich u. a. realistische Zeichnungen von masturbierenden Kindern und von mehreren Erwachsenen, die mit Kindern nackt am Pool liegen. Es erschien 1991 (in 2. Auflage 2012) im Beltz Verlag – dem Verlag, der durch Bücher und Zeitschriften in den letzten Jahrzehnten die Ideen der „sexuellen Bildung“ verbreitete.

Auch Sielerts Doktorandin Elisabeth Tuider hat 2008 im Beltz Verlag ihr Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt: Praxismethoden zu Identitäten, Beziehungen, Körper und Prävention für Schule und Jugendarbeit“ herausgebracht. In der Übung „Der neue Puff für alle“ sollen 14-Jährige zum Beispiel ein Bordell modernisieren, mit Dildos, Lederpeitschen etc. ausstatten und sich dafür Werbung ausdenken.

„Sexualität der Vielfalt“ bedeutet für Tuider auch, dass keine „sexuelle Orientierung“ bzw. Praktik diskriminiert werden darf. So wird Analsex als allgemein übliche Sexualpraktik vorgestellt und ausschließlich positiv bewertet. Dass dadurch der Druck vor allem auf Mädchen wachse, pornografische Standards zu erfüllen, wird nicht reflektiert. Erst 2014 ertönte erste Kritik. Unter dem Motto ‚Vielfalt‘ komme hier zurück, was schon in der Kinderladenbewegung der 1960er Jahre und der Reformpädagogik der 1970er Jahre als übergriffig erkannt wurde.

Karla Etschenberg kritisiert: „Tuider, Sielert und ihr Echo-Raum haben sich die Deutungs­hoheit auf dem Gebiet der Sexualpädagogik erobert und in der „Gesellschaft für Sexualpädagogik“ (GSP) festgezurrt. PädagogInnen, die dort Weiterbildungen machen, bekommen Zertifikate und verpflichten sich, Mitglied zu werden und sich kontinuierlich weiterzubilden. Auf mich wirkt das fast wie eine Sekte!“

Was Etschenberg bis heute bedauert, ist die Tatsache, dass keine Gegenbewegung in Gang ­gesetzt worden ist: „Wir haben es damals wegen anderer beruflicher Verpflichtungen verpasst, Sielert etwas entgegenzusetzen. Seine Nähe zu Kentler und seine Unwissenschaftlichkeit wurden mehrfach kritisiert, doch die Kritik ist immer versickert. Und heute erleben wir im Zeichen der ‚sexuellen Bildung‘ und der ‚Sexualpädagogik der Vielfalt‘ ein Revival – mit politischer und somit auch finanzieller Unterstützung!“ 

Schon Kleinkinder sollen über sexuelle Orientierungen lernen

Und Etschenberg stellt die Frage: „Oder ist etwa eine politische Vorgabe und die damit verbundene finanzielle Unterstützung der Motor für ‚sexuelle Bildung‘ in Kita und Schule?“

Denn „Sexuelle Vielfalt“ ist heute das große Zauberwort. Schon Kleinkindern soll anschaulich nahegebracht werden, dass es verschiedene sexuelle ­Orientierungen, viele frei wählbare Identitäten und mehr als zwei Geschlechter gibt.

In NRW entwickelte das „Queere Netzwerk“ die vom Familienministerium finanzierte Broschüre „Queer in der Kita“, die Kleinkinder über vielfältige Sexualität aufklären will. Die Verfasser schreiben: „Auch Kinder können sehr früh verstehen, dass sie trans sind.“ Es gibt konkrete Tipps für Erzieher: „Die Kinder haben Interesse daran gezeigt zu erfahren, wie Babys entstehen (…) Die Voraussetzung dafür, ein Kind zu bekommen, ist nicht, eine Frau zu sein, sondern eine Gebärmutter und Eierstöcke zu haben. Das können auch Männer.“ Aber: Nicht alle Eltern finden es cool, wenn Drag-Queens in der Kita vortanzen oder fremde Erwachsene mit Kindern kuscheln und herum­toben (Stichwort „Original Play“) oder wenn transgender Menschen von ihrer Wandlung erzählen.

„Kinder sind damit komplett überfordert!“ kritisiert Josefine Barbaric, „Kinder sollten nicht nach ihrem Wunsch-Pronomen gefragt werden!“ Und sie fragt: „Warum dürfen die LGBTIQ+-Aktivisten eigentlich Lobby-Arbeit in Kitas und Schulen betreiben? Andere Verbände und Initiativen dürfen das auch nicht!“

Heute treten sogenannte „Non-Profit-Organisationen“ an Kitas und Schulen heran und bieten „ganzheitliche Sexualaufklärung“ an, beziehungsweise die Vermittlung von „Sexualität als lustzentriert und sexpositiv“, in der Schule am liebsten ohne Anwesenheit von Lehrpersonen. Die bekanntesten Gruppen sind: SchLAu e. V. (Schwul-Lesbische Aufklärung), FLUSS e. V., QUEERFORMAT und das Schoolwork-Team. Vernetzt sind die Gruppen seit 2014 im Interessenverband „Queere Bildung“.

Dazu Etschenberg: „Ich habe Bedenken bezüglich externer ‚Sexperten‘ und Lobby-Gruppen, die in die Kitas und Schulen kommen. Ihre Ideen und Methoden stammen zum großen Teil aus der außerschulischen Jugendarbeit und aus Selbst­erfahrungsgruppen und sind bezüglich ihrer Neben- und Langzeitlerneffekte weder mit Eltern abgestimmt noch wissenschaftlich evaluiert.“ 

Sie fragt auch, warum sich die Kultusministerkonferenz, die 1968 die ersten Empfehlungen für die Sexualerziehung an Schulen herausgegeben hat, nicht mehr um das Thema kümmert. 

Im Frühjahr 2023 sollten in Berlin zwei „queer-inklusive Kitas“ eröffnet werden, getreu dem Motto „Queer von Anfang an“. Es wären die ersten Tagesstätten ihrer Art in Deutschland gewesen. Die Idee dazu stammte von der Schwulenberatung Berlin. Vorstandsmitglied: der Soziologe Rüdiger Lautmann (88). 1979 hatte Lautmann beantragt, dass der Paragraf 176 des Strafgesetz­buches, der sexuelle Handlungen an Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellt, differenzierter betrachtet werden solle. 1994 veröffentlichte er das Buch „Die Lust am Kind – Portrait des Pädophilen“. Lautmann ist erst durch öffentlichen Druck aus dem Vorstand der Schwulenberatung zurückgetreten. Die „queer-inklusiven Kitas“ wurden verhindert – nicht zuletzt durch die Ini­tiative „Demo für alle“. 

Kinder werden aus ihren Schutzzonen herausgenommen

Wie das „Manif pour tous“, dem französischen Pendant zur „Demo für alle“, sind die AktivistInnen zwar gegen die Homo-Ehe und das Recht auf Abtreibung, aber auch die einzigen, die als Gruppe gegen die Sexualisierung von Kindern kämpfen. 

Ist es also so weit? So weit, dass nur noch „Rechtskonservative“ sich für den Schutz von Kindern in staatlichen Institutionen einsetzen – und die Fortschrittlichen, bis auf wenige Ausnahmen, dazu schweigen? Schweigen aus Angst vor öffentlicher Diskriminierung? Ja, schlimmer noch: Dass Fortschrittliche die Pornografisierung und den sexualisierten Umgang mit kleinen Kindern bewusst oder aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit zulassen und dadurch stillschweigend fördern? Sollten sich nicht endlich diese Kräfte zusammentun und kindgerechte Konzepte zur Aufklärung und Sexualbildung ohne Sexualisierung entwickeln?

„Ich habe das Gefühl, die Tendenz geht dahin, Kinder weltweit als Sexualobjekte freizugeben“, sagt Prof. Etschenberg. Kinder würden aus ihren Schutzzonen herausgenommen, und viele Erwachsene – aus den verschiedensten Gründen – würden davon profitieren. Und sie fragt: „Warum tun unsere Justiz, unsere Politik, vor allem unsere Bildungspolitik, unsere Kirchen und unsere ­Gesellschaft nicht mehr dafür, um Kinder besser vor Sexualisierung, sexueller Ausbeutung und vor Missbrauch zu schützen?

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